Stadt, Land, Fluss

Zum Frühjahr kommen Videospiele als virtuelle Sandkästen ganz groß in Mode. Während in Little Italy die Corleones mit dem Faustrecht regieren, laden die weiten Hügellandschaften von Oblivion zu einem ausgedehnten Abenteuerurlaub ein

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Es gibt nur wenige Lizenzen, mit denen man als Hersteller von Videospielen auch das Interesse von Nichtspielern wecken kann. Ganz oben auf der Liste stehen dabei Filmtrilogien wie „Star Wars“, „Herr der Ringe“ oder "Die Matrix". Electronic Arts hat den Zuschlag für das Mafia-Epos „Der Pate“ (PC, PS2, Xbox, PSP) bekommen. Ein immens wichtiges Projekt - so wichtig, dass der Aktienkurs des weltgrößten Spielepublishers empfindlich einbrach, als der Konzern einräumen musste, dass man das Spiel nicht mehr rechtzeitig zum Weihnachtsgeschäft 2005 fertig bekommen würde. Hieran mag Marlon Brandos Ableben im Juli 2004 nicht ganz unschuldig gewesen sein. Brando hatte zunächst einige Sprachaufnahmen für das Spiel gemacht. Allerdings hing er zu der Zeit bereits schwer krank an einer Beatmungsmaschine, sodass seine Stimme eher an Darth Vader als Don Vito Corleone erinnerte. Electronic Arts musste stattseiner einen Stimmenimitator anheuern. Ebenso fiel Al Pacino aus. Er lehnte Electronic Arts' Angebot ab. Sein virtuelles Alter Ego steht derzeit bei Vivendi Universal für das Spiel "Scarface - The worlds is yours" unter Vertrag. Lediglich James Caan und Robert Duval arbeiteten mit Electronic Arts zusammen – allerdings ohne die Absolution von Francis Ford Coppola. Paramount hatte die Lizenz für das Spiel ohne Coppolas Wissen verkauft. Als er eine Vorabversion zu sehen bekam, war der Regisseur entsetzt. Er entzog dem Spiel seine Unterstützung. Nach einigen Stunden Spielzeit weiß man auch, warum.

In "Der Pate" bombt sich der Spieler vom Kleinkriminellen zum Unterweltboss

Coppola war 1972 ein filmisches Meisterwerk gelungen. "Der Pate" war keinesfalls eine unreflektierte Huldigung an die Mafia. Coppola und Puzo betrachteten sie ambivalent und zeigten Brüche innerhalb ihrer Strukturen auf. So etwa in der Figur des Michael Corleone, der sich gegenüber seiner Freundin Kay Adams zunächst von den Methoden der Familie distanziert, bevor er seinen Vater rächt und selbst zum Don aufsteigt. Electronic Arts hat mit dem Spiel „Der Pate“ hingegen lediglich einen routinierten Grand-Theft-Auto-Klon geschaffen, in dem fehlende spielerische Inspirationen mit übertriebenen Gewaltszenen übertüncht werden sollen.

Der Spieler übernimmt die Rolle eines Kleinganoven, der sich in der Familienhierarchie bis zum Don hocharbeiten muss. Dazu nimmt er zunächst die Schutzgelderpressungen selbst in die Hand. Electronic Arts hat dazu eigens ein neues Kampfsystem namens Blackhand ins Spiel integriert und gibt dem Spieler 22 Methoden an die Hand, seine Gegner zu quälen und zu ermorden. Das Spektrum umfasst einfache Faustschläge ins Gesicht, langsames Erwürgen, Brechen des Genicks, Schüsse in die Kniescheibe und Überfahren mit dem Auto.

Nun könnte man argumentieren, dass die ungeschönte Gewaltdarstellung gerade die Brutalität der realen Mafia verdeutlichen und den Spieler abschrecken soll. Dies ist jedoch nicht der Fall, weil das Spiel besonders perfide Brutalitäten besonders honoriert. So presst der Spieler umso mehr Geld aus den Opfern, je länger er sie quält. Er darf jedoch nicht übertreiben, weil sie dann zum Gegenangriff übergehen. Es wirkt fasst so, als sei die Spielfigur von einer Aura des Schreckens umgeben. Fährt sie durch die Straßen, springen Fußgänger auf den Bürgersteigen panisch zur Seite, wenn der Wagen nur wenige Meter an ihnen vorbeifährt.

Während im Film der Familienverband der Corleones an der Eskalationsspirale der Gewalt letztlich zerbricht, ist sie im Spiel legitimes Mittel, um den Spieler zum neuen Don und Oberhaupt aller Mafia-Clans in New York zu machen. Eigenständige Frauenrollen wie die der Kay Adams, die die Mafiamethoden grundsätzlich kritisierten, wurden aus dem Script gelöscht. Hätte man damals den Paten nach diesem Muster verfilmt, wäre nicht mehr als ein drittklassiger Action-Streifen daraus geworden.

Rein technisch hat Electronic Arts solide Arbeit geleistet. Die Figuren wurden aufwendig animiert und sehen der Filmvorlage sehr ähnlich. Zentrale Filmszenen erlebt der Spieler häufig an Rande seiner Missionen als Beobachter mit. Nicht im Film gezeigte Aufgaben, wie die Lieferung des blutigen Pferdekopfs oder das Verstecken von Michaels Pistole auf der Herrentoilette, übernimmt er selbst. Scheitert der Spieler an einer Mission, muss er nicht – wie sonst in GTA üblich - den kompletten Auftrag von vorne beginnen, sondern lediglich den letzten Teilabschnitt wiederholen, was dem Spielfluss sehr zugute kommt. Die Steuerung wurde Konsolen-Controller optimiert, am PC geht's mit Tastatur und Maus deutlich umständlicher.

Die New Yorker Stadteile der 40er und 50er Jahre wurden im Rechner detailliert nachgebaut – allerdings nur, was die Häuserfassaden angeht. Betritt man einen Friseur- oder Bäckerladen, sieht einer wie der andere aus. GTA San Andreas zeigte hier deutlich mehr Liebe zum Detail. Atmosphärisch fällt „Der Pate“ hinter „Mafia“ aus dem Jahr 2002 deutlich zurück.

Die Nebenaufträge erschöpfen sich bald in immer gleichen Schutzgelderpressungen und Mordaufträgen und langweilen schnell. Wer die 20 Missionen der Hauptkampagne nach rund 10 Stunden durchgespielt hat, für den gibt es kaum einen Grund, noch länger in Hell's Kitchen und Little Italy zu verweilen. (6) (Wertung: 1 = mickrig, 10 = gigantisch)

Für Oblivion entdecken Spieler die Langsamkeit und entwickeln ihre Figuren lieber gemächlich

Dass man einen virtuellen Sandkasten auf vielfältiger gestallten kann, zeigt Bethesda Softworks mit „The Elder Scrolls IV: Oblivion“ (PC, Xbox 360). Die Vorgänger waren monumentale Rollenspielschinken für die man von seinem Chef am besten ein mehrmonatiges Sabbatical beantragte. Normalsterbliche fanden nur schwer Zugang zu dem komplexen Regelsystem und freien Spielaufbau. Oblivion spart nicht am Umfang, ist jedoch wesentlich zugänglicher geworden, sodass selbst Anfänger und Neulinge schnell in die Welt eintauchen.

Man kann Oblivion auf völlig unterschiedliche Arten spielen. Als schneller Dieb und Bogenschütze, weiser Magier oder brachialer Schwertkämpfer. Die Fähigkeiten lassen sich aber auch beliebig kombinieren, indem man die Vorteile einiger Rassen mit speziellen Berufsklassen kombiniert. Dabei muss man sich nicht sofort entscheiden. Am Ende des Tutorials, bei dem der Spieler aus einem Gefängnis flieht, kann er seine Charaktereinstellungen noch mal in Ruhe überarbeiten.

Im Spiel verbessert man seine Fähigkeiten automatisch, indem man sie häufig anwendet. Da man sämtliche Bereiche in beliebiger Reihenfolge bereisen kann, passt Oblivion die Stärke der Gegner automatisch an die eigene Kampfkraft an. Dies führt paradoxerweise dazu, dass Spieler nicht wie in anderen Rollenspielen versuchen, ihre Spielfigur möglichst schnell in höhere Level zu hieven, sondern - im Gegenteil - auf diversen Fanseiten schon Tipps gehandelt werden, wie man den nächsten Levelaufstieg möglichst weit hinauszögern kann. Statt einseitiger Spezialisten sind in Oblivion Allround-Talente gefragt, die genau so gut einen Verdächtigen Verhören können, wie sie sich mit Schwert und Rüstung einem Ritter im Kampf stellen. Der Schwierigkeitsgrad lässt sich während des Spiels stufenlos anpassen.

Für Aufgaben gibt es häufig unterschiedliche Lösungswege: Ein Dieb versucht, unbemerkt an einer Wache vorbei zu schleichen, der Magier kann die Wahrnehmung seiner Feinde beeinflussen, der Barde überredet sie im Gespräch und der Krieger geht auf Konfrontation. Man sollte sich gut überlegen, ob man die Gesetze missachtet und andere Leute bestiehlt. Wenn diese dies merken, setzen sie ein Kopfgeld aus und Wachen nehmen den Spieler bei nächster Gelegenheit fest. Dann heißt es, entweder das Kopfgeld selbst zu bezahlen oder ins Gefängnis zu gehen, aus dem man nur schwer vorzeitig ausbrechen kann.

Jede Berufsgruppe hat ihre eigene Gilde, die ein besonderes Training zur Verbesserung der Fähigkeiten und spezielle Aufträge bereithält. Neben der Magier- und Krieger-Gilde gibt es auch geheime Diebes- und Mördergilden, denen man sich anschließen kann. Für Gut oder Böse muss sich der Spieler in einigen Missionen entscheiden, indem er zum Beispiel den Vorschriften der Gildenoberen folgt oder Dissidenten unterstützt, die mit der Gilde gebrochen haben. So findet man auch neben der Hauptgeschichte in jeder der neun Städte zahlreiche interessante Handlungsnebenstränge. Man darf sich etwa bei einer Gräfin als Detektiv betätigen, um den Dieb eines gestohlenen Gemäldes zu überführen oder den Mord an einem vermeintlichen Vampir aufklären. Charisma und Überredungskunst sind in Oblivion ebenso gefragt wie Kraft und Ausdauer.

Die Auswahl der Möglichkeiten, die Oblivion als Offline-Rollenspiel bietet, fand man bisher nur in Online-Titeln, die man teuer abonnieren muss. Wer sich auf die Missionen der Hauptgeschichte konzentriert, in der das Kaiserreich Cyrodiil von Dämonen überfallen wird, die durch seltsame Feuertore aus dem Reich Oblivion eindringen, dürfte nach rund 40 Stunden fertig sein. Um Oblivion alle Geheimnisse zu entlocken, braucht man weit über hundert Stunden. Dabei wird die Zeit nicht mehr wie bei Morrowind durch lange Fußmärsche künstlich in die Länge gezogen. Auf der Karte kann man sich nun auch per Mausklick direkt zu bereits besuchten Ruinen und Höhlen begeben oder zu den Städten reisen.

Qualitativ ist Bethesda nur wenige Kompromisse eingegangen. Dörfer und Katakomben gehorchen alle einer ähnlichen Architektur, nur einzelne Skulpturen und Gebäude ragen hervor. Die Dialoge mit den Bewohnern wurden komplett vertont. Die Gespräche erreichen allerdings nicht die Tiefe, wie man sie von "Baldurs Gate" oder "Planescape Torment" gewohnt ist. Das Inventar wirkt zwar schon aufgeräumter als in den Vorgängern und Aufträge lassen sich einfach nachverfolgen, die bloße Auflistung von Ausrüstungsgegenständen wirkt jedoch unübersichtlich.

Richtiggehend geschlampt wurde jedoch bei der Übersetzung. Englische und deutsche Textpassagen wurden an einigen Stellen wild durcheinander gewürfelt. Der Heilungszauber wurde mit dem Feuerball und der Fackel verwechselt. Die Fehler sind so störend, dass Spieler schon selbst eine verbesserte Übersetzung für die PC-Version veröffentlicht haben. Auf der Xbox 360 muss man sich bis zum nächsten offiziellen Patch gedulden.

Bethesda will am Spiel auch zukünftig verdienen und verkauft online bereits virtuelle Gegenstände für reales Geld. Eine Pferderüstung mit 200 Punkten kostet zum Beispiel zwei US-Dollar. Mit dem kostenlosen Editor kann man sich für die PC-Version derlei aber auch selbst programmieren oder auf den zahlreichen Fanseiten im Internet nach Modifikationen stöbern. Konsolenspieler bleiben hier leider außen vor.

Als Offline-Rollenspiel steht Oblivion in einer Reihe mit anderen Meilensteinen wie "Baldurs Gate 2". Die Unzulänglichkeiten wiegen gegenüber der Größe und Komplexität nur gering und dürften mit einigen Patches behoben werden. Lobend zu erwähnen sei noch, das Bethesda bei der PC-Version auf einen Kopierschutz verzichtet hat -- hoffentlich macht so ein Beispiel Schule. (9)

In Animal Crossing entspannen Spieler beim Pflücken virtueller Blumen

Ein häufiger Grund, warum Menschen sich nicht mit Videospielen beschäftigen, ist Zeitmangel. Sie sehen es al Zeitverschwendung an, über Wochen jeden Tag stundenlang irgendwelche virtuelle Abenteuer zu bestehen. Dies hat Nintendo erkannt und mit "Animal Crossing: Wild World" eine Dorfsimulation für die Taschenkonsole Nintendo DS herausgebracht, mit der man sich nur wenige Minuten am Tag beschäftigen muss. Sie ist der Gegenentwurf zur feindlichen Stadtkulisse in GTA. Der Spieler zieht in ein virtuelles Dorf ein, in dem bunte Blumen blühen und Waschbären, Enten und Füchse freundlich über den Gartenzaun winken.

Das hört sich nach Friede, Freude, Eierkuchen an und ist es auch. "Animal Crossing" ist so etwas wie die Chill Out Zone der Videospiele - virtuelles Easy Listening. Der Spieler pflanzt Blumen, erntet Orangen, sammelt Muscheln am Strand oder angelt nach Fischen im Fluss. Dreh und Angelpunkt des dörflichen Lebens ist der kleine Kaufmannsladen von Tom Nook, der die gesammelten Habseligkeiten aufkauft und neue Einrichtungsgegenstände für die anfangs noch kleine Hütte des Spielers anbietet. Im Schneiderladen kann man Stoffe bemalen und seine Figur neu einkleiden.

Anders als in anderen Spielen muss man hier keine Höchstleistungen vollbringen. In der Sternwarte hält er nach neuen Sternzeichen Ausschau, die nachts am Himmel blinken, oder kreiert eine neue Melodie für die Rathausuhr. Über Nintendo Wifi kann man andere Spieler in sein Dorf einladen und Nachrichten mit ihnen austauschen.

Das Besondere an Animal Crossing ist die Verknüpfung des Spiels mit der realen Zeit über den Kalender und die eingebaute Uhr des Nintendo DS. Wer um 1 Uhr nachts spielen will, steht bei Tom Nook vor verschlossenen Türen. Wenn man sich einige Wochen lang nicht im Dorf hat blicken lassen, jagen bereits Wanzen und Ungeziefer durchs Haus. Samstags ist immer Flohmarkt im Dorf. Im Frühling sprießen Blumen und im Winter schneit es. Mit der Zeit knüpft man Freundschaften zu den Tierbewohnern. Man verabredet sich zu einer bestimmten Zeit und muss zu dieser dann auch das Spiel einschalten. Wer Blumen züchten will, muss diese täglich gießen, sonst verdorren sie.

So schafft es Animal Crossing, als virtueller Spielplatz eine direkte Verbindung zum realen Leben des Spielers aufzubauen. Man besucht ihn immer mal wieder, so wie man einen Nachbarn oder Freund besuchen würde. In Japan wurde das Spiel inzwischen über 2 Millionen Mal verkauft. Es scheint fasst so, als suchten die vom realen Leben gestressten Städter im virtuellen Dorf Ruhe und Ausgleich. Besonders Kinder können hier in Ruhe ihre ersten Erfahrungen mit Videospielen sammeln, wobei sie allerdings lesen können sollten, um den Dialogen mit den Dorfbewohnern zu folgen.

Das grundlegende Konzept erinnert stark an die "Perky Pat" aus Philip K. Dicks Roman "Die drei Stigmata des Palmer Eldritch", in dem ein Konzern den geplagten Industrie- und Bergarbeitern eine virtuelle Scheinwelt verkauft, in die sie aus ihrer völlig trostlosen und verseuchten Umwelt fliehen konnten. Im Roman benötigten sie dazu noch die Droge Can-D. Spiele wie "Die Sims" oder "Animal Crossing" kommen ohne aus, funktionieren aber nach dem gleichen Prinzip wie Dicks Perky Pat vor vierzig Jahren. (7)