Strompreise fallen trotz Atomausstieg unter Vorkrisenniveau

Matthias Lindner
Chart von Strompreisen. Im Hintergrund sind Solarzellen und Windkraftanlagen zu sehen.

(Bild: Billion Photos / Shutterstock.com)

Die Energiekrise ist noch nicht ganz verdaut. Doch an der Strombörse purzeln die Preise wieder. Sogar unter das Niveau, als noch Atomkraftwerke liefen. Wie geht das?

Die Energiepreise steigen, die Inflation galoppiert – so lautet seit Monaten die Schlagzeile für Verbraucher und Unternehmen. Doch an den Strombörsen hat sich das Blatt scheinbar gewendet: Die Großhandelspreise für Strom sind 2024 das zweite Jahr in Folge deutlich gesunken. Das zeigen Daten der EPEX Spot-Strombörse, die das Internationale Wirtschaftsforum Regenerative Energien (IWR) ausgewertet hat.

Im Schnitt fiel der Preis pro Kilowattstunde um 16,8 Prozent auf 7,95 Cent. Zum Vergleich: 2021 lag er noch bei 9,66 Cent – und das, obwohl damals noch sechs Atomkraftwerke am Netz waren. Heute sind es null. Wie passt das zusammen?

Russlands Einmarsch in die Ukraine trieb Preise nach oben

"Der rasante Anstieg der Großhandels-Strompreise zwischen Mitte 2021 und Ende 2022 war die Folge einer historischen Kombination von Faktoren", erklärt das IWR. Haupttreiber war demnach der russische Einmarsch in die Ukraine im Februar 2022, der die Gaspreise in die Höhe schnellen ließ.

Bereits im Vorfeld, ab Mitte 2021, kam es zu "erheblichen Verwerfungen auf den Energiemärkten", so das IWR. Der Grund: Russland füllte offenbar in Vorbereitung auf den Krieg die deutschen Gasspeicher, die es zuvor gekauft hatte, nicht ausreichend. Die Folge: Die Strompreise verdreifachten sich fast – von 5,3 Cent pro Kilowattstunde im Mai 2021 auf 14,0 Cent im Oktober.

Teure Gaskraftwerke als Preistreiber

Doch warum schlugen die Gaspreise so stark auf den Strompreis durch? "Die direkte Durchschlagskraft steigender Gaspreise auf die Großhandels-Strompreise hängt mit der Art der täglichen Preisbildung an den Strombörsen zusammen", erklärt das IWR.

Dort bestimmt nach dem Merit-Order-Prinzip die teuerste Energiequelle den Preis für den gesamten Strommix – selbst wenn günstigere Quellen ebenfalls genutzt werden. Die günstigsten, etwa Wind- und Solaranlagen, kommen zuerst zum Zug. Dann folgen Braunkohle, Steinkohle und Erdgas. Das teuerste Kraftwerk, das noch gebraucht wird, um die Nachfrage zu decken, setzt den Preis für alle.

"Hohe Gaspreise wegen leerer Gasspeicher und der Ausfall französischer Atomkraftwerke haben dazu geführt, dass die Strom-Großhandelspreise im Dezember 2021 mit 22,1 Cent pro Kilowattstunde trotz sechs laufender Atomkraftwerke in Deutschland mehr als doppelt so hoch lagen wie im Dezember 2024 mit 10,8 Cent, als schon keine deutschen Atomkraftwerke mehr in Betrieb waren", sagt IWR-Chef Norbert Allnoch.

Atomausstieg kein Preistreiber

Der Atomausstieg hat die Preise demnach nicht nach oben getrieben. Im Gegenteil: Trotz der Abschaltung der letzten Meiler liegen die Strompreise heute niedriger als 2021, als noch ein halbes Dutzend Reaktoren liefen.

Einen Rekord markierte der August 2022: Damals schoss der Preis auf 46,5 Cent pro Kilowattstunde. Auslöser war laut IWR der Stopp der Gaslieferungen über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1. Seitdem gehen die Preise kontinuierlich zurück.

Inflations-Spätfolgen noch spürbar

Doch die Energiekrise ist bislang nicht ausgestanden. "Die Folgeeffekte wie deutlich höhere Zinsen und eine noch nicht beendete Lohn-Preisspirale sind bis heute spürbar, trotz des mittlerweile wieder kräftigen Rückgangs der Strompreise auf das Vorkrisenniveau", betont das IWR. Die durch hohe Energiepreise befeuerte Inflation hallt also noch nach.

Für Stromkunden bedeutet das: Auch wenn die Preise im Großhandel purzeln, kann es dauern, bis das beim Endkunden ankommt. Viele Versorger haben langfristige Lieferverträge zu höheren Preisen abgeschlossen. Und die Inflation treibt auch ihre sonstigen Kosten.