Studie fordert umgehenden Kohleausstieg

Wolfgang Pomrehn

Walzwerk mit Spulenbox. Bei der Stahlproduktion werden bis heute große Mengen an Kohle benötigt. Bild: Mouser Williams / CC BY-NC-ND 2.0

Energie und Klima – kompakt: Es wird weiter zu viel Kohle verbrannt. Das müsse sich schnell ändern, sagen Wissenschaftler. Warum die Stilllegung von Kohlekraftwerken aber nicht zu Mehrverbrauch an anderer Stelle führen darf.

Die Kohle ist – im globalen Maßstab, wie auch hierzulande – eines der großen Probleme, wenn es um den Klimaschutz geht. Auch bei der Verbreitung von Schadstoffen wie Quecksilber, Arsen, Blei, Schwefeldioxid, Feinstaub, Stickoxide, Cadmium und anderen Belastungen der Umwelt spielt sie eine große Rolle, aber das ist eine andere Frage, um die es hier nicht gehen sollte, die jedoch zeigt, dass ein rascher Ausstieg aus mehr als einem Grunde geboten ist.

Nun könnte man meinen, dass die Welt auf einem guten Wege zum Kohleausstieg ist. In vielen europäischen Ländern laufen keine Kohlekraftwerke mehr und auch in den USA werden die alten, ineffizienten Anlagen reihenweise abgeschaltet.

Nur Braunkohleweltmeister Deutschland lässt sich reichlich Zeit und vernichtet im Rheinland selbst sein bestes Ackerland, um noch mehr von dem schlechtesten aller fossilen Brennstoffe abbaggern zu können.

Und natürlich Indien und China, die sich auf nachholende Entwicklung berufen. Aber immerhin hat China bereits vor ein paar Jahren versprochen, bis 2060 seine Treibhausgasemissionen auf null herunterzufahren und verringert bereits den (noch sehr hohen) Anteil der Kohle an der Stromproduktion. Die jedoch weiter steigt, weshalb die chinesischen Treibhausgasemissionen nicht abnehmen, sondern mehr oder weniger stagnieren. Immerhin.

Ein paar Dutzend Staaten, Provinzen und Metropolen haben sich außerdem in einer Powering Past Coal Alliance zusammengeschlossen, um gemeinsam den Ausstieg aus der Kohle hinzubekommen. Auch Deutschland strebt demnach einen "gerechten Übergang" an.

Die Anwohner des Tagebaus Garzweiler und die Bewohnerinnen und Bewohner des Protestcamps in Lützerath dürften in den letzten Monaten einen anderen Eindruck bekommen haben. Aus ihrer Sicht dürfte die Allianz nichts anderes als eines jener vielen Public-Relation-Projekte sein, mit dem ein grüner Schleier über den fortgesetzten Raubbau gebreitet werden soll.

Dafür spricht auch eine, Anfang der Woche im Fachblatt Nature Climate Change veröffentlichte Studie. Die Autorinnen und Autoren haben ökonomische Modellierungen bemüht und kommen zu dem Schluss, dass die von der Allianz bisher ergriffenen oder angekündigten Maßnahmen keinesfalls ausreichen, um tatsächlich den Ausstieg aus der Kohle zu vollziehen.

Verbilligte Kohle könnte bei Stahl- und Zementproduktion eingesetzt werden

Da diese ausschließlich auf den Kraftwerkssektor zielen, bestehe vielmehr die Gefahr, dass der sinkende Kohlepreis aufgrund der verminderten Nachfrage nach Kraftwerkskohle Anreize unter anderem in der Stahl- und Zementproduktion sowie in der chemischen Industrie zu vermehrten Kohleeinsatz schaffe.

Das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung, an dem einer der Autoren arbeitet, schreibt dazu in einer Presseerklärung:

Länder, die aus der Kohleverstromung aussteigen wollen, müssen ihre politische Strategie ausweiten, da sie sonst Gefahr laufen, das überschüssige Kohleangebot in andere Industriezweige im eigenen Land zu verlagern, etwa in die Stahlproduktion.

Das trifft sicherlich auch auf Deutschland zu. Zwar gibt es hierzulande erste Versuche der Stahlerzeugung mit Wasserstoff statt Kokskohle, doch gibt es bisher, abgesehen von der CO2-Bepreisung weder einen Ausstiegsplan noch direkte Reglementierungen des Kohleeinsatzes außerhalb der Kraftwerke.

Ohne einen Kurswechsel der Antikohle-Allianz laufe die Welt Gefahr, das seinerzeit 2015 in Paris verabredete Ziel zu verfehlen. Bis 2050 müssen nämlich die globalen Treibhausgase auf netto-null heruntergefahren werden. Was absolut nicht zu vermeiden ist, muss auf die eine oder andere Art kompensiert werden.

Anders wird es nicht möglich sein, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu beschränken. Auch das weichere Ziel der Pariser Klimaübereinkunft, die Erwärmung auf "deutlich unter zwei Grad Celsius" zu begrenzen, wird vermutlich nicht erreicht werden.

Die Welt stehe vor einem entscheidenden Moment, meint Studien-Hauptautor Stephen Bi vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung und der Universität Potsdam. Und weiter:

Unsere Computersimulation der derzeitigen Klimaökonomie und -politik zeigt, dass die Chancen für einen Kohleausstieg bis Mitte des Jahrhunderts weniger als fünf Prozent beträgt. Dies würde bedeuten, dass wir nur minimale Chancen haben, bis 2050 Netto-Null-Emissionen zu erreichen und schwerwiegende Klimarisiken zu begrenzen.

Neben der Allianz komme auch China, auf dessen Konto inzwischen mehr als die Hälfte des globalen Kohleverbrauchs geht, eine wichtige Rolle zu. Die Volksrepublik habe die Chance, den Markt für erneuerbare Energien zu prägen, wenn sie sofort mit dem Ausstieg aus der Kohle beginne.

Der Bau neuer Kohlekraftwerke, der vor der Corona-Pandemie schon einmal fast zum Erliegen gekommen war, dann jedoch wieder aufgenommen wurde, müsse bis spätestens 2025 zu Ende gehen. Andernfalls könne China den weltweiten Durchbruch der erneuerbaren Energien auf gefährliche Weise verzögern.