Streit um Video von Kriegsverbrechen in Sri Lanka
Srilankische Soldaten sollen unbewaffnete Gefangene mit Kopfschüssen exekutiert haben
Nur drei Monate nachdem die Regierung Sri Lankas die tamilischen Rebellen der Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) für besiegt erklärte, erreichte ein schockierendes Video die Weltöffentlichkeit, das offensichtlich Regierungstruppen bei der Exekution von tamilischen Gefangenen zeigt. In den letzten Monaten war die Regierung immer wieder beschuldigt worden, Kriegsverbrechen begangen zu haben. Da Journalisten und unabhängige Beobachter aus dem Kriegsgebiet verbannt wurden, gab es für diese Anschuldigungen bislang jedoch kaum Beweise.
Das Video zeigt einen nackt auf dem Boden sitzenden Mann, seine Augen sind mit einem blauen Tuch verbunden, seine Hände auf dem Rücken gefesselt. Ein Uniformierter tritt ihm in den Nacken. Dann kommt ein anderer Soldat in gefleckter Uniform dazu und schießt dem Gefangenen eine Maschinengewehrsalve in den Kopf. Der Körper des Mannes sackt in sich zusammen. Der Soldat kommentiert das lachend in singhalesischer Sprache. Die Kamera schwenkt dann nach links und zeigt sieben in Blutlachen liegende Leichen - auch sie sind bis auf eine Ausnahme nackt und gefesselt. Zum Schluss sehen wir, wie ein Soldat einen neunten Mann herbeiführt, ihn zu Boden zwingt und dann aus einem Meter Entfernung von hinten in den Nacken schießt. Sein Körper fällt auf den Rücken.
Der Film soll außergerichtliche Exekutionen durch die srilankische Armee zeigen. Er wurde von der in Berlin ansässigen Vereinigung Journalists for Democracy in Sri Lanka (JDS) verbreitet, einer Gruppe tamilischer und singhalesischer Exil-Journalisten, die Sri Lanka verlassen mussten, nachdem Einschüchterungen und Morde an Medienleuten ein unerträgliches Ausmaß angenommen hatten.
Laut JDS hat ein Soldat die Szene im Januar 2009 in der Nähe der Rebellenhauptstadt Kilinochchi mit seinem Handy gefilmt. Später sei das Video "wie ein lustiges Souvenir" in dessen Freundeskreis zirkuliert. Erst später erreichte es einen "extrem vertrauenswürdigen" Informanten, der es dann an die JDS weiterleitete.
Das Dementi der Regierung - eine indirekte Bestätigung?
Schnell bezeichnete die Armee das Video als Teil einer Kampagne, um das Image des Landes zu beschädigen. Tatsächlich ist nicht ohne weiteres überprüfbar, wann und wo genau der Film aufgenommen wurde. Dennoch ist das Video höchstwahrscheinlich authentisch.
Es ist ausgerechnet die srilankische Botschaft in London, die für die Authentizität des Videos Indizien lieferte: Sie sagte in einer ersten Stellungnahme, die Armee habe niemals tamilische Zivilisten, sondern nur die Tamil Tigers bekämpft. Damit bestreitet sie also nur, dass es sich bei den Exekutierten um tamilische Zivilisten handelt. Dass die Erschossenen LTTE-Kämpfer sein könnten, die im Krieg exekutiert wurden, dementierte die Botschaft nicht ausdrücklich. Soweit zur Seite der Opfer.
Nihal Jayasinghe, srilankischer Botschafter in Großbritannien, sagte gegenüber der BBC, die Tamil Tigers hätten sich auch in der Vergangenheit häufig mit Armeeuniformen getarnt und als Soldaten ausgegeben. Dies stimmt zwar, es beweist aber noch lange nicht, dass die im Film gezeigten Exekutionen nicht von echten Soldaten durchgeführt wurden. Allerdings bestätigt der Botschafter damit offiziell, dass es sich bei den im Video zu sehenden Uniformen um jene der srilankischen Armee handelt.
Die Exekution von Gefangenen ist ein Kriegsverbrechen
Selbst wenn es sich bei den Exekutierten um tamilische Rebellen gehandelt haben sollte, darf die Armee sie nicht ohne Gerichtsprozess durch Kopfschüsse hinrichten. Die standrechtliche Erschießung von unbewaffneten Gefangenen stellt eine Verletzung von Artikel 3 der Genfer Konvention von 1949 dar.
Das Video könnte somit einen Beweis für Kriegsverbrechen liefern. Philip Alston, UN-Sonderberichterstatter für außergerichtliche, willkürliche oder im Schnellverfahren durchgeführte Erschießungen, forderte eine internationale Untersuchung: Wenn die Regierung so überzeugt davon sei, dass das Massaker nicht von der Armee begangen wurde, habe sie auch keine Rechtfertigung dafür, diese Untersuchung zu verweigern. Auch UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon sagte seine Unterstützung zu.
Die nackte Zurschaustellung des Feindes ist übliche Armeepraxis
Es lassen sich mühelos weitere Indizien für die Echtheit des Videos zusammentragen: So ist es eine übliche Verfahrensweise des srilankischen Militärs, getötete Rebellen nackt zur Schau zu stellen. Nach einem Selbstmordattentat der Tamil Tigers auf den Militärflughafen von Anuradhapura im Oktober 2007 schichtete das Militär die Leichen der Attentäter nackt zum Abtransport auf einem Heuwagen übereinander (Kampf um Drohnen und Bilder).
Insbesondere die Leichen von Frauen sind von der srilankischen Armee immer wieder auf erniedrigendste Weise behandelt worden: Im Dezember 2008 zirkulierte ein von Soldaten aufgenommenes Video im Internet, das mehrere im Kampf getötete weibliche LTTE-Kämpferinnen zeigt, die nackt ausgezogen wurden.
Solche Vorkommnisse sind jedoch keine Exzesse einzelner Soldaten, sondern gängige Praxis der srilankischen Armee. Nach dem Einsatz einer Spezialeinheit gegen Rebellen im April 2009 zeigte das Verteidigungsministerium ganz offen auf seiner Website, dass es üblich ist, die Leichen feindlicher KämpferInnen nackt abzubilden.
Das Massaker geschah nicht heimlich
Was den aktuellen Film von dem Massaker außerdem so glaubwürdig macht, ist der lockere Ton, in dem sich die Killer während ihres Tuns unterhalten, unterstreicht Jonathan Miller vom britischen Sender Channel 4, der den Film als erstes ausstrahlte. Sie sprechen ein Singhalesisch mit ländlichem Akzent, typisch für viele der Soldaten, die massenhaft unter armen Bauern im Süden des Landes rekrutiert wurden. Im Stil des populären Spiels "kurupiti gahanawa wage" – "Your Turn, My Turn" witzeln die Uniformierten darüber, wer wen erschießen soll. Vermutlich gerade wegen dieser Dialoge ließ sich die Website von Channel 4 nur wenige Minuten, nachdem das Video online gestellt wurde, in Sri Lanka nicht mehr aufrufen. Denn das Verhalten der Soldaten untereinander zeigt, dass diese Exekutionen nicht heimlich durchgeführt wurden. Sie passierten am helllichten Tage, ohne Furcht, etwas Unrechtes zu tun.
Der verantwortliche Kommandeur kommt nach Deutschland
Es ist ein delikates Detail: Generalmajor Jagath Dias, damals Kommandeur der 57. Divison, unter dessen Führung Kilinochchi erobert wurde, kommt demnächst als stellvertretender Botschafter Sri Lankas nach Deutschland. Sollte das Video authentisch sein - das ja in der Gegend von Kilinochchi gedreht worden sein soll -, ist nicht auszuschließen, dass Dias von der Erschießung wusste bzw. diese sogar angeordnet hat. Es ist jedoch vermutlich fast unmöglich, ihm dies nachzuweisen. Selbst wenn er nicht von dem Massaker wusste, ist er jedoch für das Verhalten seiner Truppen verantwortlich. Deshalb sollten sich die zuständigen deutschen Politiker gut überlegen, wie sie mit der Ankunft möglicher Kriegsverbrecher in Deutschland umzugehen gedenken.
Großbritannien entschied bereits, die Visa-Formulare für srilankische Staatsbürger mit einer Klausel zu ergänzen, in der diese aufgefordert werden, mögliche Beteiligungen an Kriegsverbrechen anzugeben.