Sprachdebatte: "Indigener Sommer" ist kein Ersatz für den "Indianersommer"

Erklärung "Indianer" - fotografierte Seite aus: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache

Ausschnitt aus: Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 1989. (In der Ausgabe von 1967 fehlt das Wort "Indianer").

Diskreditierende Übertreibungen – antikoloniale Sprachkritik wird gerne ins Lächerliche gezogen. Doch ist ihr Ansatz richtig und wichtig, wie unser Autor erklärt.

Die Verwendung einer gendergerechten Sprache steht zurzeit im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Überwindung herablassender Begriffe aus der kolonialistischen Vergangenheit findet weniger Beachtung.

Viele halten die notwendigen Sprachänderungen für lächerliche Wortklauberei. So wird behauptet, man dürfe das Wort "Indianer" nicht mehr sagen.

Solche Übertreibungen sollen eine Überprüfung überholter Konzepte insgesamt diskreditieren und damit Respekt und Anerkennung für die betroffenen Menschen ignorieren. Selbst scheinbar neutrale oder positive Bezeichnungen können diskriminierend sein, wie die Idealisierung des Begriffs "Indianer" im Deutschen zeigt.

Der "Indianersommer"

Nach dem ersten Bodenfrost im Herbst eines jeden Jahrs verzaubern warme Luftströmungen die ausgedehnten Wälder an der Atlantikküste Nordamerikas in ein Farbenmeer, das manchmal bis in den Januar hinein anhält. Der französische Landvermesser Jean de Crèvecoeur (1735–1813) notierte 1778 für dieses prächtige Wetterereignis den Begriff "Indianersommer".

Der Bezug zu den amerikanischen Ureinwohnern ist nicht ganz klar. Denkbar ist, dass die indigenen Völker die warme und ruhige Witterung für intensive Jagdzüge nutzten. Sicher ist jedoch, dass der Wortteil "Indianer" pauschalierend und abwertend gemeint war.

Die amerikanische Urbevölkerung als "Inder" zusammenzufassen, hat mit der Wirklichkeit mehrerer Hundert autochthoner Kulturen nichts zu tun.

Sollte man deshalb besser von einem "indigenen Sommer" sprechen, wie gelegentlich gefordert wird?

Die Funktion des Widersinns

Nicht immer sind die Absichten eines solchen Vorschlags redlich. Eine neue Redewendung steht ja immer zuerst im Widerspruch zu einer eingeschliffenen Formulierung.

Der scheinbare Widersinn soll die Bemühungen um einen neutralen, nachkolonialen Sprachgebrauch insgesamt lächerlich machen. Oft ist das Unverständnis aber auch nur Ausdruck von Unwissenheit.

"Altweibersommer" in Europa

In Europa gibt man der Verwandlung des Blattgrüns in ein Farbspektakel den Namen "Goldener Oktober" oder – vermeintlich abwertend – "Altweibersommer". Der Geschlechterbezug wird dadurch unterstrichen, dass diese Jahreszeit auch als "Frauen"– oder "Mädchensommer" bekannt ist, was im Rückgriff auf angebliche "Altweiber" begründet wird.

Abstruse Vergleiche mit einem "unzeitigen" oder "schwachen" Sommer sollen den Bezug zu "alten Frauen" herstellen.

Etymologie: "weiben"

Tatsächlich leitet sich das Wort vom althochdeutschen "weiben" ab, womit das Knüpfen der Spinnfäden einiger Webspinnen gemeint war, die sich im Herbst an ihren Fäden durch die Luft tragen lassen. Diese Fäden heißen in einigen norddeutschen Dialekten "Mettjen" (von "Maden" hergeleitet) und haben mit Mädchen oder Frauen nichts zu tun.

Es ist einigermaßen konsequent, wenn das Landgericht Darmstadt im Februar 1989 urteilt, dass die Verwendung des Begriffs "Altweibersommer" keinen Eingriff in die Persönlichkeitsrechte von "alten Frauen" darstellt, weil es diese als abgegrenzte Personengruppe im rechtlichen Sinn nicht gibt (LG Darmstadt, Az. 3 O 535/88, Urteil vom 2. Februar 1989).

Besser: "Altmackersommer"?

Die Herabsetzung älterer weiblicher Menschen ist damit nicht aus der Welt. Würde sich jemand an einem "Altmackersommer" stören?

Minoritäten werden nicht nur offen und damit angreifbar diskriminiert. Genauso gefährlich sind unausgesprochene Verurteilungen, die als Gepäck scheinbar neutraler Begriffe in die Vorstellungswelt eingeschleust werden.

Herabsetzungen als Gegenstand der Sprachkritik

Es ist nicht einzusehen, warum an Bezeichnungen wie "Zigeunerschnitzel" und "Negerkuss" festgehalten werden soll, die absolut nichts über den Gegenstand und nur Ungutes über den Sprechenden verraten.

Die Herabsetzung nichteuropäischer Völker ist daher als Rest der Kolonialzeit und ihrer Ideologie mit Recht Gegenstand der Sprachkritik geworden.

Dass es sich bei dem Sammelbegriff "Indianer" um eine diskriminierende Bezeichnung handelt, ist auf den ersten Blick nicht so leicht zu erkennen, weil das Wort zumindest im Deutschen eher positiv klingt. Dabei wird übersehen, dass auch eine Idealisierung den betreffenden Menschen das Recht auf eine selbstbestimmte Identität nimmt.

Im Englischen ist der koloniale Identitätsraub besonders deutlich, indem "Indian" nicht nur die amerikanischen Ureinwohner, sondern in erster Linie die Bewohner des indischen Subkontinents meint – Inder als Urbevölkerung Amerikas!

Konsequent und historisch richtig ist nur das Wort "Indigene" im Sinn von Urbewohner oder Urbewohnerin des amerikanischen Doppelkontinents. Zu den Indigenen zählen nun auch die Inuit, die bisher als "Eskimo" von den "Indianern" unterschieden wurden. Tatsächlich hätte diese Bezeichnung seit der "Entdeckungszeit" verwendet werden können.

Der "Irrtum" des Kolumbus und späte Gerechtigkeit

Der italienische Chronist Petrus Martyr von Anghiera (1457–1526) schreibt bereits 1507 über die "indigenen Völker" der Neuen Welt. Aber es entsprach mehr der kolonialen Intention, die Ureinwohner nicht nur ihres Landes und seiner Bodenschätze zu berauben, sondern auch ihrer Identität. Um indigenes Selbstbewusstsein gar nicht erst entstehen zu lassen, setzte sich der "Irrtum" des Kolumbus in allen europäischen Sprachen durch.

Es ist ein Akt später Gerechtigkeit, wenn nach fünf Jahrhunderten der Sprach- und Denkfehler "Indianer" korrigiert wird. Ein solches Vorhaben könnte eigentlich nur auf allen Seiten Unterstützung finden.

An anderer Stelle ist es selbstverständlich, überholte Konzepte zu hinterfragen und Sprache an neue Realitäten anzupassen. Bei der Korrektur sozialer Vorurteile wird dagegen eine aufsässige Haltung unterstellt.

"Das Wort 'Indianer' darf man nicht mehr sagen"

So behauptete Alfred Draxler in der Bild-Zeitung:

"Das Wort 'Indianer' darf man nicht mehr sagen."

"Indigenes Bevölkerungsmitglied" solle an seine Stelle treten.

Die Vernunft zerstörende Absicht des Autors besteht darin, dass er das Nachdenken über notwendige Änderungen lächerlich macht.

Das unreflektierte Vorurteil der breiten Masse erklärt er stattdessen zur Norm – Populismus anstelle von Dialog und Kritik.

Sprachdebatte ist kein neues Thema

Die Sprachdebatte ist kein neues Thema. Tatsächlich wurde die Sprache im Lauf der Geschichte aus weniger wichtigen Gründen einer Kritik unterzogen. Bereits 1617 schlossen sich "Sprachpfleger" in der "Fruchtbringenden Gesellschaft" zusammen und nahmen Fremdwörter aufs Korn, die vor allem aus der damaligen Modesprache des Französischen ins Deutsche eingedrungen waren.

Ohne die Wühltätigkeit der Sprachpuristen würden heute viele weitverbreitete Wörter der deutschen Sprache fehlen: Leidenschaft (anstelle von Passion), Feingefühl (anstelle von Delikatesse), Augenblick (für Moment), Grundlage (für Fundamentum), Tagebuch (für Journal) und vieles mehr.

Lieber vom 4-Takt-"Zerknalltreibling" sprechen?

Einer vernünftigen Entscheidung des Sprachgefühls ist es zu verdanken, wenn andere Vorschläge nicht übernommen wurden: Geistesanbau (für Kultur), Zwischenstille (für Pause), Dörrleiche (für Mumie), Jungfernzwinger (für Nonnenkloster), Zwangsgläubige (für Katholiken), Zerknalltreibling (für Motor) und vieles mehr.

Sprachreinigung ist kein Vorrecht einer bestimmten politischen Richtung. Erstaunlicherweise wendete sich der Nationalsozialismus ungeachtet seiner "völkischen" Ideologie gegen die "künstliche Ersetzung" eingebürgerter Fremdwörter durch altdeutsch klingende Neubildungen.

"Wenn irgendetwas unvölkisch ist, dann ist es dieses Herumwerfen mit besonders altgermanischen Ausdrücken (...). Das ist ein wahrer Unfug, den man aber heute unzählige Male beobachten kann", schrieb Hitler im ersten Band von "Mein Kampf". Und Viktor Klemperer bestätigte, dass "volltönende Fremdausdrücke" im "Dritten Reich" dazu dienten, die Wirklichkeit zu verschleiern. 1

Zur Geschichte der Zunahme der Häufigkeit des "Indianerworts"

Die schwankende Häufigkeit des "Indianerworts" in der deutschen Sprache folgt ziemlich genau dem Geschichtsverlauf. Googles Ngram Viewer weist das Vorkommen der Wörter "Indianer" und "Indigene" in den Millionen von Büchern nach, die das Unternehmen eingescannt hat.

Deutlich wird die Zunahme der Häufigkeit des "Indianerworts" zwischen dem Beginn der deutschen Auswanderung um 1840 und dem Beginn der sogenannten "Indianerkriege" um 1860. Nach der erfolgreichen Unterwerfung und Entrechtung der Ureinwohner um 1890 schwindet ihre Präsenz in der Literatur auf einen nie erreichten Tiefstand.

Erst die Demonstrationen der Red-Power-Bewegung seit etwa 1970 sichern der nordamerikanischen Urbevölkerung wieder einen exponierten Platz in der deutschen gedruckten Literatur.

Dabei erzeugen die sozialen Proteste ein stärkeres Echo als die populären Winnetou-Filme der frühen 1960er-Jahre. Seit Mitte der 1980er-Jahre macht sich der Begriff "Indigene" zunehmend international bemerkbar, reicht aber nie an die Verbreitung des Indianerworts heran.

Während um 1920 in der deutschen Literatur am seltensten von "Indianern" zu lesen war, besannen sich zur selben Zeit die lateinamerikanischen Länder auf ihre Unabhängigkeit vom spanischen Mutterland.

"Indigenismo"

Im selben Atemzug entdeckte man innerhalb der eigenen Landesgrenzen die "inneren Kolonien" der Stammesgesellschaften. Ihre kulturellen Überlieferungen wurden in der breiten Bewegung des "Indigenismo" gefeiert.

Erzwungene Anpassung war die offizielle Politik der Regierungen gegenüber den indigenen Völkern innerhalb ihres Staatsgebiets, solange deren Selbstbestimmungsrecht nicht anerkannt war.

Die Konvention 107 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) setzte 1957 der forcierten Assimilation ein Ende.

Eine Förderung der indigenen Völker blieb jedoch aus. Gegen die fortgesetzte Unterentwicklung trat seit den 1970er Jahren eine junge Generation an, die ihre Gemeinsamkeit mit anderen indigenen Völkern überall auf der Welt erkannte und behauptete.

Zum ersten Mal befassten sich die Vereinten Nationen mit den besonderen Rechten der bis zu 600 Millionen indigenen Menschen überall auf der Welt. Die sogenannte Cobo-Studie von 1987 identifizierte die indigenen Völker mit Gemeinschaften, die aus vorkolonialer Zeit fortbestehen und sich von der herrschenden Mehrheit eines Staats unterscheiden.

Ein Mechanismus wurde in Gang gesetzt, wonach die Teilnehmerstaaten der UNO-Konvention gegen die Diskriminierung indigener Völker regelmäßig über den Schutz und die Förderung ihrer indigenen Gemeinschaften berichten.

Es kann kein Zweifel bestehen, dass "Indigene" der einzig richtige Begriff für "Indianer" ist. Dennoch wird das veraltete Wort aus sprachlichen Gründen weiter bestehen, besonders in Wortzusammensetzungen.

Kein Ersatz für "Indianerbücher" oder "Indianerfilme"

Für "Indianerbücher" oder "Indianerfilme" gibt es keinen Ersatz. Aber man wird künftig die Wortgeschichte als Ausdruck historischen Unrechts mitdenken müssen.

Die Sprachdebatte ist mehr als nur eine linguistische Diskussion, sondern ein wichtiger Faktor in der Gestaltung sozialer Beziehungen und gesellschaftlicher Normen. Sie regt zur Reflexion über historische Ungerechtigkeiten und deren Fortbestehen in der Sprache an und ist keine Wortklauberei.