Steigen Indiens Emissionen mit wachsender Bevölkerung?

Mit einem solarbetriebenen Bewässerungssystem gepumptes Wasser in Bihar, Indien, das für die Fischzucht verwendet wird. Bild: Ayush Manik / CC BY-NC-SA 2.0

Energie und Klima - kompakt: Mehr Menschen leben nun in Indien als in China – Tendenz steigend. Bedeutet das auch automatisch mehr Treibhausgase? Warum die Emissionen deutlich stärker von anderen Faktoren abhängen.

Nach Berechnungen des Science Media Center (SMC) auf Grundlage von Daten der Vereinten Nationen hat Indien seit dem 14. April 2023 mehr Einwohner:innen als China.

Beide Länder liegen ungefähr bei einer Bevölkerung von etwas mehr als 1,4 Milliarden, und obwohl sich diese Zahl natürlich nicht exakt bestimmen lässt – und daher nicht der Tag, an dem Indien China überholt – ist die Tendenz deutlich: China scheint nach den Szenarien von Demograf:innen den Scheitelpunkt der Bevölkerungsentwicklung erreicht zu haben, während die indische Bevölkerung weiter wächst.

Was letztere angeht, unterscheiden sich die vom SMC angeführten verschiedenen Szenarien der UN und des Wittgenstein Centre stark: In einigen beginnt die indische Bevölkerung in der zweiten Hälfte des 21. Jahrhunderts zu schrumpfen, in anderen setzt sich das Bevölkerungswachstum bis zum Ende des Jahrhunderts weiter fort.

China und Indien spielen bei der weiteren Entwicklung der globalen Treibhausgasemissionen eine wichtige Rolle. Allerdings ist die reine Bevölkerungszahl in den beiden Ländern dabei weniger entscheidend als die wirtschaftliche Entwicklung und die im Land verwendeten Energieträger. Chinas Pro-Kopf-Emissionen lagen im Jahr 2021 bei acht Tonnen, Indiens bei knapp zwei Tonnen.

Andererseits verspricht China bis zum Jahr 2060 Klimaneutralität und der Ausbau der erneuerbaren Energien schreitet wie in keinem anderen Land der Erde voran. Nach Berechnungen des Climate Action Tracker ist all dies jedoch nicht ausreichend, um die Erderwärmung im Rahmen der Pariser Klimaziele zu halten (https://climateactiontracker.org/countries/china/), würden sich alle Länder verhalten wie China, würde die durchschnittliche Erwärmung mindestens drei Grad Celsius betragen.

Indien strebt die Klimaneutralität erst bis zum Jahr 2070 an und betreibt ebenfalls einen ambitionierten Ausbau seiner erneuerbaren Energiequellen. Bis 2030 sollen 500 Gigawatt an neuen Kapazitäten zur erneuerbaren Energieerzeugung installiert werden.

"Die Ausbauziele sind extrem unrealistisch. Premierminister Narendra Modi hat im Jahr 2014 das Ziel gesetzt, bis 2022 mindestens 175 Gigawatt Erneuerbare zu installieren, davon 100 Gigawatt Solar- und 60 Gigawatt Windenergie. Indien hat das Ziel um etwa 30 Prozent verfehlt", sagte Aniruddh Mohan, Wissenschaftler am Andlinger Center for Energy and the Environment an der Princeton University auf Anfrage des Science Media Center, und:

Das Tempo, mit dem die Erneuerbaren ausgebaut werden, wird in diesem Jahrzehnt sogar noch schwieriger zu steigern sein. Ein Grund ist, dass die besten Standorte schon vergeben sind und der Kauf neuen Landes immer schwieriger wird.

Gleichzeitig ist Indien in hohem Maß von Kohlestrom abhängig. Nach Angaben von Tilman Altenburg, Leiter des Forschungsprogramms Transformation der Wirtschafts- und Sozialsysteme am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik deckt sie 44 Prozent des indischen Energiebedarfs.

Für die Entwicklung der zukünftigen Emissionen Indiens ist aber auch die wirtschaftliche Entwicklung entscheidend und ob es möglich sein wird, Wirtschaftswachstum und Entwicklung durch Effizienzsteigerungen und den Umstieg auf grüne Energien zu entkoppeln. Derzeit wächst Chinas Wirtschaft um fünf bis sieben Prozent.

Einer Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA) zufolge könnte sich der Energiebedarf von 2020 bis zum Jahr 2040 verdoppeln. Die Energieintensität des Bruttoinlandsprodukts liegt in Indien niedriger als in China, jedoch höher als in Deutschland, genauso sieht es bei der Kohlenstoffintensität der Energie aus – also wie viel CO2 je erzeugter Energieeinheit freigesetzt wird.

Allerdings sollte man bedenken: Die Energieintensität des BIP ist eine trügerische Größe, da sie Handelsbilanzen nicht berücksichtigt. Importiert beispielsweise Deutschland viele kohlenstoffintensive Produkte oder Vorprodukte, dann taucht das dafür ausgestoßene CO2 in der Bilanz des Exportlandes auf.

Aniruddh Mohan schätzt die Chancen Indiens, die Wirtschaftsleistung weniger kohlenstoffintensiv zu steigern als China das in der Vergangenheit getan hat aufgrund der heutigen Umweltstandards und des technischen Fortschritts als gut ein. Während der Phase des starken Wachstums der chinesischen Wirtschaft in den 1980er- und 1990er-Jahren hätte es hingegen weniger Verbindlichkeit bei Umweltschutzstandards gegeben.

Trotzdem ist es unwahrscheinlich, dass die indischen Emissionen in den 2020er-Jahren ihren Höhepunkt erreichen werden. Der Energiebedarf Indiens wächst stetig. Das bedeutet, dass beispielsweise der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht unbedingt zu einer Verringerung der Emissionen führt, sondern lediglich den neuen Bedarf deckt,

… bilanziert Mohan. Auch Miriam Prys-Hansen, Leiterin des Forschungsschwerpunkts Globale Ordnungen und Außenpolitiken am Leibniz-Institut für Globale und Regionale Studien (GIGA) sieht eine Entkopplung, die zu gleichzeitigem Wirtschaftswachstum und einer Senkung der Emissionen führt, als unrealistisch an. Dennoch stünde Indien mit seinen niedrigen Pro-Kopf-Emissionen sehr viel besser da als China, wenn die Energieproduktion bei gleichbleibenden Emissionen gesteigert würde.

Unter dem Strich lässt sich wohl bilanzieren, dass die Bevölkerungsentwicklung alleine nicht entscheidend ist für die Klimabilanz der bevölkerungsreichsten Länder der Erde, sondern dass hier die Weichenstellungen für das Energiesystem, die wirtschaftliche Entwicklung und das Einkommensniveau der Bevölkerung eine weitaus stärkere Rolle spielen werden.

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