"Steigende Gaspreise haben nichts mit der Energiewende zu tun"

Seite 3: Warum stimmen die Menschen gegen einen Green Deal?

Nach fast 300 Seiten schreiben Sie, die radikalen Green New Deals fänden "ebenfalls großen Zuspruch in der Bevölkerung, in Europa wie in den USA". Wieso wurde Klimaleugner Donald Trump dann gewählt und weshalb ist die AfD mit vergleichbaren Positionen aus der Bundestagswahl jüngst gestärkt hervorgegangen?

David Goeßmann: Bei der Bundestagswahl haben 70 Prozent der zur Wahl gegangenen Deutschen für ein Weiter-So in Sachen Klimaschutz gestimmt, nicht für mehr Klimaschutz und eine Energiewende. In den USA hat sich Joe Biden, der auf Druck der Sunrise-Bewegung einen Green New Deal Light versprechen musste, hauchdünn gegenüber dem Klimaleugner Donald Trump durchsetzen können.

Beide Wahlen waren, obwohl im Vorfeld Klima zum ersten Mal zumindest auf der politischen Agenda stand, wenn auch nur am Rand, keine Klimawahlen. Letztlich spiegeln beide Wahlen, sicherlich unterschiedlich, eine gesellschaftliche Verunsicherung, die sich in Wut auf das politische System, aber auch Sehnsucht nach Normalität ausdrückt.

Forderung nach mehr Klimaschutz und einer radikalen Energiewende hatten es in diesem Umfeld schwer, den verunsicherten Bevölkerungen nach Jahrzehnten der Destabilisierung Halt zu bieten, vorwiegend vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie.

Der Hauptgrund dafür liegt in einer vollkommen dysfunktionalen Öffentlichkeit und einer sich auszehrenden politischen Klasse, die unfähig ist, die multiplen Krisen rational zu adressieren, mit entsprechenden Maßnahmen zu mindern und die Lösungen nach außen angemessen zu kommunizieren.

Umfragen zeigen uns jedoch deutlich, dass eine Mehrheit der Bürger:innen in den USA für einen Green New Deal ist, für mehr Klimaschutz, obwohl sie zu Protokoll geben, dass sie noch nie davon gehört haben.

Was einiges über das systematische Versagen des US-amerikanischen Mediensystems verrät. In Deutschland ist die Unterstützung für eine Energiewende, für Solar- und Windenergie, seit vielen Jahren mehrheitlich in der Bevölkerung verankert. Es gibt eine breite Akzeptanz dafür.

Der Grund für die Diskrepanz zwischen öffentlicher Meinung und den Wahlergebnissen wurzelt meines Erachtens vorwiegend darin, dass die Bevölkerung über Klimaschutz, Energiewende und Klimakrise permanent desinformiert worden ist.

Die Bürger:innen sind über Jahrzehnte diverser Propaganda ausgesetzt worden, die bis heute ihre Wirkung zeigt. So haben Regierungen, Parteien und Medien Klimaschutz nie zu einem politischen Thema gemacht. Klimapolitik wurde in Deutschlands wie in allen Industriestaaten förmlich aus der politischen Arena verbannt, obwohl damit eine der drängendsten Fragen für das Überleben der Menschheit verbunden ist.

So war die Klimakrise bis zu den Klimaprotesten 2019 nie ein Wahlkampfthema. Der Kurs Klimakollaps der reichen Länder, auf dem wir uns weiter befinden, hat weder die Talkshows noch die TV-Abendnachrichten, weder die Leitartikler noch die Titelstory-Macher interessiert. Die Journalisten gingen stumm daran vorbei und wuschen die Klimapolitik der eigenen Regierung grün.

Gleichzeitig wurde immer wieder Stimmung gemacht gegen Klimaschutz und die Energiewende. Der Umstieg auf Erneuerbare, so hieß es vom Spiegel bis zu den Lokalzeitungen, wäre nicht umsetzbar, führe zu Luxusstrom, sei sozial ungerecht und belaste hauptsächlich die unteren Schichten.

Die Energiewende wurde fast durchgängig gerahmt als eine Belastung für die Ökonomie, als Angriff auf Wohlstand und Industriegesellschaft. Letztlich sei das Ganze ein Yuppie-Problem für urbane Ökos, das die Arbeiter:innen und Normalbürger:innen nichts angehe.

Auch bei den Triellen im Wahlkampf wurde, wenn überhaupt, von einer Belastung durch Klimaschutz gesprochen. Immer ging es um Verzicht und die hohen Kosten der Wende.

Wobei uns alle Klimaökonomen sagen, dass kein Klimaschutz das teuerste ist, Wirtschaftskraft in bisher nicht gekannter Weise vernichten wird bis hin zum kompletten Kollaps unserer gesellschaftlichen Systeme.

Die Menschen sind für einen fairen Green New Deal und die Energiewende zu gewinnen, wenn man ihnen erklärt, worum es geht. Das belegen die Umfragen, das zeigt uns die weltweite Mobilisierung für echten Klimaschutz. Aufklärung, Information, aber auch die Mobilisierung von Schichten, die bisher dem Klimathema fremd gegenüberstehen, sind daher zentral, um den Kampf gegen die fossilen Industrien gewinnen zu können.

Ihre Infrastruktur ist 25 Billionen Dollar oder nichts mehr wert, je nachdem, woher der politische Wind weht. Ein Jahrzehnt bleibt, um die Kursänderung hinzubekommen und das Schlimmste zu verhindern.

Es gibt Hoffnung zu sehen, dass immer größere Teile der Zivilgesellschaft sich diesem Kampf anschließen, einschließlich Gewerkschaften wie in Glasgow die Streikende der schottischen Bahn.