Stärkung der Polizei: ja - Kontrolle der Polizei: nein

Seite 2: Tabus berührt

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Mit der Forderung nach einer Kontrollinstanz, wie es ein Polizeibeauftragter darstellt, werden gleich zwei Tabus berührt. Erstens, dass es gesetzwidriges Verhalten von Polizisten gibt. Und zweitens, dass die Möglichkeiten, das zu unterbinden, offensichtlich ungenügend sind. Ging es zuletzt beim Gesetz zum Schutz von Vollstreckungsbeamten um die Stärkung der Institution Polizei, dann geht es jetzt hier um die Pazifizierung der Polizei und ihre demokratische Kontrolle.

Das ist das Ringen, das hinter allem steht - wie im Falle der Polizei auch beim BND- oder beim Verfassungsschutzgesetz.

Bei der Anhörung im Bundestag über das vorgeschlagene Bundespolizeibeauftragtengesetz (BPolBeauftrG) war dieses Ringen mit Händen greifbar, vor allem durch die unverklausuliert vorgetragene Abwehr von Vertretern aus dem Sicherheitsapparat.

Föderalismusprinzip

Eigentlich, diese Einschränkung muss zunächst erklärt werden, soll das neue Gesetz gar nicht die Polizei in ihrer Gesamtheit erfassen, sondern lediglich die Bundespolizei, das Bundeskriminalamt (BKA) und die Bundeszollverwaltung. Daher der Name Bundespolizeibeauftragtengesetz. Polizei ist Ländersache und Polizeibeauftragte wären es dementsprechend auch. Dieses Prinzip wird durch das Bundesgesetz respektiert. Ob das so sein muss, sei dahingestellt. Datenschutzbeauftragte gibt es sowohl in den Ländern als auch im Bund.

Nach dem Föderalismusprinzip könnte man umgekehrt auch die Institution Bundespolizei in Frage stellen. Denn wenn Polizei Ländersache ist, verbietet sich eine Bundespolizei. Dann würde aber ein Beauftragter für die Bundespolizei deren Existenz zementieren, als sie abzuschaffen.

Von dieser Debatte einmal abgesehen hätte ein Polizeibeauftragter auf Bundesebene, selbst wenn er nur für die Bundespolizei, das BKA und den Zoll zuständig ist, auf jeden Fall einen symbolischen Wert: Er ist eine Kontrollinstanz. Das allein reicht aus, um Abwehrreflexe auszulösen.

Die kamen bei der Anhörung nicht nur vom Präsidenten der Bundespolizei (Dieter Romann), der zugleich für das BKA sprach, weil dessen Präsident eine andere Veranstaltung vorgezogen hatte (s.u.), sondern auch von den Polizeigewerkschaftern Jörg Radek (stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft der Polizei/GdP) und Rainer Wendt (Vorsitzender der Deutschen Polizeigewerkschaft/DPolG). Alle drei sprachen sich gegen einen Polizeibeauftragten aus.

Ein solches Amt nehme die Bundespolizei in Generalverdacht. Außerdem gebe es ein funktionierendes System, das bei Verfehlungen, die von Einzelnen begangen würden, greift. (Radek) Die Selbstreinigungskräfte in der Bundespolizei seien gewährleistet. Ein Polizeibeauftragter stelle nicht nur ein institutionelles Misstrauen gegen die Polizei, sondern auch gegen die Staatsanwaltschaften dar und würde eine Vertuschungskultur fördern. (Wendt) In der Bundespolizei gebe es bereits eine gute Fehlerkultur. Die vor zwei Jahren geschaffene Vertrauensstelle, an die sich Beamte auch anonym wenden könnten, sei ihm direkt unterstellt. Außerdem gebe es ja bereits einen Polizeibeauftragten: Das sei der Präsident des Deutschen Bundestages. (Romann)

Ein anderer Vertreter des Polizeiapparates jedoch ist ganz anderer Meinung. Volker Schindler war 40 Jahre lang im Polizeidienst, zuletzt als Vizepräsident des Polizeipräsidiums Aalen. Seit wenigen Monaten ist er "Bürgerbeauftragter" des Landes Baden-Württemberg, ein Posten, der noch unter Grün-Rot eingerichtet und von Grün-Schwarz übernommen wurde.

Als Bürgerbeauftragter sei er auch Polizeibeauftragter, so Schindler. Früher sei er ebenfalls der Auffassung gewesen, man brauche keinen Polizeibeauftragten, das könne die Polizei selber. Heute sehe er das anders. Ein Polizeibeauftragter erhöhe das Vertrauen. Wichtig sei dessen Unabhängigkeit, außerdem dürfe er nicht dem Strafverfolgungszwang unterliegen. Nur so könne mit den Beschwerden und Anliegen einer Person offen umgegangen werden.

Individuelle oder strukturelle Ursachen?

Hat das Fehlverhalten eines Polizisten individuelle Ursachen oder strukturelle? Für Hartmut Aden, Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin, ist das die zentrale Frage bei der Entscheidung pro oder kontra Polizeibeauftragtem. Gegen die Argumentation vom Fehlverhalten Einzelner stellte er die Formel: Jedes Fehlverhalten eines Einzelnen hat strukturelle Ursachen. Sei es ein falsches Einsatzkonzept, seien es die Arbeitszeiten der Beamten. Oft sei es sogar so, dass sich der Einzelne in Strukturen einfüge und nicht mehr über individuelles Verhalten nachdenke.

Für Aden geht es insgesamt um eine verbesserte sogenannte "Fehlerkultur" innerhalb der Polizei. Man müsse aus Fehlern lernen, um sie abzuschaffen. Die Fälle Amri und NSU hätten gezeigt, woran es mangelt. Im Fall Amri sei man noch nicht weit genug in der Fehlersuche. Und aus den Fehlern im Fall NSU habe man noch nicht genug gelernt. Man verfüge inzwischen zwar über Kenntnisse zum Rechtsextremismus, habe aber noch keine ausreichende Reflexion über das V-Leute-Problem.

Es war kein Zufall, dass das Thema Polizeibeauftragter ausgerechnet bei diesen beiden Skandalfällen landete. NSU und Amri haben Handeln und Befugnisse der Sicherheitsorgane fundamental in Frage gestellt und die Notwendigkeit aufgeworfen, wie man mit ihnen in Zukunft umgeht. Und während die um ihre Macht kämpfen, kämpfen Vertreter der Zivilgesellschaft eben um deren Kontrolle.

Auch das Gesetz über einen unabhängigen Polizeibeauftragten, für das federführend die Bundestagsabgeordnete Irene Mihalic (Bündnisgrüne) steht, Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, bezieht sich explizit auf die Missstände und Fehler bei den NSU-Ermittlungen.

Zur selben Zeit, am Montag, als bei der Legislative, sprich: im Innenausschuss des Bundestages, um die Schaffung einer Kontrollinstanz für Bundespolizei und BKA debattiert wurde, versammelte sich die führende Nomenklatur der Exekutive (BKA, BND, Generalbundesanwalt) unter der Einladung des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu dessen jährlichen Symposium, um anschließend weitere Handlungsbefugnisse für Polizei und Nachrichtendienste zu fordern.

Begründet mit Terrorabwehr. Eine Demonstration - auch der eigenen Rücksichts- und Verantwortungslosigkeit. Trotz Verstrickung in eine Terrorserie, nämlich NSU, wie in deren Vertuschung, haben diese Organe in den letzten Jahren bereits mehr Gelder und mehr Kompetenzen erhalten. Den LKW-Anschlag in Berlin hat es nicht verhindert. Jetzt verlangen sie noch mehr.

Für diese Veranstaltung hatte sich BKA-Präsident Holger Münch entschieden, nicht für die des Parlamentes.

Nichts könnte den Machtkampf um die Kontrolle dieser Exekutive besser symbolisieren. 1