Stehen wir vor dem Ende des Gaza-Kriegs?

US-Präsident Joe Biden und der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu bei einem Treffen im Oktober 2023 in Tel Aviv. Bild: Evan Vucci / Public Domain

Biden hat einen Plan Israels für einen Waffenstillstand vorgestellt. Jetzt herrscht große Konfusion. Wird Netanjahu seinem eigenen Vorschlag zustimmen? Eine Einordnung.

Nach fast acht Monaten Krieg hat US-Präsident Joe Biden am Freitag einen Plan für einen Waffenstillstand im Gazastreifen präsentiert. Er beschrieb drei Phasen, in denen Gefangene beider Seiten freigelassen werden, Bewohner in den Norden des Gazastreifens zurückkehren können und nach dem vollständigen Rückzug der israelischen Truppen mit dem Wiederaufbau des verwüsteten Gebiets begonnen wird.

Langfristige Perspektive auf Frieden

Es soll sich dabei, so Biden, um einen Vorschlag von Israel handeln. Die Hamas hat bereits bei früheren Verhandlungen die gleichen Bedingungen für einen Waffenstillstand akzeptiert und äußerte sich umgehend, dass man dem Vorschlag positiv gegenüberstehe.

Es sieht also auf den ersten Blick gut aus: Alle relevanten Parteien, Israel, die Hamas und die USA, stehen im Prinzip hinter dem Plan. Der Gaza-Krieg könnte demnach kurz vor seinem Ende stehen. Doch ist dem so?

Zuerst einmal: Bidens Plan stellt tatsächlich einen großen Fortschritt dar, auch wenn die Initiative viel zu spät kommt, nach 36.000 Toten in Gaza, einer voranschreitenden Hungersnot in der Enklave, da Israel die Hilfslieferungen über die Grenzübergänge extrem herunterdrosselte, und einem fast komplett zerstörten Gebiet, in dem die Infrastruktur nicht mehr funktionsfähig ist.

Die Bedingungen für den Waffenstillstand sind nicht neu, aber zum ersten Mal enthält ein offizielles Angebot eine langfristige Perspektive auf Frieden. Dieses Element hat bisher immer gefehlt. Die Schritte dahin sollen wie folgt aussehen:

Die drei Phasen

In der ersten Phase des Plans würde eine sechswöchige Waffenruhe gelten, während der sich die israelische Armee aus den bewohnten Gebieten des Gazastreifens zurückziehen würde.

Einige israelische Gefangene würden gegen Hunderte von palästinensischen Gefangenen ausgetauscht werden. Die Zivilbevölkerung dürfte sich im gesamten Gazastreifen, einschließlich des Nordens, frei bewegen, und 600 Lastwagen würden täglich humanitäre Hilfe in die Enklave bringen.

In der zweiten Phase würden die Hamas und Israel die Bedingungen für ein dauerhaftes Ende der Feindseligkeiten aushandeln, obwohl Biden sagte, dass die Waffenruhe so lange andauern würde, "wie die Verhandlungen andauern".

Die dritte Phase des Plans würde einen dauerhaften Waffenstillstand beinhalten, der den Wiederaufbau der Enklave ermöglichen würde, sowie ein endgültiges Ende des Kriegs.

Kommt der Plan von Israel?

Soweit so gut. Doch ein Ende des Gaza-Kriegs ist weiter ungewiss, trotz der begrüßenswerten US-Initiative. Denn Israel hat dem Plan bisher nicht zugestimmt und es ist angesichts der Äußerungen von Benjamin Netanjahu, Vertretern aus der Regierungskoalition und seiner Partei unklar, ob es sich überhaupt in dieser Form um einen Vorschlag Israels handelt.

Netanjahu konterkarierte die Erklärung des US-Präsidenten fast umgehend und nannte den Plan am Samstag einen "Rohrkrepierer". Seitdem hat er den neuen Vorschlag, der an die Hamas weitergeleitet wurde, zwar widerwillig zur Kenntnis genommen, aber Berichten zufolge auch seinen politischen Partnern versichert, dass "der Krieg nicht enden würde und die Chancen auf eine Einigung gering seien".

Es wirft natürlich Fragen auf, wenn der US-Präsident öffentlich einen Vorschlag Israels an die Hamas präsentiert, und kurze Zeit später antwortet der israelische Premierminister, man habe andere Vorstellungen. Es könne, so Netanjahu, nur eine vorübergehende Waffenruhe geben, 42 Tage lang, um die Geiseln nach Israel zu bringen. Danach werde das Kämpfen weitergehen. Das steht in direktem Widerspruch zu Bidens Worten.

Zugleich drohten zwei rechtsextreme Mitglieder der israelischen Regierung – der Finanzminister Bezalel Smotrich und der Minister für nationale Sicherheit Itamar Ben-Gvir –, Netanjahus Regierung zu verlassen, falls er den Waffenstillstandsvorschlag unterstützt.

Konstruktive Zweideutigkeit

Auch große Teile aus Netanjahus eigener Likud-Partei haben den Plan zurückgewiesen. Ein Berater von Netanjahu erklärte jedoch, Israel habe dem Rahmen des Abkommens zugestimmt.

Nun zerbrechen sich die Experten die Köpfe darüber, was hinter dem Vorgehen Bidens steckt. Der ehemalige israelische Unterhändler bei Friedensverhandlungen und Präsident des U.S./Middle East Project, Daniel Levy, vermutet, es könnte sich um eine strategische Operation der Biden-Regierung handeln.

So hat der US-Präsident in seinem Statement betont, dass der Plan vorteilhaft für Israel sei und die israelische Regierung ihn daher annehmen solle – einen Plan, den Tel Aviv doch mutmaßlich selbst der Hamas anbietet. Levy erklärt den Vorgang wie folgt:

Ich bin der festen Überzeugung, dass es manchmal einen Platz für konstruktive Zweideutigkeit gibt, um etwas voranzubringen, und manchmal braucht man ein wenig poetische Freiheit.