Steht uns dieses Jahr ein Crash an den Finanzmärkten bevor?

Seite 3: Hohe Vermögenspreise, Gelddrucken der Notenbanken und steigende Inflation

Die Finanz- und Schuldenkrise 2007-2009 wurde durch zu hohe Immobilienpreise ausgelöst. Als die Immobilienblase platzte, begann die Finanzkrise.

Heute sind die Immobilienpreise in USA und Großbritannien, verglichen mit den Median- bzw. Durchschnittseinkommen genauso hoch wie bei Ausbruch der Immobilienkrise, in vielen anderen Ländern der Erde deutlich teurer als 2007.3

Aktien, vordergründig US-Aktien, sind heute so teuer wie fast noch nie in der Geschichte. Das Shiller-PE-Ratio des S&P 500 ist derzeit mit 40,3 etwa zweieinhalb Mal so hoch wie im Durchschnitt der letzten 150 Jahre: Man muss heute für einen Dollar Unternehmensgewinn einen zweieinhalb Mal so hohen Aktienpreis bezahlen wie in den letzten eineinhalb Jahrhunderten. Nur 1929 und 2000 waren Aktien ähnlich teuer wie heute. Beide Male kam es kurz darauf zu einem Börsencrash.

Die Notenbanken der Industrieländer haben seit 2007 die Zentralbankgeldmenge in einem Ausmaß erhöht, das es noch nie in der Geschichte gab. Die US-Notenbank FED hat von 2006 bis heute ihre Bilanzsumme etwa verelffacht, die EZB etwa verachtfacht.

Das viele neu geschöpfte Geld ist in den vergangenen 15 Jahren im Wesentlichen auf Girokonten, v.a. von Großunternehmen oder großen Finanzinstituten geparkt worden sowie in den Kauf von Vermögensgegenständen geflossen und hat die Immobilien- und Aktienhausse mitverursacht.

Ein Teil des Geldes scheint nun in Umlauf zu kommen und zu allgemein steigenden Preisen zu führen. In Deutschland betrug die Inflation im November 5,2 Prozent, in den USA 6,8 Prozent.

Die anziehende Inflation führt dazu, dass nun das Gelddrucken der Notenbanken langsam zurückgeführt und die Notenbankzinsen in einigen Industrieländern angehoben werden, um der Inflation entgegenzuwirken.

Steigende Zinsen sind jedoch Gift für die Anleihemärkte. Wenn die Zinsen steigen, fallen die Kurse von Anleihen, die Bondhalter erleiden Verluste und die Refinanzierung für die Schuldner wird – zumindest nominal – teurer.

Diese Entwicklung dürfte besonders für schwache Schuldnernationen wie Entwicklungsländer sowie für bonitätsschwache Schuldner in Industrieländern kritisch sein.

Was kommt?

Und damit komme ich zurück auf die eingangs beschriebenen vier Entwicklungen, den neuen Schuldenhöchststand, die zunehmende Ungleichverteilung, die stark steigenden Lebensmittelpreise und die stark zunehmende Unterernährung.

Tritt nun eine Zinserhöhung in einigen Industrieländern ein, bedeutet das auch eine Verteuerung von Krediten für die Entwicklungsländer und dürfte zu einem geringeren Kreditstrom an bonitätsschwache Schuldner oder gar zu Netto-Rückforderungen von Schulden führen.

Solche Rückforderungen könnten bonitätsschwache Schuldner leicht in Finanznöte bringen und so eine allgemeine Bank-, Anleihemarkt- und Finanzkrise bewirken. Diese Entwicklungen treffen auf einen enorm hoch bewerteten Aktien- und Immobilienmarkt. Das ist eine gefährliche Gemengelage mit einem hohen Absturzpotenzial. 2022 könnte ein Crash-Jahr werden.

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD). Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Mitglied bei ver.di und Christen für gerechte Wirtschaftsordnung. Mehr auf seiner Homepage