Steigende Energiepreise: "Über Spekulation wird bisher ja überhaupt nicht gesprochen"

Der Ökonom Heiner Flassbeck über russische Gasimporte, Joachim Gauck und einen verschwiegenen Grund der Preisexplosion

Herr Flassbeck, vor dem Hintergrund des Kriegsgeschehens in der Ukraine wird derzeit viel über die Macht Russlands auf den Energiemärkten gesprochen. Die Grundfrage scheint mir: Können wir denn überhaupt auf Energieträger aus Russland verzichten?

Heiner Flassbeck: Ganz kurzfristig sicher nicht, oder nur unter großen Schmerzen. Aber ich halte das auch für gar keine vernünftige Perspektive. Wir müssen stattdessen wieder eine Friedensperspektive entwickeln. Und das darf dann eben nicht heißen, dass wir eine Mauer rund um Russland bauen und den Handel mit Russland aussetzen.

Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hat wegen des Kriegs in der Ukraine eine totale und sofortige Handelsblockade gegen Russland gefordert …

Heiner Flassbeck: Russland von vornherein und grundsätzlich vom Handel auszuschließen, halte ich für falsch. Egal, wer in dem Land an der Macht ist: Man muss nach dem akuten Konflikt wieder zu normalen Beziehungen zurückfinden. Es gibt einen weltweiten, gewaltigen Ölmarkt, da spielt Russland eine wichtige Rolle und man wird auch keine weltweite Klimastrategie entwickeln können ohne diesen großen Player.

Jenseits der heutigen Emotionen muss man dafür sorgen, dass es wieder friedliche Beziehungen gibt und dass alle relevanten Akteure miteinander kooperieren.

Der ehemalige Bundespräsident Joachim Gauck hat sich gerade mit dem pastoralen vorgetragenen Vorschlag unbeliebt gemacht, "wir" könnten "auch einmal frieren für die Freiheit und wir können auch einmal ein paar Jahre ertragen, dass wir weniger Lebensglück und Lebensfreude haben". Wie können wir warmen Füße, unser Glück und unsere Freunde bewahren?

Heiner Flassbeck: Herr Gauck hätte mal sagen sollen, wen er mit "wir" meint, sich selbst vermutlich nicht. Wir müssen weltweit dafür sorgen, dass der Ölpreis weniger schwankt und die realen Angebots- und Nachfrageverhältnisse widerspiegelt.

Heiner Flassbeck ist Wirtschaftswissenschaftler, Publizist und Mit-Betreiber der wirtschaftspolitischen Internet-Seite Flassbeck Economics International. Von 1998 bis 1999 war er unter Oskar Lafontaine Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen und von 2003 bis Ende 2012 Chef-Volkswirt bei der UN-Organisation für Welthandel und Entwicklung in Genf.

Das ist heute nicht der Fall und genau deswegen kann es auch keine wirksame globale Klimastrategie geben. Entscheidend ist, dass man die Spekulation angeht. Darüber wird bisher ja überhaupt nicht gesprochen. Die Spekulation, in enormen Einfluss auf den Ölpreis. Aber wer diskutiert das ernsthaft? Niemand will das wissen, weil die vermeintlich guten Märkte und die vermeintlich guten Banken nicht kritisiert werden sollen.

Will man in Sachen Klima etwas erreichen, müssen sich alle Länder weiterentwickeln und dafür sorgen, dass sie auf lange Frist weniger fossile Energie brauchen.

Aber ein solcher Wandel in der Energieversorgung geht nicht über Nacht. Denn wenn man viel Sonne- und Windenergie nutzen will, dann braucht man auch viel Gas, weil Sonne und Wind nicht zuverlässig liefern. Das wurde ja vor dem Angriff Russlands und unabhängig von ihm auch schon diskutiert. Dieses Gas fällt aber nicht vom Himmel. Und nun alles notwendige Gas in flüssiger Form zu transportieren, das ist sicher auch umweltpolitisch eine sehr ineffiziente Lösung.

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