Steigende Meere: Es könnte auch sehr schnell gehen

Ein Gletscher kalbt. Bild: sn st / Unsplash Licence
Energie und Klima – kompakt: Neue Daten zum skandinavischen Eisschild zeigen, dass der Meeresspiegel sehr rasch steigen kann. So verweist die letzte Eiszeit auf ein beunruhigendes Beschleunigungsmuster. Was steckt dahinter?
Die Meere steigen. Rund um den Globus. Bisher noch vergleichsweise langsam, aber ein Blick in die fernere Vergangenheit lässt befürchten, dass sich der Anstieg auch recht plötzlich dramatisch beschleunigen könnte. Das legt eine kürzlich im Fachblatt Nature veröffentlichte Studie [1] britischer und norwegischer Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nahe.
Diese haben herausgefunden, dass sich gegen Ende der letzten Eiszeit das einst Kilometer dick auf Skandinavien lagernde Eis zeitweise um bis zu 600 Meter pro Tag zurückgezogen hat. Entsprechend schnell ist es an den Rändern aufgeschwommen, wodurch der Meeresspiegel unmittelbar stieg.
Schwimmendes Eis verdrängt nämlich die gleiche Menge Wasser, wie in ihm eingefroren ist. Der Meeresspiegel steigt also, sobald ein Eisblock an den Gletscherenden abbricht oder die Gletscherenden, wie vor allem in der Antarktis der Fall, aufschwimmen. Ist es im Sommer warm genug – wie gewöhnlich auf Grönland, nicht jedoch in der Antarktis – kann zusätzlich vom Festland abfließendes Schmelzwasser zusätzlich zum Steigen der Meere beitragen.
Lokale Besonderheiten, über die wir letzte Woche berichtet haben [2], können diesen Anstieg beschleunigen oder auch, wie am Bottnischen Meeresbusen in Schweden und Finnland verlangsamen. Verstärkt wird er außerdem dadurch, dass sich das Meerwasser erwärmt und dadurch ausdehnt.
Immerhin verschwindet etwas über 90 Prozent der von den zusätzlichen Treibhausgasen aus menschlichen Aktivitäten im Klimasystem eingefangenen Energie bisher in den Ozeanen.
Bisher steigen die Pegelstände – genauer: der aus ihnen ermittelte mittlere Meeresspiegel – noch sehr gemächlich und im Alltag kaum wahrnehmbar. Im 20. Jahrhundert war es lange nicht mehr als durchschnittlich ein Millimeter pro Jahr, nachdem der mittlere Meeresspiegel seit Beginn der Zeitrechnung im Wesentlichen konstant gewesen war.
Seit Anfang der 1990er-Jahre kann der Meeresspiegel zusätzlich erstmals flächendeckend mit Satelliten beobachtet [3] werden, wobei sich herausstellte, dass die beiden Beobachtungssysteme erstaunlich gut übereinstimmen, erstaunlich insofern, als die Pegel sehr ungleichmäßig über die Küsten verteilt sind und es lange Messreihen fast nur aus Europa und Nordamerika gibt.
Nun zeigen die Messungen jedoch, dass sich der Anstieg beschleunigt. Wie am Wochenende berichtet [4] betrug er zwischen 1993 und 2002 durchschnittlich 2,27 Millimeter pro Jahr, aber in den letzten zehn Jahren von 2013 bis 2022 bereits jährlich 4,62 Millimeter.
Schon seit Längerem wird befürchtet, dass das womöglich nicht das Ende ist. Aus Ablagerungen aus der letzten Eiszeit und ihrer Endphase ist bekannt, dass der globale Meeresspiegel mitunter um bis zu zehn Meter pro Jahrhundert steigen kann. Aber auch ein Anstieg um zwei Meter gegenüber dem derzeitigen Niveau, was laut dem letzten Bericht [5] der Arbeitsgruppe 1 des Weltklimarates, des IPCC [6] nicht auszuschließen sei, sollten die Treibhausgasemissionen weiter auf dem derzeit hohen Niveau weitergehen, birgt schon gewaltige Gefahren für die Küsten und ihre mehrere hundert Millionen Bewohner.
Was wir vom Ende der Eiszeit lernen können
Entscheidend für Ausmaß und Tempo des Anstiegs wird das Verhalten der großen Eismassen auf Grönland und in der Westantarktis sein, die genügend Wasser gespeichert haben, um die Meere um sieben (Grönland) beziehungsweise 3,3 Meter (Westantarktis) steigen zu lassen.
Aus der Westantarktis ist bereits seit einigen Jahren bekannt, dass an kleinen Küstenabschnitten das Meerwasser mehrere Kilometer pro Jahr weiter unter das Eis vordringt und damit die Gletscherzungen zum Aufschwimmen bringt.
Neu an der oben erwähnten Studie ist, dass ein ähnliches Tempo auch für das Ende der letzten Eiszeit nachgewiesen wurde, und das nicht für einzelne kleine Küstenabschnitte, sondern für viele hundert Kilometer. Die Spuren dieses raschen Rückzugs finden sich noch heute am Meeresgrund vor der norwegischen Küste.
Und was heißt das für die heutige Antarktis? Studienhauptautorin Christine Batchelor von der School of Geography, Politics and Sociology an der Newcastle Universität in Großbritannien dazu auf Nachfrage von Telepolis:
Unsere Arbeit wirft ein Licht auf die pulsartige Weise, in der sich der Rückzug des Eises wahrscheinlich abspielen wird. Kurze Perioden sehr schnellen Rückzugs, die zu sehr schnellem Anstieg der Meere führen, werden sich mit längeren Perioden relativer Stabilität abwechseln.
Ihre Forschung habe gezeigt, so Batchelor weiter, dass die Raten – mit der das westantarktische Schelfeis, das heißt die ins Meer reichenden Gletscherzungen, durch das warme Meerwasser von unten abgeschmolzen werden –, durchaus reichen, ähnliche Prozesse auch dort anzustoßen.
Torsten Albrecht, Eisspezialist Potsdam Institut für Klimafolgenforschung, der nicht an der Studie beteiligt war, stimmt Telepolis gegenüber zu. Die Arbeit zeige, "dass das vermeidlich träge Eis auch sehr schnelle Veränderungen vollziehen kann. Unser satellitengestützter Beobachtungszeitraum ist sehr kurz, sodass solche Events bisher nicht beobachtet werden konnten."
In einigen Schlüsselregionen der Antarktis gäbe es durchaus ähnliche Bedingungen am Meeresboden wie vor Norwegen. Die britisch-norwegische Studie zeige, dass aus der Klima-Vergangenheit viel zu lernen sei.
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https://www.heise.de/-8978088
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.nature.com/articles/s41586-023-05876-1
[2] https://www.telepolis.de/features/Florida-Versinkt-der-Sonnenscheinstaat-im-Meer-8949274.html
[3] https://sealevel.colorado.edu/
[4] https://www.telepolis.de/features/Klimawandel-Hier-die-Flut-dort-die-Duerre-8974751.html
[5] https://www.ipcc.ch/report/ar6/wg1/chapter/summary-for-policymakers/
[6] https://www.telepolis.de/features/Klimakrise-Der-wissenschaftliche-Konsens-7549848.html
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