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Strafverschärfung für Gewalt gegen Polizisten: nächster Versuch

Innenminister beraten über Änderung des Strafrechts: Welche Interessen werden hier eigentlich verfolgt?

Im Vorfeld der am Mittwoch beginnenden Innenministerkonferenz hat nun auch der niedersächsische Innenminister Pistorius Unterstützung zum jüngsten Vorhaben aus Hessen und dem Saarland signalisiert [1], die Strafen für Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten zu verschärfen.

Gewalt gegen Polizisten geht gar nicht, lautet das Mantra dieser Vorstöße - und wie gegenüber allen anderen Berufsgruppen oder Menschen überhaupt ist dem naturgemäß ganz grundsätzlich und ohne jede Einschränkung zuzustimmen. Wenn es allerdings um die Frage geht, ob zum Schutz von Polizisten vor Gewalt eine Spezialnorm notwendig ist, ob Strafen zum wiederholten Male aus Gründen der Abschreckung potenzieller Täter verschärft werden müssen, oder ob nicht vielmehr andere Fragen auf die Tagesordnung gehören, sieht das schon anders aus.

Das Handeln der Polizei findet gewissermaßen auf hoher See statt. Es gehört zum Berufsalltag von Polizistinnen und Polizisten in akuten Konfliktlagen zu agieren. Wenn Menschen im Polizeiberuf gegen Störer vorgehen, einen Streit bereinigen oder Täter verfolgen, werden sie immer wieder auch selbst verletzt. Es kommt auch vor, dass Polizisten angegriffen und verletzt werden, ohne dass sie in Ausübung ihrer Gewaltbefugnisse einschreiten oder irgendeinen Anlass für einen unvermittelten Angriff gegen sie gesetzt hätten.

Polizistinnen und Polizisten sind durch das Strafgesetzbuch geschützt

In allen diesen Fällen sind Polizistinnen und Polizisten durch das Strafgesetzbuch und die Tatbestände der Straftaten gegen die körperliche Unversehrtheit [2] geschützt. Je nach Intensität der Tathandlungen drohen einem Angreifer unter anderem Freiheitsstrafen von sechs Monaten bis zu zehn Jahren. Besonders schwerwiegende Folgen einer solchen Tat können sogar einen Verbrechenstatbestand begründen, bei dem die Freiheitsstrafe im Mindestmaß ein Jahr beträgt.

Welche Abschreckung potenzieller Täter soll also erreicht werden, wenn nun die Erhöhung eines Strafrahmens auf eine Mindeststrafe von sechs Monate gefordert wird? Oder anders gefragt: Wenn es gar nicht um Abschreckung potenzieller Täter gehen kann, welche Interessen werden hier eigentlich verfolgt oder wovon soll hier abgelenkt werden.

Der Widerstandsparagraf

Das zu erhellen, soll hier mit einem Rückblick auf das Jahr 2010 beginnen: Über eine Bundesratsinitiative aus Bayern war es seinerzeit gelungen, das Thema Gewalt gegen Polizisten auf die Tagesordnung zu setzen und für den Tatbestand des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte [3] eine Strafverschärfung auf den Weg zu bringen.

In geradezu lupenreinem Populismus musste dabei der Tatbestand der Fischwilderei [4] als Beleg für die Unzulänglichkeit der Strafandrohung herhalten, um auf Stammtischniveau klar zu machen, dass Gewalt gegen Polizisten doch nun wirklich nicht auf derart niedrigem Level bestraft gehört. Gleichwohl fordert eine Gesetzesverschärfung stichhaltige Gründe, die in diesem Fall selbst die Polizei nicht ohne weiteres liefern konnte. Um letztlich einen Anstieg der Gewalt überhaupt ins Feld führen zu können, musste das Beleidigen von Polizisten zur psychischen Gewalt deklariert werden.

Nicht nur angesichts solcher Taschenspielertricks regte sich im Deutschen Bundestag ein gehöriges Maß an Skepsis, denn der Widerstandsparagraf hat in Bezug auf die körperliche Unversehrtheit von Polizisten gar keine Schutzfunktion. Im Sinne dieser tatsächlichen Parallele zur Fischwilderei führte die betreffende Bundestagsdrucksache zum Gesetzentwurf [5] dann auch kritisch aus, dass der Schutzbereich des Widerstandsparagrafen auf die Vornahme von Vollstreckungshandeln beschränkt ist und damit dem Schutz der Autorität staatlicher Vollstreckungsakte dient, während die körperliche Unversehrtheit auch von PolizistInnen vorrangig durch die Körperverletzungsdelikte des Strafgesetzbuches geschützt ist, die schon immer gegenüber dem Widerstand die weit höheren Strafandrohungen vorsehen.

Wie das aber so ist, mit dem Populismus und der gut eingespielten Zweckgemeinschaft von Innenpolitik und in hohem Maße lautsprecherisch veranlagten Berufsvertretungen der Polizei, kommt es am Ende auf Stichhaltigkeit offenbar gar nicht an und so steht die Strafverschärfung trotz aller Bedenken und ihrem Mangel an Sinnhaftigkeit seit gut sechs Jahren im Gesetz.

Nach der Strafverschärfung ist vor der Strafverschärfung

Nach der Strafverschärfung ist vor der Strafverschärfung, lautet offenbar die Devise und so bleibt die Gewerkschaft der Polizei (GdP [6]) in der Sache weiter am Ball - war sie doch an der Skepsis der Parlamentarier im Deutschen Bundestag zunächst mit ihrem Anliegen gescheitert, den Widerstandsparagrafen gleich gänzlich vom Vorliegen einer Vollstreckungshandlung abzukoppeln.

Die Polizeigewerkschafter fordern [7] einen "§ 115" im Strafgesetzbuch, der ganz unabhängig von einer rechtmäßigen Amtshandlung gleich jede Art von Tätlichkeit gegenüber Menschen im Polizeiberuf in egal welcher Situation unter Strafe stellen soll.

Ein vermutlich unfreiwilliges Bonmot liegt in dem Umstand begründet, dass es sich hier um den ehemaligen Aufruhrparagrafen handelt, der nach Streichung im Strafgesetzbuch für eine Wiederbelebung mit Inhalten nicht einfach nur schlicht frei ist, sondern offenbar auch der Sache nach gefällt - geht es in der Forderung einer Sonderstrafnorm für Polizisten doch vor allem gegen das vermeintlich Aufständische und Aufrührerische in Bürgern, gegen das Hinterfragen von Autoritäten und gegen all die anderen Erschwernisse, wie sie sich im Sinne von Vielfalt in einer pluralen Gesellschaft und im Emanzipationsverständnis aufgeklärter Bürger auch im Aufgabenvollzug der Polizei nun einmal zeigen. Gut wäre, wenn Polizisten damit umgehen könnten, anstatt darüber fortlaufend Klage zu führen.

Der entgrenzte Gewaltbegriff

Dieses Klagen liegt im Gewaltbegriff von Polizisten begründet. Einen schönen Einblick bietet hier eine Studie der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel1 [8]: Beleidigen, bedrängen und Distanzunterschreitung hatte die Studie den Polizisten in ihren 2014 veröffentlichten Befragungsergebnissen genauso als Kategorien zur Schilderung erlebter Gewalt angeboten wie üble Nachrede, das Miterleben von Gewalt gegenüber Dritten, die Verleumdung oder gar foto- und videografiert zu werden.

Ein derart entgrenzter Gewaltbegriff führt naturgemäß schnell ins Uferlose und geradezu idealtypisch im Sinne symbolischer Kriminalpolitik folgte den Ergebnissen der Studie eine prominente Forderung nach Strafverschärfung. In diesem Fall war es mit Torsten Albig gleich der Ministerpräsident eines Landes, der im Angesicht des Schreckens eine härtere Bestrafung der Täter forderte.

"Dreimal pro Tag werden Polizisten im Norden statisch gesehen Opfer von Gewalttaten", hatte ihm die Studie offenbar die Augen geöffnet [9] - was doch sehr schön zeigt, dass man sich auch mit weit geöffneten Augen durchaus im Blindflug befinden kann, denn die Studie misst gar keine Gewalt, sondern macht vielmehr problematische Einstellungen und einen aus dem Ruder laufenden Gewaltbegriff in den Reihen der Polizei offensichtlich.

Enorme Steigerung der Gewaltopfer im Polizeiberuf

Zum Beleg einer besorgniserregenden Gewaltentwicklung kann mittlerweile auch die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) angeführt werden. Sie bildet seit Neustem eine enorme Steigerung der Gewaltopfer im Polizeiberuf ab. Der Taschenspielertrick geht in diesem Fall so: nach einer Änderung der bundeseinheitlichen Erfassungsrichtlinie zur PKS erfasst die Polizei das Merkmal "Opfer" seit dem Jahr 2012 auch für die von ihr höchstselbst zur Anzeige gebrachten Widerstandsdelikte.

Bis dahin erfolgte eine Opfererfassung in der PKS nur bei strafbaren Handlungen gegen höchstpersönliche Rechtsgüter wie Leben, körperliche Unversehrtheit, Freiheit oder sexuelle Selbstbestimmung. Der Widerstand hingegen beruht in seinem Aufkommen auf der subjektiven Wahrnehmung von Polizisten und ist anhand der tatsächlichen Anzeigepraxis ein vergleichsweise häufiges Delikt. Hingegen ganz und gar nicht ist er ein Delikt, das sich gegen höchstpersönliche Rechtsgüter von Menschen im Polizeiberuf richtet.

Im Ergebnis dieser Neuinszenierung übten schon im Jahr der Einführung plötzlich 60.294 der 976.089 (einschl. Versuche) erfassten Opfer [10] aller polizeilich im Bundesgebiet registrierten Straftaten den Polizeiberuf aus. Der avanciert so zum (statistisch) gefährlichsten Beruf überhaupt, was nun offenbar viel besser geeignet ist, Forderungen nach schärferen Gesetzen zu untermauern.

In Sachen Erkenntnisgewinn wäre gar nicht zu kritisieren, dass die Belastungssituation im Polizeiberuf erhoben und dabei auch nach den Erfahrungen mit Gewalt gefragt wird. So wird immerhin offensichtlich, dass Polizistinnen und Polizisten ihren Berufsalltag heute in hohem Maße in selbst konstruierten und weitreichend entgrenzten Kontexten von Gewalt als belastend erleben. Das ist eine enorm wichtige Erkenntnis und sie ist fraglos Anlass genug, damit konstruktiv umzugehen.

Verschiebungen: Die "zwangsläufig" wehrhafte Staatsmacht

Bekanntermaßen bestimmt die Bewertung einer Situation das Handeln von Menschen. Wird eine Situation für real erachtet, so erweist sich das immer in seinen Folgen als real. Wenn Polizisten sich in derart entgrenzter Weise als Opfer von Gewalt erleben, hat das Folgen für die Mentalitäten im Polizeiberuf, weil sich Werthaltungen, Einstellungsmuster und Selbstkonzepte in einer eskalationsfördernden Weise verschieben.

Gut sichtbar sind die Folgen in den Kräfteansätzen der Polizei und einer enormen Aufrüstung mit Waffen und Gerät, was sich immer deutlicher in Bildern einer "zwangsläufig" wehrhaften Staatsmacht ausdrückt. In der Anwendungspraxis zeigt sich das beispielhaft beim Pfefferspray, das neuerdings aus Literflaschen oder gar in noch größeren Gebinden zum Einsatz kommt, wobei immer häufiger selbst vollkommen unbeteiligte Bürger und nicht selten Polizisten selbst Opfer derart undifferenzierter Zwangsanwendungen werden.

Das wirft Fragen der Abgrenzung zulässiger Gewaltausübung zum Übermaß auf. Im unscharfen Grenzbereich von "noch richtig" zu "schon falsch" und in der Sache oftmals diffuser Geschehensverläufe mit entsprechend unklaren Beweislagen stößt eine formal juristische und isoliert an Fragen der Legalität orientierte Aufarbeitung erfahrungsgemäß schnell an Grenzen. Auch die viel zitierte Mauer des Schweigens in der Polizei oder eine Verdunkelung der Sache in Kontexten von Korpsgeist spielen hier eine Rolle.

Übermäßige Polizeigewalt ist insoweit keine Frage von Fallzahlen einer Strafjustiz. Sie bemisst sich vielmehr an der Art und Weise des polizeilichen Aufgabenvollzugs und den so kenntlich werdenden Orientierungen von Polizisten. Ob Polizisten im Alltag, im Demonstrationsgeschehen oder aus Anlass von Fußballspielen nun richtig oder falsch gehandelt haben, ist doch vor allem eine Frage von Legitimität und Akzeptanz polizeilicher Aktionen - und das gerade auch auf Seiten eines Gegenübers, das von der Polizei im Ergebnis ausufernder Gefahrenprognosen und mentaler Aufrüstung schnell als "Gefährder" wahrgenommen und vielfach ungerechtfertigt als "potenzieller Störer" eingestuft wird.

Die Auswüchse des New Public Managements tun ihr Übriges und haben gerade auch die Polizei voll erfasst. Fleißig generiert sie auf der Folie ausufernder Gefahrenprognosen immer neue Kennzahlen. Das sind oftmals nicht nur semantische Leerverkäufe in dem Bemühen, einen Beleg ihrer Leistungsfähigkeit abzuliefern.

Die Fehlerkultur der Polizei auf den Prüfstand stellen

Hier wird ein Aufgabenverständnis von Polizisten geprägt, das Bürger zuerst als Gegenstand polizeilicher Aktionen und gerade nicht als Träger von Ansprüchen wahrnimmt. Im Erfüllen von Kennzahlen werden dann massenhaft Ahndungs- und Überwachungsmaßnahmen angehäuft (etwa im sogenannten "Blitzermarathon"), die mit einer vorgeblichen Zielsetzung (etwa "Senkung schwerwiegender Verkehrsunfälle") bei genauerem Hinsehen kaum noch in Verbindung stehen. Überwachung gerät so zum Selbstzweck eines Managements, das vor allem die Darstellung einer vermeintlich guten Performace der Organisation im Schilde führt.

Es gelingt hingegen nicht, die Fehlerkultur der Polizei auf den Prüfstand zu stellen. Nicht selten begegnet uns im Alltag ein selbstgefällig erscheinender Habitus von Polizisten, die Widerspruch schnell als Autoritätsverlust erleben und allenthalben über einen Mangel an "Respekt vor der Uniform" klagen. Es fehlt an einer kritischen Positionsbestimmung im Berufsverständnis einer Bürgerpolizei, in der Polizistinnen und Polizisten ihre Uniform als Berufskleidung und gerade nicht als Devotionalie einer wie auf immer verstandenen Obrigkeit begreifen.

In gleicher Weise steckt der Fehler in den immer neuen Forderungen nach Strafverschärfung, mehr Befugnissen, mehr Ausstattung und effektiverer Bewaffnung. Die zunehmende Tendenz der Polizei, sich an Worst-Case-Szenarien zu orientieren, steht einer friedlichen Aufgabenbewältigung nicht erst neuerdings im Wege2 [11].

Bürger sind nicht zuerst Adressaten polizeilicher Maßnahmen, sondern Träger von Ansprüchen gegenüber Polizisten in deren Funktion als Staatsdiener - und das beginnt mit dem Anspruch auf polizeifreie Räume in einer auf freiheitlichen Prinzipien gründenden Grundordnung. Eine Bürgerpolizei agiert offen und transparent. Sie hat ihre Befugnis zur Ausübung von Gewalt im Sinne der friedensstiftenden Funktion des staatlichen Gewaltmonopols immer als Ultima Ratio zu begreifen und gerade nicht als jeweils nächstes Mittel eines von Kennzahlen gesteuerten Aufgabenvollzugs.

In dieser Hinsicht gilt es, die Fehlerkultur der Polizei auf den Prüfstand zu stellen. Das hätte gerade auch Einfluss auf Situationen in denen Polizisten selbst Opfer von Gewalt werden. Eine weitere Strafverschärfung verharrt hingegen nur in gewohnter Symbolik. Dass gerade der niedersächsische Innenminister sich der Forderung nach Strafverschärfung anschließt ist besonders bedauerlich.

Die Entwicklung der Fehlerkultur der Polizei im Innenverhältnis ist fraglos eine ungleich schwierigere Aufgabe, die die rot-grüne Landesregierung in Niedersachsen im Sinne ihrer explizit erklärten politischen Zielsetzung, die Bürgerrechte auch in Fragen der Entwicklung der Polizei und des Polizeirechts nachhaltig zu stärken, denn nun endlich einmal angehen müsste.

Konkrete Schritte, etwa in der von ihr beabsichtigten individuelle Kennzeichnung von Polizistinnen und Polizisten, sind hier bislang ausgeblieben. Forderungen nach Strafverschärfung sind dagegen schnell und leicht erhoben.

Hinweis der Redaktion: Der Autor ist als Polizeibeamter tätig.


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[1] https://www.ndr.de/nachrichten/Angriffe-auf-Polizisten-Wie-viel-Strafe-muss-sein,polizisten170.html
[2] https://dejure.org/gesetze/StGB/223.html
[3] https://dejure.org/gesetze/StGB/113.html
[4] https://dejure.org/gesetze/StGB/293.html
[5] http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/17/041/1704143.pdf
[6] https://www.gdp.de/
[7] http://www.gdp.de/gdp/gdp.nsf/id/DE_GdP_fordert_115_gegen_uebergriffe_auf_Polizisten
[8] https://www.heise.de/tp/features/Strafverschaerfung-fuer-Gewalt-gegen-Polizisten-naechster-Versuch-3380058.html?view=fussnoten#f_1
[9] http://www.shz.de/regionales/schleswig-holstein/panorama/landespolizei-mit-neuem-konzept-gegen-gewalt-id5626061.html
[10] http://www.bka.de/DE/Publikationen/PolizeilicheKriminalstatistik/2012/2012Standardtabellen/pks2012StandardtabellenOpferUebersicht.html
[11] https://www.heise.de/tp/features/Strafverschaerfung-fuer-Gewalt-gegen-Polizisten-naechster-Versuch-3380058.html?view=fussnoten#f_2