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Steuern, Versteigerungen und Totalüberwachung

Eine schöne Bescherung für Griechenland

"In den drei Monaten, in denen Sie mit der SPD um den Koalitionsvertrag gefeilscht haben, haben sich in Griechenland 120 Menschen das Leben genommen", kommentierte [1] Sahra Wagenknecht für die Linke im Bundestag die Regierungserklärung der Kanzlerin. Für Frau Dr. Angela Merkel ist Europa vorangekommen [2]. Die Frage ist nur, wohin der Weg führt.

Ein Demonstationszug gegen die Versteigerungen im Zentrum Athens. Bild: W. Aswestopoulos

Weihnachtsgeschenke von der Troika

In weiteren Passagen ihrer Antwort an die Kanzlerin erwähnte Wagenknecht, dass während der drei Monate der Koalitionsverhandlungen in Spanien knapp 45.000 Häuser und Wohnungen zwangsversteigert wurden. Das gleiche Schicksal steht nun hunderttausenden Griechen ins Haus.

Pünktlich zum Weihnachtsfest beschloss das griechische Parlament eine Lockerung des Versteigerungsschutzes. Das entsprechende Schutzgesetz war 2008 auf dem Höhepunkt der weltweiten Finanzkrise von der Regierung Kostas Karamanlis erlassen worden. Der konservative Regierungschef wollte seinerzeit mit einem Verbot von Versteigerungen der einzigen Wohnung für Bankschulden unter 200.000 Euro ein Gegengewicht zu den Belastungen der teuren Bankenrettung schaffen. Schließlich sind die Verluste der Banken seinerzeit per Gesetz auf die Bürger übertragen worden.

Zu Beginn der Regierungsperiode des damaligen PASOK-Chefs Giorgios Papandreou (2009 bis 2011) initiierte die Wirtschaftsministerin Louka Katseli zudem ein Privatinsolvenzrecht, dass eher unter dem Namen "Katseli-Gesetz" als unter seiner amtlichen Bezeichnung 3869/10 bekannt ist. Bekanntlich bürgten die Hellenen im Zuge ihrer Schuldenkrise erneut für missglückte Geschäfte der Banken. Das Volk haftet weiterhin für die Verfehlungen seiner Regierung, während immer noch die gleichen Politiker, welche das Schlamassel verursacht haben, nun die Rettung versuchen. Katseli, die mittlerweile der PASOK den Rücken gekehrt hat, hatte mit ihrem Gesetz zumindest etwas Abhilfe geschaffen.

Die aus IWF, EU und EZB zusammengesetzte Kreditgebertroika fand hier einen Fehler im System. Sie bestand darauf, dass die Banken besser geschützt werden müssten. Kurz, die Versteigerungen müssen her.

Die Bankenwelt selbst wollte dieses Geschenk nicht annehmen. Die Finanzinstitute fürchten, dass das resultierende Überangebot nicht nur die Preise ins Bodenlose fallen lässt, sondern auch die Buchwerte der Banken so drückt, dass weitere Finanzhilfen nötig sind. Aller Widerstand war zwecklos, die Lockerung der Versteigerungen wurde noch am vergangenen Wochenende durchs Parlament gepeitscht.

Kopfsteuern als "sozial gerechte Maßnahme"

Im September 2011 hatte der damalige Finanzminister Evangelos Venizelos als "Krisenversicherungsprämie" und, wie immer wieder betont wurde, kurzfristig eine Kopfsteuer auf Immobilien eingeführt. Jetzt als Vizepremier, kann er sich nicht mehr an seine früheren Reden erinnern. Sein Premier, Antonis Samaras, wurde seinerzeit als Oppositionsführer nicht müde zu betonen [3], dass die x-te Immobiliensteuer die Wirtschaft zerstören und die Gesellschaft spalten würde.

Nun ist er selbst Premier und wandelt die kurzfristige Krisensteuer in eine dauerhafte Abgabe um. Nominell gab es dabei eine kleine Steuerermäßigung. Allerdings hatte diese nicht nur einen Haken. Zunächst werden die Steuern anhand von Wertetabellen für offizielle Immobilienschätzpreise berechnet. Diese fiskalischen Schätzungen stiegen in der Krise, während die tatsächlichen Immobilienpreise ins Bodenlose sanken. Eine Wohnung mit sechzig Quadratmetern im Athener Viertel Kypseli kostet laut den Tabellen des Finanzamts 90.000 Euro und wird auch entsprechend besteuert. Erfolglos zum Kauf angeboten wird sie seit Monaten für Barzahler zum Preis von 18.000 Euro.

Die neue, "sozialere" Kopfsteuer für das Domizil kostet, wenn alle Multiplikatoren [4] eingerechnet werden, künftig 286,34 Euro pro Jahr. Für sich allein sieht diese Summe nicht unbedingt erschreckend aus. In Relation mit den durchschnittlichen 510,95 Euro als Bruttolohn [5], die den Bewohnern zur Verfügung stehen, wenn sie nicht gerade zu dem einen Drittel der arbeitslosen Erwerbsbevölkerung oder zu den besser gestellten, hoch qualifizierten Arbeitnehmern zählen, sieht es schon anders aus. Zur vereinheitlichten Immobiliensteuer hinzu kommt die Kommunale Steuer von 19,80 Euro im Jahr, die kommunale Abgabe von 99 Euro sowie die Steuer auf Immobilien, die für die ärmere Wohnregion Kypseli für diese Wohnung nur knapp 3,20 Euro betragen. Die resultierenden 408,34 Euro entsprechen somit fast genau dem üblichen Nettoeinkommen eines Monats, wie sich anhand von Tabellen [6] berechnen lässt.

Immerhin sinken die Verkaufssteuern für die Immobilien von acht bis zehn Prozent künftig auf drei Prozent. So wird der Immobilienbesitzer des Beispiels "nur" 2.700 Euro statt vorher 8.600 Euro zahlen, weil auch diese Steuer anhand der fiskalischen Schätztabellen und nicht auf Basis des tatsächlichen Verkaufspreises berechnet wird. Für die Lohnsteuer bringt der Besitz, aber auch die Miete einer Wohnung als fiktives Einkommen die Jahressumme von 5.000 Euro. Dieses fiktive Gehalt wird zusammen mit anderen Indikatoren addiert und daraus ermittelt sich dann die Lohnsteuer. Hat unser Modellgrieche Kreditraten, so wird dieses negative Einkommen ebenso addiert wie ein Kraftfahrzeug. Zumindest fällt die angesprochene Wohnung nicht unter die Immobilien, welche das Finanzamt auf 300.000 Euro schätzt. Denn dann wären noch weitere Abgaben fällig.

Kurz, jedermann kann sich bereits mit 3.000 bis 5.500 Euro [7] in die eigenen vier Wände einkaufen, während Mieten selbst für das finsterste Loch ab 150 Euro pro Monat beginnen. Angesichts der Steuerbelastung kauft jedoch kaum jemand. "Sei brav, sonst schenk ich Dir eine Immobilie", lautet die übliche ironische Reaktion auf die allgemeine Unsicherheit.

Die ebenso wie die Versteigerungen am Wochenende im Eilverfahren beschlossenen neuen Immobiliensteuern sehen zudem vor, dass auch leer stehende Immobilien mit fiktiven Mietsteuern belegt werden. Ebenfalls besteuert werden die Äcker der Bauern, auch wenn es felsige Brachländer sind, während größere Betriebe, wie Industrieanlagen oder Hotels, ausdrücklich ausgenommen werden.

Zugleich mit dem Immobiliensteuergesetz peitschte Finanzminister Stournaras auch einen neuen Strafenkatalog für säumige Steuerzahler durchs Parlament. Wer mehr als zwei Monate nach dem Stichtag zahlt, kriegt zehn Prozent Säumniszuschlag als Strafe. Im zweiten Jahr werden noch einmal 20 Prozent und danach 30 Prozent fällig. Zusätzlich dazu fallen nicht unerhebliche Zinsen an. Auch hier sieht das Reformgesetz auf den ersten Blick logisch und gerechtfertigt aus. Einerseits betreffen die angesprochenen Strafen auch unseren Modellbürger, der anhand von Schätzeinkommen schnell zum Steuersünder wird, andererseits ist der Staat selbst nicht konsequent.

So trudelten im September 2013 tausendfach Zahlungsaufforderungen für die "Steuer auf Immobilien 2012 und 2011" in die Briefkästen der Steuerzahler. Beide Steuern waren 2013 im Nachhinein als weitere Belastung für Häuslebesitzer beschlossen worden. Der Haken an den Schreiben war, dass sie sämtlich auf Mitte Juni bis maximal Ende Juni datiert waren. Offensichtlich brauchten die Schreiben mehr als zwei Monate, um ihren Weg durch die Wirren des Finanzamts und das Labyrinth der griechischen Post zu finden. Dass dies tausendfach vorkam, müsste eigentlich als Indiz für die Steuerzahler gewertet werden. Die Finanzämter sahen es anders und verhängten Säumniszuschläge.

Beschwerden bei der Post oder gar den Finanzämter stoßen auf taube Ohren. Die Verzögerung wird mit einem: "Wir haben wegen der Reformen kein Personal mehr" entschuldigt.

Die Ärzte der Welt schmückten ihren Baum mit Milchkonserven - sie sammeln und verteilen Nahrung an Bedürftige. Bild: W. Aswestopoulos

24 Minuten Ruhm für Vyron Polydoras

All diese Reformen kosteten die Regierungskoalition einen weiteren Abgeordneten. Vyron Polydoras, ein früherer Parlamentspräsident, mehrfacher Minister und in den Neunzigern Kandidat für den Vorsitz der Nea Dimokratia, konnte sich nicht mehr zurückhalten. In einer Brandrede [8], seinem ersten Auftritt im Parlament seit seiner Zeit als Parlamentspräsident im Mai-Juni 2012, zerpflückte er den "Sparkurs" der Regierung als Katastrophe fürs Volk.

Polydoras meinte, dass er dieses Gesetzeswerk, das für ihn mit einer Enteignung der Bürger gleichkommt, niemals akzeptieren könne. Stattdessen solle das Parlament einen Entschluss fassen. "Sagen wir der Troika doch endlich, nein, wir zahlen nicht, weil unsere Kinder und unser Volk ansonsten verhungern." Außer diesem populistischen Satz lieferte Polydoras Finanzminister Stournaras zahlreiche Vorschläge, wo dieser Geld finden könne, nämlich bei der Besteuerung der reicheren Griechen. Diese werden jedoch durch das neue Immobiliensteuergesetz entlastet.

Premier Samaras goutierte Polydoras Auftritt in keiner Weise. Er schmiss ihn umgehend raus aus der Partei. So verbleiben der Regierungskoalition nunmehr 153 von insgesamt 300 Abgeordneten. In die Legislaturperiode gestartet waren die Nea Dimokratia und die PASOK um Juni 2012 mit 162 Parlamentariern.

Samurai oder Verräter?

Griechenland wäre nicht Griechenland, wenn zum politischen Alltag nicht die übliche, dramatisierende Wertung folgen würde. Mit seinem "Nein zu allem" im Parlament wurde Polydoras augenblicklich zum Helden der Opposition und einer großen Mehrheit der Bürger. Weil sich der gewitzte Politiker auf seine Ehre berief, kam der Vergleich mit den japanischen Samurai in nahezu alle Medien. Vergessen wurde, dass Polydoras als Minister die verheerendsten Waldbrände der jüngeren Landesgeschichte zu verantworten hatte.

Seinen Nepotismus hatte er mit der Verbeamtung seiner Tochter [9] ebenfalls zu Genüge bewiesen. Für die in politischen Fragen oft mit dem Erinnerungsvermögen eines Goldfischs ausgestatteten Wähler wurde er trotz allem zum Held. Lob gab es sowohl aus der linken Opposition als auch von Rechtsaußen. Die Chryssi Avgi Thessaloniki lobte den Politiker als "echten Patrioten".

Für die eigene Fraktion ist er alles andere als ein Ehrenmann. Dort gilt er nun als Verräter. Fraktionschef Makis Voridis mahnte, dass "Samurai ihre Gefährten niemals verlassen". Vizepremier Venizelos reagierte noch panischer auf die sinkende Mehrheit im Parlament. Er bezeichnete die Vertreter der SYRIZA-Fraktion als Schurken und Faschisten.

Big Brother reloaded

Wo Schurken vermutet werden, ist, wie die NSA Affäre lehrt, die staatliche Sicherheitspolitik nicht weit. Nach diesem Motto werden die Griechen nun immer mehr zu gläsernen Bürgern. "Warum haben Sie ihre Telefonrechnung mit 200 Euro bezahlt und nicht ihre säumigen Steuern in Höhe von 100 Euro beglichen ", hörte [10] ein bass erstaunter Steuerzahler Anfang Dezember am Telefon.

Den Inkasso-Callcentern der Finanzverwaltung entgeht nichts. Sie haben eine Datenbank, in der der Arztbesuch eines jeden Steuerpflichtigen ebenso wie der behandelnde Arzt und die Diagnose abgespeichert wird. Die fiskalische Datenbank wird von Banken über jede Kontobewegung informiert. Sie erfährt, an welchem Bankenautomaten Geld abgehoben wurde. Darüber hinaus erhalten die Finanzbehörden eine Kopie sämtlicher Telefonrechnungen, aber auch die Daten der Prepaid-Mobiltelefone. Jeglicher Datenschutz ist in Zeiten der Krise ausgehebelt worden.

Das kleine Weihnachtswunder

Zum Glück ist nicht alles im Land marode und düster. Acht Frauen stiegen im Zentrum Athens aus zwei schwarzen Jeeps. Sie gingen in den Zentralmarkt Athens, wo seit einigen Monaten nicht nur Händler, sondern auch Bürger einkaufen. Ohne ihr Inkognito aufzudecken, traten sie an die Kassen heran. Erschreckt versuchte der Chef der Markhallen sie zur Rede zu stellen. "Wir haben nichts Böses vor", war der einzige Kommentar, der den Damen entlockt werden konnte.

Schließlich gesellten sie sich neben Bürger, deren Armut offensichtlich war und bezahlten deren Rechnungen. Insgesamt 20.000 Euro spendeten [11] sie auf diese Weise. Die weiblichen "Weihnachtsmänner" verschwanden ebenso so mysteriös, wie sie erschienen waren.

Und zurück zur Realität

Wenig Grund zur Freude haben dennoch viele Rentner. Ihnen wurde eine Ausgleichszahlung, das so genannte EKAS, ersatzlos gestrichen. Mit dem EKAS sollte den meisten Beziehern extrem niedriger Renten zumindest ein Überleben gesichert werden. Der Troika war jedoch ein Dorn im Auge, dass davon Querschnittsgelähmte, sowie durch Arbeits- und sonstige Unfälle erwerbsunfähige Behinderte unter 65 Jahren profitieren konnten.

Um die Wirkung der Umsetzung dieser Maßnahme zu verschleiern, griff die Regierung zu einem Trick. Sie zahlte die erheblich geminderten Januarrenten bereits am 23.12. aus. Bis es das nächste Geld gibt, ist Februar. Womit die Verantwortlichen jedoch nicht gerechnet hatten, ist die Angst der Griechen.

Sparkonten werden bei bestehenden Steuerschulden auch dann gepfändet, wenn der Schuldner lediglich Arbeitslosengeld, eine niedrige Rente oder gar eine der wenigen Sozialhilfen erhält. Eine Mindestgrenze fürs Überleben wurde nicht festgelegt. Vielmehr ersann die Troika, dass jeder, dessen Geld mehr als zwei Tage auf dem Konto liegt, offenbar genug davon hat. Bei den Pfändungen wird nicht etwa nur der fällige Betrag, sondern direkt das gesamte Konto blockiert. Ergo sah man am 23.12. in Athen Rentner umherirren, die sämtliche Geldautomaten der Innenstadt leer räumten. Für mehrere Stunden gab es in zahlreichen Stadtvierteln kein Bargeld am Automaten. Den Banken fehlten - krisenbedingt - sowohl Bedienstete als auch Bargeldmittel, um die Automaten wieder aufzufüllen.

Viele derjenigen, die keine Steuerschulden hatten, stellten sich hinterher wieder brav an den Bankschalter und zahlten die abgehobenen Gelder wieder ein. Auf die Frage nach dem Sinn eines solchen Tuns kam die Antwort: "Wie soll ich sonst wissen, dass das Geld wirklich drauf ist?" Dieses skurril erscheinende Misstrauen ist nur ein weiterer Kollateralschaden der politischen Kapriolen. Das ohnehin bereits schlechte Weihnachtsgeschäft des Einzelhandels bekam dadurch einen zusätzlichen Dämpfer.


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https://www.heise.de/-3363113

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.erste-regierungserklaerung-im-bundestag-beginnt-der-neue-alltag-page1.28146934-76e5-4d1f-9e8d-c79ae5ad945d.html
[2] http://www.faz.net/aktuell/politik/regierungserklaerung-der-kanzlerin-merkel-haelt-an-angebot-an-die-ukraine-fest-12716577.html
[3] http://www.protothema.gr/politics/article/146210/anefarmosto-to-xaratsi-sta-akinhta/
[4] http://www.enikos.gr/data/photos/0511cdb7b854f6e5808d5b33ded9da78.jpg
[5] http://www.taxheaven.gr/laws/circular/view/id/15303
[6] http://aftertax.gr
[7] http://www.xe.gr/property/poliseis%7Ckatoikies%7Ckypseli%7C49743471.html
[8] http://www.youtube.com/watch?v=YLQml5I7qIs
[9] http://www.spiegel.de/politik/ausland/euro-krise-griechen-aergern-sich-ueber-politische-vetternwirtschaft-a-854965.html
[10] http://www.protothema.gr/economy/article/338144/giati-plirosate-to-kinito-sas-kai-ohi-tin-eforia/
[11] http://thepaper.gr/%CE%B3%CF%85%CE%BD%CE%B1%CE%AF%CE%BA%CE%B5%CF%82-%CE%AC%CE%B7-%CE%B2%CE%B1%CF%83%CE%AF%CE%BB%CE%B7%CE%B4%CE%B5%CF%82-%CF%83%CF%84%CE%B7-%CE%B2%CE%B1%CF%81%CE%B2%CE%AC%CE%BA%CE%B5%CE%B9%CE%BF/