Spitzeneinkünfte im Bundestag: Die Politik als Profitmaschine
Sozial Benachteiligte werden von Politikern gegeneinander ausgespielt. Doch sie verdanken ihre Privilegien gerade der Bevölkerung. Darüber sollten wir sprechen.
Als aus Hartz IV das Bürgergeld wurde, änderte sich nicht das System, sondern vor allem der Name. Vor allem die SPD wollte ein Trauma loswerden, ohne wirklich etwas zu ändern. Dennoch ist eine Debatte darüber entbrannt, wie ungerecht es ist, dass Arbeitslose so wenig Unterstützung bekommen. Auch nach Krisen und starken Preissteigerungen.
Dies sei ungerecht gegenüber den "hart arbeitenden" Menschen. Sie werden immer dann ins Feld geführt, wenn es darum geht, nach unten zu treten. So funktioniert es stets aufs neue, die Abgrenzung nach "unten" in den Vordergrund zu stellen und damit von "oben" abzulenken.
Es ist natürlich etwas dran, dass der Unterschied zwischen Bürgergeld und Niedriglohn nicht besonders groß ist. Aber die Frage wäre doch, warum so viele Menschen für ihre "harte Arbeit" so wenig verdienen, dass sie trotz Vollzeitbeschäftigung von ihrem Lohn kaum leben können?
Es ist eine Gerechtigkeitsdebatte, die aber gerne vermieden oder als Neiddebatte abgetan wird. Kein Wort darüber, wie schwer gerade diese Arbeit ist und wie ungerecht niedrig sie bezahlt wird.
Bei der Nach-unten-treten-Kampagne waren natürlich Union und FDP in vorderster Linie dabei, unterstützt von der besonders neoliberalen AfD. Das lenkte von einem wichtigen Umstand ab: Das Bürgergeld ist vor allem ein Marketinginstrument von SPD und Grünen.
Jetzt im Sommer verkündet die Mindestlohnkommission die Anpassung des Mindestlohns von zwölf Euro auf 12,41 Euro ab Januar 2024. Diese Zahl muss man kurz sacken lassen. Allein die Lebensmittelpreise sind von Mai 2022 bis Mai 2023 um 14,9 Prozent gestiegen.
Von den vielen anderen Verteuerungen ganz zu schweigen. Und wird nicht gerade von Rezession gesprochen und bei der Haushaltsdebatte wieder von Sparzwang geredet, von einer Kindergrundsicherung die man angeblich nicht bezahlen kann? Aber 41 Cent sollen es im nächsten Jahr herausreißen?
Selbst bei einer 40-Stunden-Woche käme der Mensch, der oft wirklich hart arbeitet, dann nicht auf 2.000 Euro brutto. Da müssten doch jetzt alle aufschreien, wie ungerecht das ist und wo dann der Abstand zu denen bleibt, die keine Arbeit haben. Zaghaft kommt dann von Gewerkschaften und SPD auch der Vorschlag, doch über eine Anpassung auf 14 Euro nachzudenken.
Der ausbleibende Aufschrei folgt dann aber auf den Erhöhungsvorschlag. Angeführt wieder von der gleichen Truppe, die jede Erhöhung des Bürgergeldes vehement ablehnte. Ein exponierter Wortführer ist dabei Wolfgang Kubicki, der als Bundestagsvizepräsident eigentlich überparteilich alle Menschen im Blick haben sollte, statt solche Debatten zu verschärfen.
Aber waren es gegenüber den Arbeitslosen noch die "hart arbeitenden Menschen", die angeblich geschützt werden mussten, haben diese nun nicht einmal das Recht auf einen Inflationsausgleich. Kubicki bekommt dafür öffentlich jede Bühne, Medien, die seine Angriffe unkritisch und ohne Einordnung als Sprachrohre verbreiten.
Was bekommt eigentlich ein Vizepräsident des Bundestags?
Eine Einordnung wäre z.B., die Debatten um Entlohnung, Löhne und Gerechtigkeit einmal in Bezug zu den Gehaltszahlungen der politischen Akteure setzen. Gerade hier lassen sich Heuchelei und Doppelmoral gut erkennen. Die wahren Motive kommen zum Vorschein. Um harte Arbeit, die gerecht entlohnt wird, geht es sicher nicht.
Wolfgang Kubicki steht nur stellvertretend für viele seiner Kollegen. Aber er ist der Prototyp eines Politikers, der seine Doppelmoral mit unglaublicher Lust auslebt. Auch weil er immer wieder vergisst, von wem er eigentlich bezahlt wird und wofür. Als Vizepräsident bekommt er neben den normalen Diäten als Abgeordneter noch einmal 50 Prozent obendrauf. Nach der letzten, saftigen Diätenerhöhung gerade jetzt im Juli 2023 kommt der Vizepräsident auf 16.000 Euro im Monat.
Zusätzliche Vergünstigungen wie ein eigener Dienstwagen und zusätzliches Personal lassen wir mal außen vor. Unerwähnt bleibt meist auch die steuerfreie Kostenpauschale von über 4.500 Euro für alle Abgeordneten. Diese Pauschale ist für Büromaterial, politische Arbeit, eine Wohnung in Berlin und ein Wahlkreisbüro vorgesehen. Mehrheitlich wird dieser Topf nicht ausgeschöpft und das restliche Geld kann einfach behalten werden.
Gegen diese letzte Diätenerhöhung von über 500 Euro haben Kubicki und die allermeisten seiner Kollegen natürlich wieder nicht protestiert, aber ein paar Euro mehr Mindestlohn lassen ihn aktiv werden.
Im Jahr kommt der Politiker so auf 192.000 Euro, mit Kostenpauschale auf 246.000 Euro. Bei einem Mindestlohn muss man dafür zehn Jahre arbeiten.
Um nicht missverstanden zu werden, ich bin für eine gute Bezahlung der Abgeordneten, ich sehe eher die Vergünstigungen und Nebeneinkünfte als Problem. Aber es spricht Bände, wenn jemand mit diesem steuerfinanzierten Einkommen die geringen Anpassungen von Mindestlohn und Diäten mit so viel politischem Gewicht bekämpft.
Lukrative Nebengeschäfte
Mit der Viertelmillion gibt sich Wolfgang Kubicki nicht zufrieden. Als Vizepräsident ist er verpflichtet, die Nebeneinkünfte seiner Kollegen zu erfassen und transparent aufzulisten.
Auch das ist eine Transparenzregelung, die mühsam – auch gegen seinen Widerstand – durchgesetzt wurde. Von der Wahl bis zum Sommer hat es gedauert, bis endlich die ersten Daten veröffentlicht wurden.
Und siehe da, der Vizepräsident führt die Liste der Nebeneinkünfte mit 143.960 Euro an!
Ich kann mir nicht erklären, wie das möglich ist. Als Abgeordneter hatte ich eine 60-Stunden-Woche, da passt selbst ein Buch, das ich geschrieben habe, kaum rein. Eine regelmäßige Nebentätigkeit ist nicht möglich, wenn man seinen eigentlichen Aufgaben nachkommen will. Vor allem mit der zusätzlichen Belastung als Vizepräsident. Nebentätigkeiten bringen aber noch weitere Probleme mit sich.
Es gelten die Abgeordneten als sehr wichtig, die wichtige Lobbykontakte pflegen und die noch nebenbei dafür bezahlt werden. Daran orientieren sich alle, die etwas werden wollen. Auch deshalb haben in diesem Bundestag bereits rund 40 Prozent der Abgeordneten einen oder mehrere angemeldete Nebenjobs. Ein Rekordwert.
Dazu gehören auch journalistische Honorare und anwaltliche Tätigkeiten. Sie stehen auf einem etwas anderen Blatt, weil sie zwar das eigentliche Arbeitspensum einschränken, die Abgeordneten aber nicht unbedingt zusätzlich beeinflussen.
Honorare, bezahlte Tätigkeiten und Spenden von Profitlobbys dagegen sehr wohl. Ich habe sehr oft erlebt, wie Kollegen bei Debatten und Abstimmungen voreingenommen waren, wenn ihre Geldgeber – und nicht die Bevölkerung – betroffen waren. Mehr noch, manchmal versuchen sie, die Debatten ihrer Fraktion in genau diesen Bereichen zu steuern und ihre Kollegen zu beeinflussen.
Bisher sind es vor allem die Abgeordneten von Union und FDP, die sich zusätzlich vergüten lassen – mehr als jeder Zweite! Doch die Abgeordneten von SPD und Grünen holen auf. Bei der SPD stieg der Anteil der Nebenverdiener von 26 auf 37 Prozent, bei den Grünen von 15 auf 25 Prozent.
Die Frage, ob das Mandat wirklich noch im Mittelpunkt steht und die Parteilichkeit nicht in Korrumpierbarkeit umschlägt, wird immer drängender. So ist vieles in der Politik durchaus legal, aber sicher nicht legitim. Sogar die Bereicherung von Parlamentariern durch Mauscheleien wurde aufgedeckt, die Täter aber freigesprochen. Das ist nur möglich, weil der Bundestag die Regeln selbst bestimmt.
Neben einer klaren Transparenz auf Heller und Pfennig muss es verbindliche Regeln für alle Abgeordneten geben, gerade, wenn es um Steuergelder geht. Darüber sollte ein unabhängiges Gremium wachen und nicht das Bundestagspräsidium selbst. Ein Wolfgang Kubicki wird sich sicher nicht selbst beschränken oder wirklich kontrollieren. Der ist viel zu sehr damit beschäftigt, zu verhindern, dass der Mindestlohn oder die Bezüge der wirklich Bedürftigen steigen.
Ich möchte mal einen unabhängigen Entscheidungsträger sehen, der sagt, dass diese Nebeneinkünfte nicht angemessen sind und mit den Diäten verrechnet werden müssen. Ich möchte auch das Gesicht des Vizepräsidenten sehen, wenn sich die nächste Diätenerhöhung an den 41 Cent orientiert. Und vor allem möchte ich sehen, dass wir endlich wirklich über gerechte Entlohnung reden und nicht scheinheilig harte Arbeit als Kampfbegriff missbrauchen.
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