Süße Überraschung im Gas- und Staubnebel

Radioastronomen entdecken "kaltes" Zuckermolekül im All, das für die Ausbildung von Leben elementar ist

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26.000 Lichtjahre von der Erde entfernt haben US-Radioastronomen in einer besonders kalten Region einer großen Gas- und Staubwolke eine hohe Konzentration von Zuckermolekülen gefunden, die dort eigentlich gar nicht sein dürfte. Bei diesen Strukturen handelt es sich um einfache Bausteine des Lebens. Jetzt wollen die Forscher mehr über jene Prozesse im All erfahren, aus denen sich die Bausteine des Lebens auf der Erde entwickelten. Die Panspermie-Theorie lässt grüßen.

Ende Dezember 2003 geriet IRAS 00183 in die Schlagzeilen. Als das NASA-Infrarot-Weltraumteleskop Spitzer die 3,25 Milliarden Lichtjahre von uns entfernte Galaxie ins Visier nahm, registrierte der sondeneigene Infrarot-Spektrograph IRS – eines von drei Instrumenten an Bord des Teleskops – ein Spektrum, das nur einen Schluss zuließ: Irgendwo in der abgelegenen Materieoase existieren organische Bausteine. "Das Spektrum weist in der Tat darauf hin, dass sich in dieser weit entfernten Galaxie zu einem Zeitpunkt organische Moleküle gebildet haben, als auf Erde bereits erstes Leben entstanden war", erklärte Houck, der auch von der enormen Helligkeit der Galaxie in dem observierten Spektrum beeindruckt war: "Im Infraroten ist diese ein echter Knaller".

Das größte freibewegliche Radioteleskop der Welt ist das Robert C. Byrd Green Bank Telescope des National Radio Astronomy Observatory in Green Bank, West Virginia, USA. Durchmesser der Schüssel: 102 Meter (Bild: NRAO)

Dass der Informationsgehalt der Wärmestrahlung für Astronomen von unschätzbarem Wert ist, hängt damit zusammen, dass viele astronomische Himmelskörper lediglich im infraroten Bereich des Lichtes emittieren. Da Wärmestrahlung problemlos dunkle Gas- und interstellare Staubwolken durchdringt, werden junge Sterne und Planetensysteme, ferne Galaxien, Staubnebel, das Zentrum unserer Milchstraße oder eben auch organische Moleküle, die schon zuvor in mehreren Teilen des Alls entdeckt worden sind, mit einem Male "sichtbar".

26.000 Lichtjahre entfernte Bausteine des Lebens

Wenn es darum geht, Gas- und interstellare Staubwolken ohne Informationsverlust zu durchdringen, sind aber auch Radiostrahlen nicht zu verachten. Just auf dieser Wellenlänge haben kürzlich US-Forscher mit dem vor vier Jahren in Betrieb genommenen weltweit größten schwenkbaren und im US-Bundesstaat West Virginia gelegenen Radioteleskop, dem Robert C. Byrd Green Bank Telescope (GBT), erneut wichtige Moleküle und Bausteine des Lebens "sichtbar" gemacht. "Die Entdeckung war nur durch die Größe und die Präzision des Green Bank Teleskops möglich", gesteht Philip R. Jewell vom National Radio Astronomy Observatory (NRAO in Green Bank. "Mit diesem Instrument können wir auf weitere Entdeckungen komplexer Moleküle im Weltall hoffen."

Via Radiowellen registrierten die Astronomen nahe dem Zentrum unserer Milchstraße in der 26.000 Lichtjahre entfernten Gas- und Staubwolke namens Sagittarius B2, in der Sterne und Planeten gewissermaßen erstmals das Licht der Welt erblicken, eine beträchtliche Konzentration Zuckermoleküle. Genauer gesagt handelt es sich hierbei um die erste Entdeckung des Zuckermoleküls Glycoaldehyd in einer kalten Region des Weltraums.

Gerüst der Erbsubstanzen RNA und DANN

Glycoaldehyd ist ein Cousin des normalen Zuckers, den wir gemeinhin als Nahrungsmittel schätzen. Das entdeckte Molekül, das für die Entstehung komplexer Zuckermoleküle wichtig ist, besteht aus acht Atomen: zwei Kohlenstoff-, zwei Sauerstoff und vier Wasserstoff-Atomen. Oft verbindet es sich zu mehrkomplexen Zucker wie etwa Glucose, also jenem Fruchtzucker, der für gewöhnlich in fast allen pflanzlichen Organismen enthalten ist – oder eben zu Ribose, das wiederum das Gerüst der Erbsubstanzen RNA und DNA bildet. "Die Entdeckung dieses Zuckermoleküls in einer Gaswolke, in der neue Sterne entstehen, lässt vermuten, dass die chemischen Prozesse für Leben schon vor der Entstehung von Planeten beginnen", konstatiert Jan M. Hollis vom NASA Goddard Space Flight Center in Greenbelt, MD.

Darstellung des Prozesse, wie komplexe Moleküle im kalten All zusammenwachsen könnten (Bild: Bill Saxton, NRAO/AUI/NSF)

Glycoaldehyd trägt exakt dieselben Atome, jedoch in einer anderen molekularen Struktur wie Methyl und Essigsäure, von denen zuvor Spuren in interstellaren Wolken gefunden wurden. Zwar wurden bis dato mehr als 120 verschiedene Bausteine in Gas- und Nebelwolken aufgespürt, darunter auch einfache Zuckermoleküle. Doch die meisten detektierten Verbindungen bestehen nur aus wenigen Atomen. Moleküle aus acht oder mehr Atomen sind extrem selten, ganz zu schweigen von einem komplexen Zuckermolekül dieser Klasse bei diesen Temperaturen. Ein solches fehlte bislang in der Sammlung.

Suche nach komplexeren Molekülen wird fortgesetzt

Die Entdeckung gelang mithilfe der schwachen Radiostrahlung, die derlei Moleküle in der interstellaren Wolke emittieren. Wenn Moleküle rotieren und sich von einer Rotations-Energie zur anderen ändern, strahlen sie Radiowellen auf einer bestimmten Frequenz aus. Solche Radiofrequenzen sind einzigartig und generieren einen "Fingerabdruck", mit dem die Astronomen-Detektive eindeutig ein Molekül bestimmen können.

Da solche Bausteine wiederum für die Entstehung von Leben von Bedeutung sind, hoffen die Forscher durch ihren Fund mehr über jene Prozesse im All zu erfahren, aus denen sich die Bausteine des Lebens auf der Erde entwickelten. Damit ließe sich auch in Erfahrung bringen, wie sich die ersten Biomoleküle in der Geschichte der Erde gebildet haben. Schon seit langen vermuten einige Forscher, dass die ersten komplexen Moleküle von an der Erde vorüberfliegenden Kometen stammen könnten. Entstanden seien diese aus dem Material interstellarer Wolken.

Dieselben Moleküle entdeckten die Forscher um Jan M. Hollis bereits vor vier Jahren in einer anderen Region des Sagittarius B2-Nebels. Damals aber tummelten sich die Zuckermoleküle in einem viel wärmeren Nebel-Abschnitt. Mit dem aktuellen Fund sehen sich die Wissenschaftler nunmehr Zuckermolekülen gegenüber, die bei sage und schreibe acht Grad Celsius (+8°C) in der Gaswolke ausharren: also bei einer Temperatur, bei der sich die Frage stellt, ob unter solchen Bedingungen überhaupt komplexere Moleküle zusammenfinden können.

Neues Indiz für die Kometentheorie?

Möglicherweise haben sich, so ein Erklärungsversuch der Forscher, die Bausteine auf interstellare Staubteilchen niedergeschlagen, wo sie dann unter dem Einfluss starker Stoßfronten komprimiert und zu einer wechselseitigen Reaktion gezwungen wurden. Derlei Stoßfronten sind ein signifikantes Phänomen bei der Sternentstehung, die in solchen Gas- und Staubwolken ablaufen.

Ob die aktuelle Entdeckung der von dem Chemie-Nobelpreisträger Svante Arrhenius aufgegriffenen und erstmals theoretisch formulierten Panspermie-These zugute kommt, wonach sich das Leben im gesamten Universum durch Kometen oder Meteore verbreitete, auf und in denen sich Sporen oder Keime befinden, sei dahingestellt. Immerhin sind einige Forscher durchaus der Ansicht, dass sich komplexe Moleküle in den äußeren, kühlen Regionen junger Planetensysteme bilden können – also dort, wo auch Kometen entstehen. In das Innere der Planetensysteme eindringende Kometen könnten dann präbiotisches Material zu den jungen Planeten transportieren und so die Entstehung von Leben fördern. "Der Fund könnte ein entscheidender Schlüssel zum Verständnis der Entstehung des Lebens auch auf unserem Planeten sein", sagt Philip Jewell. "Einige Wissenschaftler vermuten, dass die Erde durch Kometen mit komplexen Molekülen aus jener Wolke versorgt worden ist, aus der unser Sonnensystem entstand."