Sterne aus Nebel geboren
Astrophysiker simulieren die Entstehung des Jupiters aus dem kosmischen Staub und zeigen, dass die Geburt der Planeten viel rascher erfolgt als bisher angenommen
Die Missionen der NASA machen deutlich, dass die Astrophysiker präzise Messungen über Entfernungen und das räumliche Gefüge unseres Weltalls beherrschen. Die große Unbekannte ist die Geburt der Sterne, nicht nur jener, die wir schon lange kennen, sondern der etwa 100 extrasolaren Planeten, die erst mit Hilfe der modernen technischen Errungenschaften erkannt werden. Thomas R. Quinn von der Universität von Washington und seine Arbeitsgruppe zeigen nun in Science (Formation of Giant Planets by Fragmentation of Protoplanetary Disks), dass es weitergeht: Ihre Erkenntnisse schrumpfen die zeitlichen Dimensionen erheblich: 1.000 Jahre statt 1-10 Millionen oder mehr.
Die extrasolaren Planeten sind bezogen auf die Masse so groß wie der Jupiter oder bis zum Zehnfachen mächtiger. Das ist kein fühlbarer Vergleich zur Erde, weil allein der Jupiter 1.300 mal größer ist als unser Planet. Was wir am Himmel sehen, ist der gigantische Gasballon gefärbt von Wasserstoff und Helium. Trotz der Größe dauert eine einzige Rotation nur knapp 10 Stunden. Das mag ein Grund sein für die Wirbel am Red Spot, weil die Wolken höher und kälter sind als die Umgebung und durch heftige Winde mit Geschwindigkeiten von 300-400 Stundenkilometern in Gang gehalten werden. Als NASAs Galileo die Massenspektrometrie der Gase aufnahm, ahnte niemand, dass die Theorie zur Planetenbildung in Bewegung geraten würde. Auslöser ist die hohe Konzentration von Edelgasen (Argon, Krypton und Xenon). Damit handelt es sich nicht um eine zufällige Verteilung, sondern um die aktive Anreicherung. Tobias Owen, seinerzeit Leiter der Forschergruppe, die ihre Ergebnisse in Nature vorstellten, spekulierte deshalb bereits 1999, die Entstehung von Jupiter werde von Turbulenzen getragen und laufe weitaus rascher ab als bisher vermutet.
Die traditionelle Sicht geht davon aus, dass sich der Kern im Nebel einer pfannenkuchenartigen protoplanetaren Disk herausbildet: Durch die wachsende Anziehung werden die im Nebel verteilten festen Partikel zunehmend gebunden; Staub und Dunst verschwinden wie beim Großreinemachen. Allerdings ein langwieriger Prozess, der bis zu 10 Milliarden Jahre dauern kann, weil der Kern zehnmal größer sein muss als die Erde, um die nötige Anziehungskraft zu entfalten.
Nach einer zweiten Hypothese wird vermutet, dass die Verdichtung des Gases das Potential hat, weiteres Gas anzuziehen, und noch mehr Gas zu binden, bis es schließlich zum Kollaps und zur Planetenbildung kommt. Dieser Gedanke ist 1998 von Alan Boss an der Carnegie Institution of Washington aufgegriffen und simuliert worden. Nachteilig blieb bisher der dünne Beweis für die Bildung der notwendigen Masse.
Thomas R. Quinn hält nicht viel von langatmigen Abläufen:
Wenn sich die Planeten nicht schnell entwickeln, dann wären sie äußerst seltene Ereignisse und nicht so häufig wie wir heute sehen können. Ferner würde viel zu viel kosmischer Staub von der Umgebung aufgefressen, womit für den eigentlichen Planeten nichts mehr übrig bliebe.
Über zwei Jahre packten er und seine Mitarbeiter Ideen und Erkenntnisse in eine Computersimulation, die das solare System wiedergeben soll wie es für den frühen Jupiter zutreffen könnte. In kleinen Schritten und mit einer Million Staubpartikeln gelingt es den Forschern, die Veränderungen der Gasphase durchzuformen und wahrscheinlich zu machen, dass der verdichtete Gasraum seine eigenständige Anziehungskraft entwickelt. Es muss nur lange genug kalt sein, ist die neue Erkenntnis. Die Eigendynamik unter den Bedingungen dieser Simulation lässt den Planeten bereits nach 1.000 Jahren aus dem kosmischen Nebel erwachen. Der Verlauf ist wirklichkeitsnah: Die modellhafte Disk hat Gruppen gebildet, einige Gruppen sind verschmolzen, und die simulierten Planeten bestehen aus dem 2-10fachen der Jupiter-Masse. Dennoch bleiben es Simulationen ohne vollständige Übereinstimmung mit der Realität. Ein Laborexperiment, das erst noch bewiesen werden muss," sagen die einen. "Es ist schier unmöglich, die Gravitation zu simulieren, weil niemand die Kräfte und Gegenkräfte ermittelt hat, " kommt von anderen. Auch bestehen noch Ungenauigkeiten im Vergleich zu den Abläufen in unserem Solarsystem.
Die Kritik an der "Gas-Hypothese" und an unserer Simulation beruht darauf, dass das Modell noch nicht fertig ist. Für uns ist wichtig, dass wir aus den jetzigen Ergebnissen bereits weitere Schlüsse und Voraussagen ableiten können,
entgegnet Thomas R. Quinn .
Das neue Modell, so Quinn, erklärt, warum Uranus und Neptun im Unterschied zu Jupiter und Saturn keine Gashülle besitzen. “Als die Planeten entstanden, war unser Sonnensystem nur ein Teil in einer Gruppe von Sternsystemen. Da Uranus und Neptun am Rand liegen, ist der Nebel von außen geradezu aufgefressen worden." Die Entstehung von Erde und Mars kann über die aktuellen Simulationen nicht überzeugend gedeutet werden.
Möglicherweise sind die Planeten über lange Zeit nach dem herkömmlichen Modell der core accretion gebildet worden und damit anderen Ursprungs als die Giganten.
Denkbar ist ebenso, dass die Kristallisation aus dem kosmischen Nebel von lokalen Besonderheiten bestimmt wird. Möglicherweise verbinden sich auch beide Hypothesen.
Natürlich verlangt die Kritik nach Feinschliff. An der grundsätzlichen Richtung wird sich wenig ändern, weil die Simulation die bisherigen Erkenntnisse und seit Jahren schwelenden Gedanken aufgenommen und in die von Superrechnern bewältigte Form gebracht hat.
Noch ist es zu früh, die wahren Auswirkungen für die Astrophysik in Worte zu fassen. Die Situation erinnert an eine Projektplanung, in der von einem Tag auf den anderen die Zeitdauer für wichtige Teilvorgänge erheblich verringert werden. Damit verändert sich der gesamte Ablauf in nicht voraussehbarer Weise: Nicht nur der eigentliche Vorgang, sondern vor- oder nachlaufende Schritte müssen neu überdacht werden. Wir dürfen gespannt sein, welche Veränderungen aus dem verkürzten Zeitraster erwachsen.