Stauffenberg: Die wirklich wahre Geschichte
Interview mit dem Stauffenberg-Biografen Peter Hoffmann
Am Donnerstag ist nach mehrmaliger Verschiebung "Operation Walküre - Das Stauffenberg-Attentat" in den Kinos gestartet. Kaum ein Film wurde bereits vor Abschluss der Dreharbeiten so stark kritisiert. Man fürchtete, Hollywood würde den Film zu einem Actionreißer jenseits aller historischer Tatsachen machen. Hauptdarsteller und bekennendem Scientologen Tom Cruise wurde die Fähigkeit abgesprochen, eine Figur wie Stauffenberg zu verkörpern. Zuletzt fühlte der obligate Historiker Guido Knopp sich rechtzeitig zum Kinostart dazu aufgerufen, zu "Stauffenberg - Die wahre Geschichte" zu erzählen. Weshalb "Operation Walküre" aber manche bundesdeutsche "Hitlerette" in den Schatten stellt, erzählt uns der Stauffenberg-Biograf Peter Hoffmann.
Sie haben sich nachträglich von dem deutschen Film "Stauffenberg" aus dem Jahr 2004, bei dem Sie als historischer Berater mitgewirkt haben, distanziert. Warum?
Peter Hoffmann: Weil mein Rat nicht angenommen wurde. Man hat Stauffenberg in die Nähe der Nazis gerückt. Z. B. hat er sich nicht während einer Wagneroper in Anwesenheit Hitlers mit seiner späteren Frau verlobt. Die Offiziere haben in dem Film ständig mit dem Hitlergruß gegrüßt. Das hat es vor dem 20. Juli 1944 aber nicht gegeben. Auch die Begegnung mit Henning von Tresckow und einem ukrainischen Mädchen, das von Gräueltaten berichtete, hat nie stattgefunden. Und Stauffenberg hat sich nach der Schilderung dieser Gräultaten nicht auf seinen Eid berufen. Das ist eine Travestie. Man hat Fellgiebel volltrunken und mit offener Hose vor einem Pissoir auf dem Boden liegen sehen. Das ist keine positive Darstellung des Widerstandes. In dieser Weise hat der Film die Geschichte verfälscht. Eine besondere Verletzung der damals noch lebenden Witwe Stauffenbergs war, dass es in dem Film so dargestellt wurde, als wären sie und ihr Mann vor dem Attentat im Streit auseinander gegangen.
Und was ist an "Operation Walküre" jetzt so anders?
Peter Hoffmann: Der Film ist eine wesentlich bessere Darstellung der historischen Ereignisse und begegnet den Widerständlern wie Beck, Goerdeler, Stauffenberg, Tresckow, Mertz von Quirnheim und Haeften mit Respekt und Ehrerbietung, aber auch der Witwe Nina Gräfin Stauffenberg. Die Autoren des Drehbuchs haben von Anfang an einen anständigen Film machen wollen, keinen Sensations- oder Kolportagefilm. Christopher McQuarrie hat auch nicht gedacht, dass das Projekt überhaupt je zu einem Film wird. Sein Freund Bryan Singer hat davon gehört und meinte, daraus müsste man doch etwas machen, allerdings nur einen kleinen Film. Schließlich hat Tom Cruise davon erfahren und als Miteigentümer von United Artist seine Unterstützung angeboten.
"Operation Walküre" ist in Deutschland bereits lange vor Abschluss der Dreharbeiten niedergemacht worden. Nun ist er angelaufen und stellt sämtliche deutschen Filme zum Attentat vom 20. Juli scheinbar in den Schatten. Weshalb kann Hollywood im Gegensatz zu den deutschen Filmemachern die deutsche Geschichte verfilmen, ohne dass es zu peinlichen Geschichtsklitterungen kommt?
Peter Hoffmann: Hollywood ist schon eine Pauschalisierung. Hier geht es um die Drehbuchautoren Christopher McQuarrie und Nathan Alexander, den Regisseur Bryan Singer und schließlich Tom Cruise, aber nicht um Hollywood.
Ich konnte mich davon überzeugen, dass sich die Drehbuchautoren von mir beraten ließen. Das war für mich nach meinen Erfahrungen mit "Stauffenberg" von Jo Baier nicht selbstverständlich. Sie haben mich überzeugt, dass sie vor der Sache Respekt haben. Sie haben auch nicht den typisch deutschen Hintergrund wie den Historikerstreit usw. In Amerika herrscht dafür ein ganz anderes Handycap: Dort glaubt man, ein Offizier der Wehrmacht könne nur Nazi gewesen sein. Das Klischee widerlegen sie jetzt. Der Film ist ein Wendepunkt nicht nur in der Darstellung Stauffenbergs in Amerika, sondern in der Welt. Als Historiker soll man eigentlich keine Vermutungen aussprechen, aber ich tue es dennoch: Ich gehe davon aus, dass der Film auch in Deutschland eine entsprechende Wirkung haben wird.
War Stauffenberg antisemitisch?
"Operation Walküre" wird vorgeworfen, die Entwicklung Stauffenbergs vom Mitläufer zum Nazi-Gegner auszublenden. Es kann wohl niemand besser beurteilen als Sie: War es falsch, das wegzulassen?
Peter Hoffmann: Der Film ist ein Actionfilm von 120 Minuten und handelt vom 20. Juli und seiner unmittelbaren Vorgeschichte. Er bezieht sogar den Attentatversuch von Henning von Tresckow von 1943 mit ein. Aber irgendwo hat ein Film Grenzen - schließlich kann man darin keine Vorträge halten. Die Entwicklung Stauffenbergs von einem 26- zu einem 36-jährigen Mann darzustellen, wäre schwierig und umständlich gewesen und hätte die Zuschauer wahrscheinlich nur gelangweilt.
Der deutsche Film "Stauffenberg" unternimmt ja den Versuch, diese Entwicklung anzudeuten, indem ein Feldpostbrief Stauffenbergs an seine Frau zitiert wird, der eindeutig antisemitisch ist. Sie haben dagegen protestiert. Weshalb?
Peter Hoffmann: Das ist doch keine Entwicklung, lieber Herr Nissen! Das hat doch mit Entwicklung nichts zu tun. In dem Feldpostbrief hat er Beobachtungen wiedergegeben. Nun stürzt man sich auf die drei Worte aus Stauffenbergs gesamtem Leben: "sehr viele Juden", und zieht daraus den Schluss, er sei Antisemit gewesen. Jetzt frage ich Sie: Wenn ich durch New York gehe und schreibe danach meiner Frau, ich sah "sehr viele Schwarze" oder hörte "sehr viele Spanisch sprechen", bin ich dann Rassist oder Nazi?
Er schreibt aber im selben Satz, es gebe dort in Polen "unglaublichen Pöbel", und zählt dazu scheinbar die Juden.
Peter Hoffmann: Von 1918 bis 1921 wurden in Polen 150.000 Juden umgebracht - wer soll das getan haben, wenn nicht ein Pöbel? Stauffenberg war als Quartiermeister für die Versorgung der Truppe zuständig und musste sich mit Diebstählen sowohl von deutschen Soldaten als auch vom Pöbel herumschlagen. Was soll daran falsch sein, den Pöbel als Pöbel zu bezeichnen?
Wissen Sie denn mit Sicherheit, dass dieser Brief unter dem Eindruck von irgendwelchen Diebstählen geschrieben wurde?
Peter Hoffmann: Natürlich. Stauffenberg schreibt unter dem Eindruck seiner Beobachtungen. Ich kann nur immer wieder wiederholen: Er hat Beobachtungen gemacht, nicht verurteilt. Er hat auch sehr lobende Worte gefunden zur Arbeitsamkeit der Polen und der Kampfkraft und dem Mut der polnischen Soldaten. Eine Übereinstimmung mit der NS-Ideologie lässt sich in seinen Briefen überhaupt nicht feststellen. Es ist zu einfach, drei Worte hervorzusuchen und zu sagen: "Aha, Antisemit, Nazi" usw. Man muss die Aussage analysieren und im Zusammenhang sehen. Als Historiker habe ich die Aufgabe, den Zusammenhang zu ermitteln und zu vermitteln, und nicht Informationsfetzen von mir zu geben.
In Deutschland fällt es den Kulturschaffenden scheinbar immer leicht, die toten Helden zu verehren. Aber kaum ein Film widmet sich den Erlebnissen der Familien der Attentäter oder den überlebenden Widerständlern wie Rudolf-Christoph Freiherr von Gersdorff in der Bundesrepublik.
Peter Hoffmann: Das war ein Skandal in den Nachkriegsjahren: Erst nachdem man die Nazi-Beamten wieder in den Staatsdienst übernommen hat, hat man die Widerständler rehabilitiert. Aber dazu mussten sie Anträge stellen und nachweisen, dass sie gelitten haben - viele haben sich diese Erniedrigung erspart. Die Kommunisten wurden grundsätzlich von der Wiedergutmachung ausgeschlossen, insbesondere nach dem Verbot der KPD 1956. Darauf müssten wir wirklich mehr eingehen. Aber nicht nur telefonieren. Wir bräuchten schon ein paar Tage, um das abzuhandeln. Aber Sie müssen auch bedenken, dass Filmemacher an das Publikum und den Erfolg denken. Mit Mitleidsgeschichten kommt man nicht so weit.
Keine Nation der Welt hat sich so gequält und geplagt mit ihrer Vergangenheit wie die deutsche
In Deutschland gibt es zunehmend die Tendenz, das Gute in der eigenen Geschichte überzubetonen und sich selbst zunehmend als Opfer darzustellen, während die dunklen Seiten tabuisiert werden.
Peter Hoffmann: Ich kenne zu wenige deutsche Filme, um das beurteilen zu können. Aber der öffentliche Dialog geht eigentlich mehr in eine andere Richtung. Es gibt zwar das Geschrei in manchen Zeitungen, dass irgendwas nationalistisch sei, aber die vorherrschenden Themen sind nach wie vor die Schuld und die Verbrechen. Denken Sie an die Wehrmachtsausstellung. Keine Nation der Welt hat sich so gequält und geplagt mit ihrer Vergangenheit wie die deutsche.
Kritiker meinen, in "Operation Walküre" würde die Person Stauffenberg zu sehr in den Vordergrund gestellt, der den anderen Widerständlern gezeigt habe, wo es langgeht. Wie groß war Stauffenbergs Anteil an der Verschwörung wirklich?
Peter Hoffmann: Darauf kann ich ganz kurz antworten: Ohne die Energie Stauffenbergs wäre es nicht zum 20. Juli gekommen.
Es ist also kein Gerücht, dass die Widerstandsgruppen wie der Goerdeler-Kreis und der Kreisauer Kreis nur Debattierrunden waren, in denen großartige Verfassungsentwürfe diskutiert wurden, die aber vor der notwendigen Konsequenz, Hitler zu töten, zurückschreckten?
Peter Hoffmann: Goerdeler war selbst innerlich zerrissen. Er hielt ein Attentat für gegen die göttliche Ordnung, und sagte, als er vom Scheitern des Attentats erfuhr, Gott habe sie alle gestraft. Aber er wollte das Ergebnis des Attentats. Es war die Frage, ob man seinen christlichen Prinzipien untreu werden und einen Menschen ermorden soll, um andere zu retten. Bonhoeffer hingegen hat gesagt, dass der Mensch gegenüber dem Unrecht handeln soll, und wenn er dabei zum Sünder wird, hofft er auf Gottes Vergebung.
Werden die anderen Widerständler in dem Film unterbewertet? Eine bedeutende Person aus dem militärischen Widerstand, Wessel von Freytag-Loringhoven, wurde sogar mit einer anderen Figur verschmolzen.
Peter Hoffmann: Für den, der historische Vollständigkeit haben will, ist das natürlich bedauerlich. Das geht aber nicht in so einem Film. Aber McQuarrie kann den Film als dramatisches Werk sicherlich besser verteidigen als ich. Ich kann Ihnen nur sagen, was historisch richtig und falsch ist. Wenn Sie Schillers Drama "Wallenstein" nehmen, werden sie auch Dinge finden, die fehlen, obwohl Schiller ein Buch über den Dreißigjährigen Krieg verfasst hat. Wenn ein Dramatiker versucht, alles vollständig darzustellen, wird er zum Antiquar, und kein Mensch geht mehr in den Film.
Stauffenberg war kein politischer Denker
Wie war Stauffenberg wirklich? Kann Tom Cruise ihn so darstellen, wie er war?
Peter Hoffmann: Ich muss sagen, er spielt ihn gut. Er hat sich hineingedacht in die Rolle und wirkt auf mich überzeugend. Es gibt Leute, die sagen, er sei zu kalt, und man sehe nur Tom Cruise und nicht Stauffenberg. Aber das sind Leute, die sehr viel Tom Cruise gesehen haben. Ich habe Tom Cruise seit "Rain Man" nicht mehr gesehen. Wer den Film vorurteilsfrei sieht, sieht schon Stauffenberg.
Stauffenberg war wohl kein Demokrat. Seine Ideen sind geprägt von der Auffassung, dass das Volk von einer moralisch überlegenen Elite regiert werden müsse. Ist die Verehrung, die ihm zuteil wird, vielleicht auch problematisch?
Peter Hoffmann: Auch Stauffenberg hat sich zu den Zielen der Goerdeler-Kreises bekannt, zu denen die Wiederherstellung der Weimarer Verfassung gehörte. Er hat während der ganzen Zeit der Weimarer Republik nie etwas auf die Republik kommen lassen. Wenn seine Kameraden die Fahne verächtlich gemacht haben, hat er sich das verbeten. Das heißt nicht, dass Stauffenberg ein leidenschaftlicher, glühender Demokrat gewesen wäre, aber er war auch nicht der Antidemokrat, als den man ihn gerne hinstellt. Er war eigentlich überhaupt kein politischer Denker. Man darf nicht zu viel von ihm erwarten.
Er war doch der Auffassung, dass das deutsche Volk von einer moralisch überlegenen Elite geführt werden müsse, wobei er wohl an den Adel dachte. Zusammen mit seinem Bruder verfasste er wenige Tage vor dem 20. Juli einen Eid mit den Worten: "Wir wollen eine Ordnung, die alle Deutschen zu Trägern des Staates macht und ihnen Recht und Gerechtigkeit verbürgt, verachten aber die Gleichheitslüge und beugen uns vor den naturgegebenen Rängen." Bei dieser Frage beziehe ich mich übrigens auf einen Essay Ihres Schülers Steven Krolak über die politischen Vorstellungen von Claus Stauffenberg.
Peter Hoffmann: Aber er meinte Elite im Sinne des lateinischen Wortes "eligere", also "Auserwählte" - wobei das nicht unbedingt demokratisch Gewählte bedeuten muss, wie bei Managern. Aber ohne Elite kann keine Gesellschaft existieren. Das wollen wir doch. Auch Politiker sind Elite. Vielleicht wollen Sie nicht gerade Herrn Koch. Aber wenn der nicht gewählt wäre, wäre ein anderer Angehöriger der Elite.
: Und weshalb scheiterte Stauffenberg?
Peter Hoffmann: Erstens aus dem ganz praktischen Grund, dass er nicht den gesamten Sprengstoff, den er mitgenommen hatte, schärfen konnte. Er wurde ja während des Schärfens gestört. Aber das wissen Sie sicherlich.
Der andere Grund ist, dass seine Mitstreiter, und hier muss ich leider Namen nennen: Generalmajor Stieff, General Olbricht, General Wagner, ja sogar General Fellgiebel, nicht mit ihrer ganzen Person und ihrer ganzen Kraft hinter Stauffenberg standen. Er hat schon am 15. Juli erfahren, dass man ihm in den Rücken fällt. Am Vorabend hat man bedauert, dass so viele hohe Offiziere bei dem Attentat sterben müssten, aber es ginge nicht anders. Am Morgen des 15. Juli hat Mertz von Quirnheim dann das Wachbataillon und die Heeresschulen um Berlin alarmiert. Stauffenberg war bereits in der Wolfsschanze, als Stieff ihm mitteilte, dass die Generale in seiner Abwesenheit beschlossen hätten, dass das Attentat nur stattfinden dürfe, wenn Himmler dabei wäre. Himmler war nicht dabei, und Stauffenberg sah sich sabotiert. Er hat in diesem Augenblick festgestellt, dass er letzten Endes allein sei.
So etwas kann man oft beobachten. Z. B. hat sich ein Diplomat und Hauptmann der Reserve namens Hasso von Etzdorf 1939 zu einem Attentat bereiterklärt. Sobald er seinen Entschluss mitgeteilt hatte, merkte er, wie alle von ihm zurückgewichen sind. Er war plötzlich allein. Eine furchtbare Erfahrung für einen Menschen, der bereit ist, sein Leben zu opfern, und sich darauf verlassen muss, dass das Opfer nicht umsonst ist.
Ich danke für das Gespräch!