Streit im Europäischen Parlament über ECHELON

Offiziell weiß die Europäische Kommission nichts

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Schon seit etwa 1o Jahren gibt es Erkenntnisse und Mußmaßungen über das ECHELON-System, mit dem der amerikanische Geheimdienst NSA in Zusammenarbeit mit Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland angebleich einen Großteil der weltweiten elektronischen Satellitenkommunikation, einschließlich Telex, E-Mail und Faxe, abhört und mittels eines Programms nach verdächtigen Worten durchsucht. Doch erst mit der Veröffentlichung des STOA-Berichts An appraisal of technologies of political control für das Europäische Parlament, den wir auch auszugsweise ins Deutsche übersetzt haben (Technologien zur politischen Kontrolle), hatten die politischen Vertreter europäischer Staaten Ende letzten Jahres davon Kenntnis genommen. Schließlich soll auch die elektronische Kommunikation von EU-Staaten abgehört werden, wobei das weltweit größte Überwachungssystem vor allem nicht-militärischen Zielen dient: dem Abhören von Regierungen, Organisationen und Firmen in praktisch jedem Land, wie der Bericht sagt.

Angeblich gibt es auch in der EU Pläne für neue Telefonüberwachungssysteme. Wie Duncan Campbell im Guardian (Tip for Tap) unlängst schrieb, würde seit vier Jahren eine internationale Gruppe unter der Leitung des FBI an Programmen arbeiten, wie sich weltweit die Satellitensysteme für Mobilfunk abhören lassen: Ein EU-Kommittee namens K4 habe globale Kooperationen gefordert, damit etwa Provider von neuen Kommunikationssystemen Möglichkeiten zum Abhören einrichten sollen, ohne daß die derart Überwachten davon Kenntnis erlangen.

Am 14. September berichtete der EU-Kommissar Martin Bangemann dem Europäischen Parlament über die Fortschritte in der Wirtschaftspartnerschaft, die beim USA-EU-Gipfeltreffen im Mai in London unter dem Programm einer "transatlantischen Agenda" initiiert wurde. Er äußerte die Hoffnung, daß die "gemeinsamen Werte" der EU und der USA es ermöglichten, die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit weiter zu intensivieren und die noch bestehenden kleinen Schwierigkeiten aus dem Weg zu räumen. Als zweiten Punkt sollte er über ECHELON berichten. Nach dem überwiegend optimistischen Bericht über die erzielten Fortschritte und die konstruktive Zusammenarbeit der Staaten wurde Bangemann aber unterbrochen und scharf angegriffen, weil er das Überwachungssystem nicht thematisiert habe, das von einigen Mitgliedern des Parlaments heftig kritisiert wurde, weil es gegen die demokratischen Prinzipien Europas verstoße.

Bangemann verhielt sich äußerst diplomatisch und bat darum, zwei Dinge auseinanderzuhalten:

"Das, was wir als Kommission offiziell wissen oder von den Mitgliedsländern erfahren haben, und das, was in Ihrem Zwischenbericht oder in einem Buch eines früheren neuseeländischen Mitarbeiters und in Zeitungsmeldungen steht. Sie werden verstehen, daß die Kommission nicht aufgrund von Vermutungen, Verdächtigungen oder irgendwelchen Büchern und schriftlichen Äußerungen agieren kann, sondern wir haben die Verantwortung, dann etwas zu tun, wenn wir sicher wissen, daß etwas zu tun ist. Wir haben weder von den Mitgliedsländern, noch von irgendjemandem, der in seinen Rechten verletzt sein könnte, einem Bürger, einem Unternehmen, wem auch immer, irgendeinen Hinweis darauf, daß dieses System so besteht, wie es hier geschildert wurde. ... Wir wissen nichts darüber. Ich kann Ihnen also jetzt weder positiv noch negativ sagen, daß dieses System existiert."

Wenn ein solches System existieren würde, wäre es eine "flagrante Verletzung von Rechten ... und auch ein Angriff auf die Sicherheit der Mitgliedsländer", worauf man dann natürlich entsprechend reagieren müßte. Bangemann wies darauf hin, daß aber eine engere "offizielle Zusammenarbeit" zwischen der EU und den USA bei der Bekämpfung der organisierten Kriminalität vorangetrieben werden soll. Überdies habe die EU gegenüber den USA wegen der Entwicklungen der Technologie darauf gedrungen, zum Schutz der Privatsphäre der Bürger starke Verschlüsselungssysteme zuzulassen, die nur entziffert werden dürfen, wenn dafür "gesetzliche Gründe" vorliegen.

Solange man also nichts "offiziell" und gesichert über ECHELON wisse, könne man auch nicht entsprechend handeln. In der Resolution des Europäischen Parlaments zu den transatlantischen Beziehungen und ECHELON findet man, daß das Parlament die "wichtige Rolle einer internationalen Kooperation im Hinblick auf elektronische Überwachung (anerkenne), um den Aktivitäten von Terroristen, Drogenhändlern und organisierten Kriminellen Einhalt zu gebieten und sie zu verhindern." Dabei aber sei es auch sehr wichtig, daß solche elektronischen Überwachungssysteme demokratisch kontrolliert werden und man über sie informiert werde. Daher bitte man, daß diese einer Diskussion auf nationaler und europäischen Ebene offenstehen - und fordere man einen "code of conduct", damit Fälle eines Mißbrauchs behandelt werden können: "Die zunehmende Bedeutung des Internet und der weltweiten Telekommunikation im allgemeinen und des ECHELON-Systems im besonderen sowie die Gefahren ihres Mißbrauchs" erforderten, wie es am Ende heißt, "Schutzmaßnahmen hinsichtlich wirtschaftlicher Informationen und wirksamer Verschlüsselung." Man bleibt also auch im Parlament zurückhaltend.