Sterben für die Forschung oder Sterben im ewigen Eis

Ende Januar soll der Deutsche Bundestag endgültig über den Import embryonaler Stammzellen entscheiden

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Die Voraussetzungen haben sich auch zu Beginn des neuen Jahres nicht geändert. Während der Nationale Ethikrat den Import befürwortet, spricht sich die Mehrheit der Bundestags-Enquete-Kommission Recht und Ethik der modernen Medizin gegen eine Einfuhr der Stammzellen aus. Forschungsministerin Edelgard Bulmahn (SPD) erwartet von ihren Bundestags-Kollegen gleichwohl ein deutliches "Ja" zu dem umstrittenen Vorhaben.

In einem Gespräch mit der Berliner Zeitung gab die Ministerin zu Protokoll, dass viele Parlamentarier ihrer Meinung nach ohnehin nicht mit einem klarem Votum der beiden Gremien gerechnet hätten. Für Bulmahn waren die Diskussionen der vergangenen Monate denn auch nichts anderes als Stationen eines Entscheidungsprozesses, der nun endlich abgeschlossen werden müsse. Ob sich die Befürworter des Stammzellen-Imports am 30. Januar durchsetzen, ist für die Ministerin zwar "schwer einzuschätzen", mit einer Ablehnung rechnet sie zum momentanen Zeitpunkt allerdings nicht

Ich bin zuversichtlich, dass die Abgeordneten am Ende eine kluge und klare Entscheidung treffen werden. Ich hoffe auch auf eine Mehrheit in meiner eigenen Fraktion für einen geregelten Import. Wir dürfen die Heilungschancen nicht verspielen, die mit der Stammzellforschung verbunden sind.

Schließlich sei sichergestellt, dass die Einfuhr "nicht nach Wildwestmanier" stattfinde und die Frage, ob Deutschland dann nicht auch die Herstellung embryonaler Stammzellen erlauben müsse, mit dem bevorstehenden Bundestags-Beschluss noch keineswegs beantwortet. Das gilt, wie Bulmahn immer wieder betont, natürlich auch für den Problemkreis des therapeutischen Klonens. Vehement wehrt sich die Ministerin gegen die nicht eben seltenen Behauptungen, am Ende könnten schwerste Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson doch nur durch das Klonen menschlicher Organe geheilt werden:

Es gibt die begründete wissenschaftliche Hoffnung, dass wir langfristig adulte Stammzellen so umprogrammieren können, dass wir mit ihnen die gleichen Ergebnisse erzielen können wie mit embryonalen Zellen. Dann stellt sich die moralisch strittige Frage des therapeutischen Klonens überhaupt nicht.

Ob die Abgeordneten Edelgard Bulmahn auf diesem doch recht spekulativen Wege folgen werden, bleibt abzuwarten. Immerhin sind ihre Vorstellungen selbst in der eigenen Partei alles andere als unumstritten. Der Diplom-Biologe René Röspel (SPD), Mitglied der oben genannten Enquete-Kommission, hält die Einfuhr embryonaler Stammzellen beispielsweise nicht nur für ethisch bedenklich, sondern schlicht und ergreifend für überflüssig. In einem von der Kommission initiierten Online-Forum vertrat er die Auffassung, dass derlei Experimente kein geeigneter Zwischenschritt auf dem Weg zur Forschung an adulten Stammzellen seien.

Röspel glaubt, dass eben diese als das eigentliche, weil gänzlich unbedenkliche Zukunftsmodell fungieren kann:

Wir werden nicht ins Hintertreffen geraten, im Gegenteil: Wir haben die Chance, im Bereich der adulten Stammzellen die größten Erfolge zu erzielen, wenn wir unsere Forschung auf diesen ethisch unproblematischen Bereich konzentrieren.

Sein CDU-Kollege Dr. Otmar Kloiber beurteilt die Lage noch dramatischer. Für das Mitglied der Bundesärztekammer wäre der Import embryonaler Stammzellen letztendlich sogar ein Verstoß gegen Artikel 1 des Grundgesetzes:

Das ŽVernutzenŽ von Menschen ist grundsätzlich mit dem Schutz der Menschenwürde unvereinbar. Dabei ist es egal wie alt, wie gesund, welcher Hautfarbe und von welchem Geschlecht ein Mensch ist, wie gut er selbst Würde erfassen kann oder ob er sich selbst würdig verhält. Der Mensch ist Mensch von Anfang an, und der Anfang der individuellen Entwicklung liegt in der Verschmelzung von Ei und Samenzelle. Jeder Versuch, die Menschenwürde oder Schutzrechte an ein Entwicklungskriterium zu koppeln, führt zur willkürlichen Verfügung über menschliches Leben.

Diese kompromisslose Einstellung dürfte in der CDU nicht mehrheitsfähig sein, und gerade das wird von kirchlicher Seite ausdrücklich bedauert. Vor wenigen Tagen forderte der Rottenburger Bischof Gebhard Fürst, der die katholische Kirche im Nationalen Ethikrat vertritt, die Entscheidung über die Einfuhr der Stammzellen vorerst aufzuschieben. Fürst plädierte im Berliner Tagespiegel dafür, dass zunächst grundsätzliche Fragen geklärt werden müßten. Selbst der Ethikrat habe sich nicht dazu geäußert, wann das menschliche Leben überhaupt beginne, und wie demzufolge der Status eines Embryos einzuschätzen sei.:

Solche Positionsbestimmungen wären eigentlich die notwendige Voraussetzung für ethische Urteile zu konkreten Sachverhalten.

Unter den gegebenen Umständen stehe die katholische Kirche in der Frage der Embryonenforschung den Grünen deshalb eindeutig näher als der Union. Angesichts solch eigenwilliger Allianzen scheint die FDP eine weitere Chance zu sehen, sich wieder einmal als rundum erneuerte Mitte zu profilieren. Der einstige Justizminister Prof. Edzard Schmidt-Jortzig führt die moralische Diskussion bereits auf einer höheren Ebene. Denn wenn man die Einfuhr der Stammzellen erst einmal beschlossen habe, sei es "moralisch nicht zu verantworten, nur mit ausländischen Zelllinien zu forschen." Die Herstellung und Untersuchung geeigneter Zelllinien müsse deshalb auch in Deutschland ermöglicht werden. Schließlich blieben bei einer künstlichen Befruchtung genügend Embryonen übrig, die gar nicht implantiert, sondern eingefroren und aufbewahrt würden. Sie hätten gar keine Chance, sich zu einem Menschen zu entwickeln, und das will Schmidt-Jortzig in der "ethisch-moralischen Abwägung" berücksichtigt wissen:

Denn die Alternative ist eben nicht "Sterben für die Forschung oder Entwicklung zum Menschen" sondern "Sterben für die Forschung oder Sterben im ewigen Eis".

Ganz so einfach dürften es sich seine Kolleginnen und Kollegen Ende Januar allerdings wohl nicht machen.