Sturmlauf zum vernetzten Wissenskrieger
Die Army überschlägt sich mit neuen Begriffen für die "Transformation" der US-Truppen, aber auch die Bundeswehr holt bei der netzgestützten Kriegsführung rhetorisch auf
Nach den Theoretikern und den Ökonomen wollen nun auch westliche Armeen den Schritt von der Informations- zur Wissensgesellschaft vollziehen: Geht es nach Strategen der US-Army, ist der "Info Warrior" out und macht Platz für den künftigen "Wissenskrieger" (Knowledge Warrior). Treibende Kraft soll die netzgestützte Kriegsführung sein, denn "Network Centric Warfare" gilt den Militärs dies- wie jenseits des Atlantiks als der Stein der Weisen im "globalen Kampf gegen den Terrorismus".
Generalleutnant Steven Boutelle, CIO (Chief Information Officer) der US-Army, lässt keinen Zweifel daran: Seine Einheiten werden sich in den nächsten Jahren dank der konsequenten Nutzung der Informations- und Kommunikationstechnologien in eine "netzzentrierte, wissensbasierte Streitmacht" verwandeln.
Der Soldat als geborener "Wissensarbeiter" - noch hapert es da bei den meisten Beobachtern etwas mit der Vorstellungskraft, wenn sie Bilder von GIs in furchteinflössenden Monturen auf schon leicht antiquierten Panzern durch die Wüsten der Welt rollen sehen. Doch just die Army, die bisher im Gegensatz zur Navy und zur Air Force eher als Bremser bei der ständig proklamierten "Transformation" der US-Streitkräfte aus dem Geist der Technik sowie der viel beschworenen "Revolution in Military Affairs" (RMA) auftrat, hat jüngst ihr alljährliches Wissens-Symposium ganz im Zeichen des kommenden "Knowledge Warrior" abgehalten.
Gemäß dem Mantra der "Network Centric Warfare", der vollständigen Vernetzung aller Kampfparameter und Truppeneinheiten, drehte sich dort alles um die Frage des Aufbaus einer Netzinfrastruktur für die sich letztlich wie ein Unternehmen fühlende Army. Dieser technologische Unterbau soll ubiquitär und umfassend genau die Informationen den Soldaten im Feld an die Handhelds geben, die sie für den gemeinsam mit anderen Streitkräfteabteilungen geführten Kampf benötigen. Wissen werde damit - so die Hoffnung der Militärstrategen - zur "logischen Ergänzung" des Waffenarsenals der Krieger.
Statt sich wie bisher mit der "Informationsüberlegenheit" entsprechend der Doktrin des Infowar zufrieden zu geben, forderte Oberst John Umberti denn auch gleich die "Wissensdominanz" der Army ein. Und natürlich wird der neue "Evolutionsschritt" mit den Spätfolgen des 11. September begründet: Man müsse Informationen für die Truppen in Wissen verwandeln und allen Soldaten zugänglich machen, erklärte Info-Offizier Boutelle, "um den globalen Krieg gegen den Terrorismus zu gewinnen."
Datenmengen momentan nicht verarbeitbar
Die von den soziologischen und ökonomischen Apologeten einer "Wissensgesellschaft" abgehörten Modeworte klingen gut. Doch sie könnten selbst eher Teil des "Geistkrieges" zur Beeinflussung der gegnerischen Netzwerke sein, als Anzeichen für eine neue Transformationsstufe des übermächtigen amerikanischen Militärs.
Brigadegeneral Volnay Warner, Direktor für Strategie und Analysen des U.S. Joint Forces Command zeigte sich jüngst auf einem Symposium der Deutschen Gesellschaft für Wehrtechnik zumindest sehr skeptisch, was die Fähigkeiten der Umwandlung der Informationsflut, welche die sensorenreiche netzgestützte Kriegsführung unweigerlich mit sich bringt, in Wissen anbelangt. "Wir wünschen uns hier die Bewältigung einer Informationsmanagementaufgabe auf einer so weit reichenden Datenbasis, wie sie unsere Partner noch nie gesehen haben", sagte Warner. Man habe IBM und anderen Konzernen die Datenbanken gezeigt, doch die hätten nur mit dem Kopf geschüttelt und erklärt, dass damit momentan niemand umgehen könne.
Nichtsdestoweniger sind nach dem Afghanistan- und Irak-Krieg, die häufig pauschal und ohne die Berücksichtigung zusätzlicher Faktoren (Präzisionswaffe Dollar) als großer Erfolg für Network Centric Warfare gefeiert werden, jetzt auch Vordenker im Bundesverteidigungsministerium Feuer und Flamme für die schönen neuen Formen der Kriegsführung gemäß dem Motto "Plug&Kill". Um nicht allzu kämpferisch zu klingen und das Konzept auf die reine Erfüllung von Bündnispflichten herunterzubrechen, haben die Bundeswehrplanern den Begriff aber verharmlosend eingedeutscht und sprechen nun von "vernetzter Operationsführung". Die Fähigkeiten dazu sollen sich laut den Befürwortern der netzzentrierten Kriegsführung hierzulande bald durch alle Kategorien und Teilbereiche der Bundeswehr ziehen.
Weniger Joints sind manchmal mehr
Offiziere wie Brigadegeneral Manfred Engelhardt radebrechen daher fast nur noch in Akronymen und reden schon mehr Englisch als Deutsch. So bemängelt der stellvertretende Stabsabteilungsleiter im Führungsstab der Streitkräfte etwa, dass der deutsche Divisionskommandeur im Unterschied zu seinem amerikanischen Kollegen nicht das "common recognized operational picture" habe und so nicht wissen könne, welche "assets" er überhaupt zur Verfügung habe. Über die "layer des battlespace" müsse daher eine Vernetzung der Sensoren erstellt werden. In jedem zweiten Satz tauchen die Kategorien "Joint" und "Jointness" auf, als ob im Bundesverteidigungsministerium manchmal etwas zu viel geraucht würde.
Die Gemeinsamkeiten mit den amerikanischen Freunden enden aber schnell, wenn's ums Geld und die Standards geht. So erlaubte sich Engelhardt selbst jüngst die "kritische Anmerkung" gegenüber den höchsten Höhen des Verteidigungsministeriums, dass das Finanzvolumen der Bundeswehr "ohne eine deutliche Senkung der Betriebsausgaben" durch laufende, vertraglich gebundene Vorhaben aufgezehrt werde. Da gebe es "wenig Raum für eine neue konzeptionelle Aufrüstung". Die netzwerkzentrierten Kriegsspiele werden bei den deutschen Streitkräften daher wohl erst mal deutlich kleiner ausfallen, als es sich ihre Befürworter im Militär und in der deutschen Rüstungsindustrie wünschen.
Von Stefan Krempl erscheint im Herbst das Telepolis-Buch: "Krieg und Internet. Ausweg aus der Propaganda?" im Verlag Heinz Heise.