Streng geheim

Quantenkryptografie über Glasfasern mit zeitlich verschränkten Photonenpaaren

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Mittels zeitlich verschränkter Photonenpaare lassen sich Schlüssel für die Quantenkryptographie über Glasfasern bis zu 60 Kilometer weit übermitteln. Bisher nutzten Forscher fürs Verschränken vor allem die lineare Polarisation der Photonen. Die philosophischen Aspekte erscheinen selbst heute noch bizarr.

"Entweder Raum und Zeit oder der freie Wille ist eine Illusion." Mit dieser reißerischen These pointiert der Physiker Nicolas Gisin von der Universität Genf einen Bericht im Magazin New Scientist über Quantenkryptographie mit verschränkten Photonen in der Ausgabe vom 18. Juni 2005 auf Seite 32. Die ein verschränktes Photonenpaar verbindende spukhafte Fernwirkung – die sich zur Informationsübertragung prinzipiell nicht nutzen lässt – breitet sich offenkundig instantan aus. Die Frage, wie schnell denn genau, ist laut Gisin irrelevant: "Es ist sinnlos, von Überlichtgeschwindigkeiten zu reden, ohne anzugeben, in welchem Bezugssystem sie zu messen wären." Im Labor jedenfalls nicht.

Sendet ein sich mit beliebiger Geschwindigkeit gleichförmig bewegendes Gefährt ein Lichtsignal aus, so ist die auf der Erde gemessene Signalgeschwindigkeit gerade die konstante Lichtgeschwindigkeit – unabhängig von der Geschwindigkeit der Quelle, selbst dann, wenn sie sich im Gedankenexperiment ebenso mit Lichtgeschwindigkeit bewegen sollte.

Verschränkung – schnell erklärt

Photonen lassen sich verschränken, indem man beispielsweise intensives, sichtbares Licht auf gewisse Kristalle einstrahlt. Ein sichtbares Photon teilt seine Energie normalerweise in gleichen Teilen auf zwei Photonen auf, so dass zwei infrarote Photonen entstehen. Ebenso lassen sich aus einem ultravioletten Photon zwei sichtbare erzeugen. Zwei verschränkte Photonen bilden ein Paar, einerlei, wie groß ihr Abstand ist. Die Verschränkung bezieht sich meistens – nicht jedoch beim hier beschriebenen Experiment – auf ihre lineare Polarisation, also zum Beispiel horizontal oder vertikal. Bestimmt man die Polarisation eines der Teilchen, so ist die entsprechende Größe des Partner-Teilchens damit sofort festgelegt. Die Messung löst die Verschränkung auf.

Entscheidend ist die Wahlfreiheit des Betrachters, nämlich welche Raumrichtung er für seine Messung wählt. Für diese Richtung gilt die vollständige Korrelation, für die anderen gar keine Korrelation, sondern eine statistische Verteilung.

Einstein nannte diesen Sachverhalt spukhafte Fernwirkung, da sie die spezielle Relativitätstheorie zu verletzen scheint, streng genommen stimmt das jedoch nicht. Die in nicht beschleunigten Bezugssystemen geltende spezielle Relativitätstheorie fordert, dass sich keine Information schneller als mit Vakuumlichtgeschwindigkeit senden lässt. Verschränkte Photonenpaare lassen sich nicht zur Informationsübertragung mit Überlichtgeschwindigkeit nutzen, da erst eine koinzidente Messung die Verschränkung zutage fördert, andernfalls sind die Messgrößen statistisch verteilt. Eine vorgegebene Polarisation, etwa vertikal, lässt sich dem verschränkten Photonenpaar nicht aufmodulieren. Die spukhafte Fernwirkung vermag allenfalls Informationen auszuradieren, nicht jedoch zu übertragen.

Nicht nur Photonen, auch andere Teilchen wie Elektronen zeigen entsprechende Eigenschaften – beispielsweise beim Spin. Die Verschränkung ist also keine Kuriosität.

Der zweite Teil von Gisins These ist schwerer verdaulich, sie spielt auf die jahrzehntealte Vermutung verborgener Parameter an. Um seine Kritik an der Quantenphysik zuzuspitzen, fragte Einstein seine Kollegen, ob der Mond da sei, solange man nicht hinschaue? Im Sinne der Quantenmechanik ist er es nicht. Grundsätzlich legt erst eine Messung den Zahlenwert einer Größe fest.

Experimentelle Hinweise auf eine Vorab-Festlegung von Messgrößen sind bislang nicht bekannt. Beginnend mit den 60er-Jahren haben alle Experimente die Vermutung der verborgenen Parameter im wesentlichen widerlegt, auch die Versuche der Genfer Arbeitsgruppe, Details berichteten sie in der Fachzeitschrift Physical Review Letters.

Ist der Mond da, wenn man nicht hinschaut?

Kurz gesagt, sendeten sie verschränkte Photonenpaare durch unter dem Genfer See verlegte Glasfasern, die normalerweise der Telekommunikation dienen und überwanden so eine Entfernung von 50 Kilometern. Sie verschränkten die Lichtteilchen nicht – wie sonst üblich – über ihre lineare Polarisation, sondern über die Zeit, also verfrüht oder verspätet bezogen auf eine mittlere Ankunftszeit. Der Nachteil der Methode ist die Beschränkung auf kurze Entfernungen, es ist nicht möglich, verschränkte Photonen zu verstärken, denn das liefe letztlich auf eine Messung hinaus, die wiederum die Verschränkung löst.

Zeitlich verschränkte Photonenpaare lassen sich über eine Entfernung von 50 km mittels Glasfasern zur Quantenkryptographie nutzen. Mittels eines sogenannten Pump-Interferometers mit zwei verschieden langen Armen mit 1,2 Nanosekunden Laufzeitdifferenz und einem nichtlinearem Kristall aus Lithiumtriborat lassen sich Photonenpaare zeitlich verschränken. Aus 150 Femtosekunden langen Laserpulsen einer Wellenlänge von 710 nm entstehen Paare infraroter Photonen. BS: 50/50-Strahlteiler, NLC: nichtlinearer Kristall, verteilt die Energie eines sichtbaren Photons auf zwei infrarote um, SOF: Standard-Glasfaser, DSF: dispersionsverschobene Faser (Bild: Nicolas Gisin, Universität Genf)

Mit dem heutigen Stand der Technik bei Glasfasern, Lawinenphotodetektoren und Quellen verschränkter Photonenpaare erscheint eine Entfernung von 60 Kilometern als eine praktische Obergrenze – jedenfalls, so lange es keine Glasfasern mit einer Dämpfung von weniger als 0,20 Dezibel pro Kilometer gibt. Die Fehlerquote würde so groß, dass sich ein nachweislich geheimer Schlüssel nicht mehr erzeugen ließe, während ein Abhörer lauscht. Unklar ist, ob das Senden im Weltall über Satelliten eine Alternative wäre; Tageslicht und Wetter könnten eine Übertragung zum Satelliten erschweren.

Die Quantenkryptografie dient dem Erzeugen abhörsicherer Schlüssel, die sich jedoch nur einmal verwenden lassen, wobei der Schlüssel mindestens so lang sein muss wie die zu übermittelnde Nachricht. Das abhörsichere Verfahren nennt sich Einmalblock oder one time pad.