zurück zum Artikel

Sturm aufs Kapitol: Wie wird aufgearbeitet?

Richard Hauley

6. Januar 2021. Foto: Tyler Merbler/CC BY 2.0

Untersuchungsausschuss im US-ReprÀsentantenhaus: Ob die politische Aufarbeitung gelingt und die Frage nach der Verantwortung geklÀrt wird? Die Spaltung der US-Gesellschaft wird auf jeden Fall nicht geringer

Vor zwei Tagen hat ein Untersuchungsausschuss die Arbeit aufgenommen, um mehr ĂŒber die UmstĂ€nde der ErstĂŒrmung des Capitols in Washington D.C. im Januar 2021 herauszufinden. Eingesetzt wurde er im ReprĂ€sentantenhaus, wo die Demokraten die Mehrheit stellen. Zuvor hatten Republikaner im Senat ein Untersuchungsgremium verhindert. Als erste Zeugen wurden nun mehrere Polizeibeamte befragt. Sie berichteten ĂŒber die Angst und Gewalt [1], die sie an jenem Tag erlebten.

Angesichts der Bilder sind ihre erschĂŒtternden Berichte gut nachzuvollziehen. Zur politischen AufklĂ€rung ĂŒber HintergrĂŒnde und Verantwortlichkeiten taugen die Aussagen der Polizisten indes kaum. Ein republikanischer Abgeordneter sprach davon, dass die Anhörung im Untersuchungsausschuss von den Demokraten um Nancy Pelosi, der Sprecherin des ReprĂ€sentantenhauses, "gescriptet" [2] gewesen sei, um sie parteipolitisch auszuschlachten.

Am 6. Januar dieses Jahres waren Hunderte Trump-AnhÀnger ins Kapitol - dem Sitz der beiden Parlamentskammern - eingedrungen und randalierten. Vier Protestierende starben dabei - ein Polizist verstarb am Folgetag. Dem ehemaligen US-PrÀsidenten Donald Trump wurde vorgeworfen, die Protestierenden aufgestachelt zu haben. Ein deswegen eingeleitetes Amtsenthebungsverfahren hatte keinen Erfolg. Als Reaktion auf die Ereignisse wird unter anderem das Budget der Kapitol-Polizei, der National-Garde und des Verteidigungsministeriums demnÀchst erhöht [3] werden.

Viele wichtige Fragen zu den Geschehnissen am 6. Januar sind weiterhin unbeantwortet: So zum Beispiel die Frage, wie es ĂŒberhaupt geschehen konnte, dass der Parlamentssitz gestĂŒrmt werden konnte, wo doch Washington D.C und all seine RegierungsgebĂ€ude aufwendig gesichert sind.

Der renommierte US-Journalist Glenn Greenwald und andere haben zudem darauf aufmerksam gemacht, dass das FBI frĂŒhzeitig darĂŒber informiert [4] gewesen sein dĂŒrfte, was an dem Tag geplant war. Die Sicherheitsbehörde hat sehr wahrscheinlich etliche Informanten in den Gruppierungen, die die Capitol-ErstĂŒrmung organisiert haben. Auch sei es merkwĂŒrdig, so Greenwald, dass bislang keine RĂ€delsfĂŒhrer der Proteste vor Gericht gestanden hĂ€tten, sondern MitlĂ€ufer.

Der Kampf um die Deutungshoheit ĂŒber die Kapitol-ErstĂŒrmung ist auch ein Ausdruck fĂŒr die tiefe Spaltung innerhalb der US-amerikanischen Gesellschaft. WĂ€hrend der ehemalige PrĂ€sident Trump bekannt ist fĂŒr alternative Fakten oder Fake News, nehmen es die Demokraten und liberale MedienhĂ€user oft auch nicht sehr genau, wenn es um die politischen Gegner geht.

So waren in den Wochen nach der ErstĂŒrmung des Kapitols durch die Trump-AnhĂ€nger einige höchst merkwĂŒrdige Wortmeldungen zu vernehmen. Viele Medien behaupteten wochenlang - und auch US-PrĂ€sident Biden sprach davon in seiner AmtseinfĂŒhrung - dass der am 7. Januar verstorbene Kapitol-Polizist Brian Sicknick von Trump-AnhĂ€ngern mit einem Feuerlöscher erschlagen [5] wurde. Dabei waren die UmstĂ€nde des Todes ĂŒberhaupt nicht geklĂ€rt.

Mittlerweile ist klar, dass Sicknick einen Tag nach den Protesten an einem Herzinfarkt [6] gestorben ist. Sein Tod hĂ€ngt möglicherweise mit von Trump-AnhĂ€ngern versprĂŒhtem Pfeffer-Spray zusammen. Geradezu Fake-News verbreiteten die ehemalige US-Außenministerin Hillary Clinton sowie Nancy Pelosi (beide von der Demokratischen Partei), als sie insinuierten, Donald Trump habe am 6. Januar möglicherweise mit dem russischen PrĂ€sidenten Wladimir Putin telefoniert.

In einem GesprĂ€ch mit Frau Clinton fĂŒr den Podcast "You and Me Both" am Montag sagte die ehemalige Außenministerin, dass sie gerne das Telefon von Herrn Trump sehen wĂŒrde, um zu sehen, ob er am 6. Januar - dem Tag der Unruhen - mit Herrn Putin gesprochen hat.

Independant [7]

Pelosi nannte die Protestierenden damals auch "Putins Puppen". Die Beispiele zeigen, dass Medien manchmal ihre journalistischen Standards vergessen, wenn es "die Richtigen" trifft - also die Bevölkerungsgruppen, die man politisch ablehnt. Dass zwei der höchstrangigen US-Politikerinnen versuchen, die Ereignisse vom 6. Januar ohne jedwede Beweise oder Indizien indirekt mit einem Ă€ußeren Feind in Verbindung zu setzen, ist unseriös.

Eine solche Herangehensweise ĂŒberlagert die echte politische Aufarbeitung. Das Hickhack um die Einsetzung und die Ziele des Untersuchungsausschusses könnte die GrĂ€ben in den USA deswegen eher noch vertiefen [8], wie manche Beobachter bereits jetzt befĂŒrchten.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-6150134

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.nzz.ch/international/usa-polizisten-berichten-von-erlebnissen-beim-sturm-aufs-capitol-ld.1637751
[2] https://www.foxnews.com/media/gop-rep-jim-banks-jan-6-committee-capitol-hill-hearing-performance-art
[3] https://www.msn.com/en-us/news/politics/senators-reach-242b-capitol-security-deal-after-jan-6-drain/ar-AAMC9ZL
[4] https://greenwald.substack.com/p/questions-about-the-fbis-role-in
[5] https://greenwald.substack.com/p/the-false-and-exaggerated-claims
[6] https://www.npr.org/2021/04/19/988876722/capitol-police-officer-brian-sicknick-died-of-natural-causes-medical-examiner-ru?t=1627498929077
[7] https://www.independent.co.uk/news/world/americas/us-politics/trump-phone-putin-capitol-riots-pelosi-clinton-b1789218.html
[8] https://www.nzz.ch/international/untersuchung-des-capitol-sturms-vertieft-die-graeben-in-den-usa-ld.1637489?reduced=true