Streitmedium unserer Zeit
Interview mit dem Psychologen und BPjM-Referenten Tobias Rothmund über Zusammenhänge zwischen gewalthaltigen Computerspielen, aggressivem Verhalten und zum Sinn und Unsinn von Verboten
Manch kommendes Action-Highlight reserviert sich schon jetzt einen Platz auf der Index-Liste der BPjM. Vorgemerkt war zuletzt Resteuropas Sommerhit 2010, Crackdown 2. Ein ähnlicher Fall liegt bald bei der Gears of War Reihe vor, deren zwei Teile international inzwischen mehr als zehn Millionen Mal verkauft worden sind. Wie bei Teil eins verweigerte die USK dem Blockbuster "Gears of War 2" Ende 2008 die Kennzeichnung "ab 18 Jahren" - was erneut zur Indizierung führte (Bekanntgabe Bundesanzeiger Nr. 175 vom 18.11.2008). Gleiches droht dem für April 2011 angekündigten dritten Teil, in dem Söldner Marcus Fenix endgültig mit den Locust-Aliens Schluss macht. Grund dafür sind Gewaltszenen, in denen Gegner hingerichtet oder mit dem Kettensägen-Bajonett zerteilt werden - ein Action-Element, das Spieler unterhält und Nichtspieler schockt.
Hersteller Epic Games aus North Carolina, der seit über zehn Jahren mit der Unreal Engine, einem Entwicklerprogramm für Computerspiele, erfolgreich ist, macht auch sonst keine Spiele für zarte Gemüter. Sein für Februar 2011 angekündigter und in Polen von People Can Fly entwickelter Ego-Shooter Bulletstorm wird ebenso Probleme haben, an § 18 Abs. 1 vorbei zu schießen - dem deutschen Jugendschutzgesetz, welches "unsittliche, verrohend wirkende, zu Gewalttätigkeit, Verbrechen oder Rassenhass anreizende Medien" ins Visier nimmt. Die Hauptaufgabe des Spielers wird es nämlich sein, "kreativ zu töten". 100 verschiedene Kunstschüsse soll es geben, für die es unterschiedliche Erfahrungspunkte zum Kauf von besserer Ausrüstung gibt. Kopfschüsse oder Passivtreffer durch explodierende Fässer sind da Gedöns von gestern. Für die einfallsreichsten Kombinationen von Peitsche und Schusswaffe wird der Spieler mit Extrapunkten belohnt. Die comichafte Grafik von Monstergegnern und Umgebung wird kaum eine Indizierung von "Bulletstorm" verhindern, selbst wenn sich die Punktejagd eher wie Flippern anfühlt.
Diplom-Psychologe Dr. Tobias Rothmund, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich für Diagnostik, Differentielle und Persönlichkeitspsychologie an der Universität Koblenz-Landau tätig ist, erklärt, was er und seine Kollegen in diversen Teststudien über die psychischen Wirkungen gewalthaltiger Spiele dieser Art herausgefunden haben.
Sie und viele Ihrer Kollegen versuchen in Experimenten die Psyche eines Spielers zu durchleuchten. Studien, die oftmals zu widersprüchlichen Ergebnissen kommen. Wissen Spieler nicht selbst am besten, welche Spiele sie sich zumuten können?
Tobias Rothmund: Nein. Die Prozesse, über die sich gewalthaltige Inhalte auswirken, sind bewusst kaum zugänglich. Man kann sich das auch so vorstellen: Wenn es so wäre, dass wir in dem Moment, wo wir nicht beeinflusst werden wollen, auch nicht beeinflusst werden, dann wäre Werbung völlig unbrauchbar. Tatsächlich ist es aber so, dass Erinnerungseffekte ausgelöst werden, auch bei einmaligen Werbepräsentationen. Ähnlich ist es bei Spielen: Die Wirkungen laufen eher auf einer automatischen Ebene ab und werden weniger reflektiert.
Nimmt auf diesem Weg auch die gefürchtete "Verrohung" des Spielers ihren Lauf?
Tobias Rothmund: Bei "Verrohung" sprechen wir von einer moralischen bzw. emotionalen Desensibilisierung. Wenn Sie eine Person sehen, der Leid zugefügt wird, löst das etwas bei Ihnen aus. Das passiert nicht bewusst, sondern automatisch: eine empathische Reaktion. Diese Reaktionen werden auch in Spielen ausgelöst, vor allem dann, wenn die grafische Darstellung Filmniveau erreicht und so gut gemacht ist, dass sie Ihren gesamten Wahrnehmungsapparat "austrickst". Die automatischen Prozesse können dann sozusagen nicht mehr "unterscheiden", ob die Szenen auf Ihrem Bildschirm ablaufen oder sich vor Ihren Augen abspielen."
Und was passiert dann im Spieler? Wäre er nicht schon nach wenigen Minuten emotional am Boden zerstört?
Tobias Rothmund: Er muss gegensteuern und sich in dem Moment von der automatischen Reaktion abkoppeln. Er verhindert bzw. unterdrückt sie frühzeitig. Z.B. ist es seine Aufgabe sich durch einen Level zu schießen. Dabei trifft er auf offensichtlich unschuldige Personen und tötet sie, was zu Bedauern führen kann. Das klingt übertrieben, weil niemand mit einer virtuellen Figur Mitgefühl hat, aber im Ansatz sind diese Reaktionen automatisch. Im Moment ihres Auftretens werden sie aber relativiert, weil sie dem Spielspaß nicht zuträglich sind. Das heißt: Der Spieler gerät in eine Art Konflikt mit der Emotion und auf der anderen Seite dem Spielspaß sowie auch dem Wissen, dass es sich um keine reale Situation handelt.
Verkümmert also in ihm diese automatische Reaktion Mitgefühl zeigen zu können?
Tobias Rothmund: Genau, das ist die Idee der emotionalen Desensibilisierung: dass man sich diese automatischen Reaktionen abtrainiert.
Wie testen Sie so was in Experimenten?
Tobias Rothmund: Indem man im Anschluss an eine solche Spielsitzung unerwartete Notsituationen herstellt bzw. simuliert. Dann kann man feststellen, wie schnell reagiert eine Person etc.
Und wie unterscheidet sich im Hinblick darauf das Spiel vom Actionfilm, in dem oft auch Hunderte unschuldiger Toter am Auge des Zuschauers vorbeiziehen?
Tobias Rothmund: Emotionen im Film schiebt man nicht so einfach weg. Es gehört oft zum Film, dass man sie miterlebt. In Spielen ist es zum Teil so, dass diese Emotionen gar nicht gewünscht sind. Ich sage "zum Teil", weil sich die bislang sehr flachen Spielkonzepte inzwischen anfangen auszudifferenzieren und psychologisch realistischer werden. Die Quintessenz ist dennoch, dass interaktive Medien, wie auch Filme, solche Situationen auslösen können, also: Man kann nicht davon ausgehen, dass es, nur weil es auf einer Leinwand oder einem Bildschirm passiert, keine Konsequenz hat. Wie gesagt: Unser ganzer Wahrnehmungsapparat mit seinen Gehirnstrukturen ist evolutionär so alt, dass er gar nicht zwischen virtuellen und realen Erfahrungen unterscheiden kann.
Aber wenn man statt "virtuell" einfach "spielerisch" sagt? Mit der spielerischen Einstellung kennt sich der Wahrnehmungsapparat doch schon seit Menschengedenken aus.
Tobias Rothmund: Es ist noch nicht so einfach zu klären, wo genau die Parallelen und wo die Unterschiede zwischen jenem Spiel und diesem bestehen. Viele Videospiele sind nämlich trotzdem im Spiel Ernst. Für den Spieler ist es auch nicht zu jeder Zeit ein spielerisches Lernen. Dieser Vergleich wird gern gebracht: "Früher haben die Kinder ‚Räuber und Gendarm‘ gespielt, heute spielen sie halt ‚Counter Strike‘." Ohne dass ich schon wissenschaftliche Belege dafür liefern kann, bezweifle ich, dass man das gleichsetzen kann.
Vielleicht schlicht deshalb nicht, weil die Gewalt bei kriegerischen Spielen in der Realität weit weniger dargestellt wird als bei Computerspielen, die vom Effekt leben und immer realistischer aussehen?
Tobias Rothmund: Einige Fragen sind einfach noch offen. Wir sind jetzt auf dem Stand der Forschung, dass es relativ stabil nachgewiesene Effekte auf die Psyche gibt. Es gibt da übrigens keinen Riesensprung in der Wirkung z.B. im Vergleich zur Gewalt im Fernsehen. Dennoch bleiben die Fragen wie sich die Spieldauer auf bestimmte Persönlichkeitsmerkmale oder andere Rahmenbedingungen auswirkt.
... und ob Computerspiele Amokläufer machen.
Tobias Rothmund: Meiner Meinung wirft die Verengung auf die Amokdiskussion ein völlig falsches Bild auf das ganze Thema. Darauf kann man es nicht zuspitzen, weil Amokläufe eine solch spezielle Form von Gewaltverbrechen sind, dass sie als komplexe Einzelfälle betrachtet werden sollten, die man nicht so einfach erklären kann.
Aber die Politik argumentiert damit, um weitere Verbote gewalthaltiger Spielen durchzubringen.
Tobias Rothmund: Genau: die Politik. Die Gründe, weshalb Videospiele so thematisiert werden, sind auch ein Stück gesellschaftspolitischer Natur. Dabei wird deutlich, dass Videospiele die jüngere Generation, bei der sie beliebt sind, von der älteren, die überhaupt keinen Bezug dazu hat, abspaltet. Aber nochmal zum Kern: Wenn es um Aggressivität im Allgemeinen geht, nicht um Amokläufe, dann sprechen wir von einem Risikofaktorenmodell. Das heißt: Es gibt verschiedene Situationen, in denen Personen vermehrt aggressives Verhalten zeigen und Mediengewalt stellt hier einen Risikofaktor dar. Es kommen also sehr viele persönliche Faktoren dazu: soziale, familiäre oder psychische Störungen. Und je mehr dieser Faktoren zusammen kommen, desto größer die Gefahr, dass sich jemand dauerhaft aggressiv verhält oder zu Gewaltverbrechen neigt. Jeder dieser Faktoren ist austauschbar, Mediengewalt genauso wie soziale Ausgrenzung.
Wobei die Gefahr von Mediengewalt vergleichsweise leicht einzudämmen ist.
Tobias Rothmund: An dem Risikofaktor kann man zumindest einfacher drehen. Bei einigen Faktoren muss dagegen viel Geld eingesetzt werden, z.B. um familiäre Rahmenbedingungen zu verbessern. Da spielt also auch die Machbarkeit eine Rolle, wenn es um die Frage geht: An welcher Stellschraube wird jetzt gedreht?
Wie stehen Sie dann Überlegungen gegenüber, die USK oder gar Spiele ab 18 Jahren abzuschaffen?
Tobias Rothmund: Die USK macht eine gute Arbeit und ist eine gute Basis für das deutsche Wertungssystem. Mit dieser Verbotsdebatte bin ich sehr skeptisch. Aus zwei Gründen: Es gibt viele Dinge, die nachweislich schädlich sein können in unserer Gesellschaft und in der Regel verfährt man dabei so, dass Volljährigkeit damit gleichgesetzt wird, dass den Personen zugetraut wird, für sich selbst zu entscheiden. Und außerdem bewirken Verbote hier eher den gegenteiligen Effekt und machen die Sache erst reizvoll. Trotzdem verstehe ich, wenn man in dem Zusammenhang eine klare Position vertreten will.