Supersturm mit frostiger Botschaft
"The Day After Tomorrow" - Wir lernen: Die Katastrophe schweißt das Volk zusammen
Es ist wieder Emmerich-Time: Nach "Independence Day", "The Patriot" (Keine Irrtümer, sondern Ideologie) und "Godzilla" kommt jetzt The Day After Tomorrow ins Kino. Der 132 Millionen Dollar teure Katastrophenthriller zeigt eine Welt, die infolge globaler Erwärmung durch Abreißen des Nordatlantikstroms binnen Kürze vereist - ein "Worst-Case-Szenario", das von der Klimaforschung aber immerhin ernsthaft diskutiert wird (Heiße Sommer und Flutkatastrophen). Diesmal geht es also, nachdem Emmerich in der Vergangenheit von vielen als chauvinistisch-reaktionärer Super-Patriot kritisiert wurde, um eine vermeintlich linke, ökologische Botschaft und um Kritik an der US-Regierung: "Ich habe mich immer schon eher im linksliberalen Spektrum gesehen", meint Emmerich dazu. Jenseits neuer Nachdenklichkeit aber geht es, wie immer bei Emmerich vor allem um gigantische, möglichst ungesehene Bilder, wilde special effects, Spektakelkino pur: Superstürme wirbeln über Großstädte, Sturmfluten überschwemmen Hochhäuser, Menschen werden schockgefroren.
Vögelschwärme kreisen über New York. Sie verdunkeln den Himmel noch weiter, sodass er nun noch düsterer aussieht als ohnehin schon. Tiere wissen mehr, das weiß wiederum der Zuschauer jedes Katastrophenthrillers, und darum beginnt jetzt auch der letzte im Kino das Unheil zu ahnen.
Vielleicht ist das eines der bedrohlichsten Bilder von "The Day After Tomorrow", unheimlicher und furchterregender als alle computeranimierten Tornados zusammen, als die wandhohen Sturmfluten, kopfgroße Hagelkörner und tiefen Risse durchs Polareis, die uns dieser Film beschert. Vieles davon sieht bei aller Perfektion der Machart doch aus, wie aus einem Computerspiel, seltsam künstlich, ungreifbar und ein bisschen lächerlich. Und die meterhohen Eisschichten, die irgendwann New York bedecken, wirken im postapokalyptischen Sonnenschein vor allem malerisch. Es muss schön sein, so eine Eiszeit. Endlich mal frische Luft...
Aber die Vögelschwärme, die nur für ein paar Sekunden über die Metropole ziehen - sie sind, wie später die hungrigen Wölfe, die durch ein verlassenes New York streunen, einer derjenigen Momente, in denen der Film an das riesige Bilderarsenal in unserem Kopf anknüpft, an die Panoramen des Weltuntergangs, des biblischen Schreckens, des Schauders und Unheimlichen, die sich dort durch Malerei, Literatur und Kino längst eingenistet haben. Einer der Momente, in denen "The Day After Tomorrow" das apokalyptische Versprechen seines Titels einlöst.
Ansonsten ist auch dies, wie jeder Emmerich-Film, vor allem Spektakel pur: "Desaster-Movie" nennt man seine Filme in Amerika, und das trifft noch besser als "Katastrophenthriller" jene diebische Freude am Kaputtmachen, die auch hier wieder dominiert. Wieder einmal trifft es vor allem New York.
Ein Hauch von Sehnsucht
Nachdem Emmerich in nur fünf Minuten Los Angeles durch vier gleichzeitige Tornados in Schutt und Asche legt und dabei überaus hübsch das berühmte "Hollywood"-Schild auf den Hügeln von Beverly Hills Buchstabe für Buchstabe wegschreddern lässt, nimmt er sich an der Ostküste richtig Zeit. Flutwellen schwappen über die Freiheitsstatue, ergießen sich durch Manhattans Straßenschluchten, spülen Häuser und Menschen hinweg. Irgendwie hat man davon zwar vieles schon gesehen, selbst die halb im Eis versunkene Freiheitsstatue steckte im "Planet der Affen", einem anderen Endzeitfilm, schon einmal genauso tief im Sand - aber genau so eben doch nicht, und auch nicht immer so kurzweilig, darum sieht man es allemal mit einigem Vergnügen - falls man dem Desaster-Genre überhaupt etwas abgewinnen kann.
Gar nicht einmal Zivilisationsfeindschaft möchte man hier unterstellen, sehr wohl aber einen Hauch von Sehnsucht nach reinigendem Gewitter, nach Supersturm, der auch allen Überdruss hinwegbläst, frische Luft schafft in komplizierten modernen Verhältnissen. Auch in seinen früheren US-Filmen spielte das eine Rolle. Roland Emmerich hat seinen Ruf als schamloser Zerstörungsexperte weg. Und doch ist hier diesmal ein anderer Ton spürbar, eine stillere Note. Als ob das Kind erwachsen wird. Wie langweilig, eigentlich. Aber Emmerich, so behauptet er zumindest, hat nun eben eine message, und möchte seinem Publikum, vor allem in Deutschland, beweisen, dass er noch nie der amerikanische Patriot war, für den man ihn immer - mit guten Gründen - gehalten hat.
"Wir leben über unsere Verhältnisse" lautet seine gut gemeinte, in Zeiten der Wirtschaftskrise gar nicht so unpassende Botschaft, der Treibhauseffekt führt zu globaler Erwärmung und diese wiederum zu einem Abreißen des Golfstroms, und dies wiederum zu Superstürmen und einer neuen Eiszeit auf der Nordhalbkugel der Erde. Völlig aus der Luft gegriffen ist das nicht, es entspricht zumindest in seinen Grundzügen den pessimistischsten Szenarien der Klimaforscher. Emmerich hat diese noch einmal maßlos übertrieben, unterhaltungsfilmgerecht auf einen Zeitraum von zehn Tagen zusammengerafft, was, wenn überhaupt sich im Laufe viele Jahre vollziehen könnte. Visuell ist das so beeindruckend wie effekthascherisch.
Heroische Wissenschaft
Gleich nach den ersten Bildern, einer Fahrt über menschenleere vereiste Landschaft, sieht man eine US-Forschungsstation im ewigen Eis des Nordmeers. Plötzlich tut sich ein Riss auf, der mitten durchs Lager klafft: Die Szene ist völlig sinnlos übertrieben und dient eigentlich nur dazu, Jack Hall (Dennis Quaid) einmal in Action zu zeigen. Denn Wissenschaft ist per se nicht gerade sexy und unterhaltungstauglich, darum muss sie heroisiert und verschönt werden: Dennis Quaid, braungebrannt am metertiefen Abgrund.
Doch weil es Quaid ist, wissen wir auch, dass er überlebt. Aber heroisch wird Wissenschaft eben in der Alltagsikonographie immer erst dann, wenn sie den Schreibtisch und die Laborräume verlässt. Wahre Glaubwürdigkeit kommt erst durch das "Draußen-sein", durch direkte, unmittelbare Erfahrung und Gefahr.
Später dann hält Hall mit Lesebrille bewaffnet Vorträge und läuft durch den Film wie Kassandra durch Troja, immer vor dem Schlimmsten warnend, immer im Recht, wie aber nur der Zuschauer weiß, eine Nervensäge, der lange keiner Glauben schenkt. Es folgen die üblichen Dialoge. Wie auch später bis zum Abspann fällt dabei kein Satz, den man nicht schon in einem anderen Film gehört hätte, begegnet man keiner Figur, die auch zwei Zentimeter Tiefe hätte. Nichts daran interessiert Emmerich, es ist alles nur Staffage: "Der Film ist der Star" meint der Regisseur und das heißt für ihn: die stille Größe der Effekte.
Borniert und isolationistisch
Zu Beginn zeigt Emmerich einmal Schnee in New Delhi, Hagel in Japan. Der Film schweißt visuell die Welt zusammen, zeigt eine Gefahr, welche die Weltgemeinschaft insgesamt bedroht. Aber diese Gemeinschaft stellt Emmerich dann filmisch doch nicht her. Denn alles weitere geschieht in Amerika. Insofern, trotz seines glaubwürdig "guten" Anliegens, bleibt sein Blick genauso borniert und isolationistisch, wie in Emmerichs anderen schlechteren Filmen.
Nur die Engländer kommen noch ein wenig vor. Und die Amerikaner werden einmal mehr, wie schon in "Independence Day" fein säuberlich in die üblichen Vertreter der Schwarzen, Asiaten, osteuropäisch Sprechenden und die weiße Mehrheit unterteilt. Zumindest im Tode stellt Emmerich eine multikulturelle Volksgemeinschaft her - wenn auch wieder die Schwarzen weitaus häufiger sterben.
Erwähnen müsste man das übrigens gar nicht, trüge nicht Emmerich diese Absicht der PC-ness so deutlich vor sich her. Ebenso wie seine konservativen "family values". Denn einmal mehr dient die Katastrophe in gewissem Sinn vor allem dazu, eine idealtypische, also weiße, aber getrennte, also dysfunktionale US-Familie schlussendlich wieder zusammenzuführen. Der Mann arbeitet zu viel, die Frau ist unglücklich, der Sohn gehorcht schlecht und hat keine Freundin - es sind die üblichen Probleme des bürgerlichen Mittelstandes, da kommt eine kleine Eiszeit ganz passend, um wieder die rechten Prioritäten zu setzen.
Nur in einem Punkt bietet Emmerich tatsächlich etwas Neues. Die Politik, insbesondere der US-Präsident, sind nicht mehr die unhinterfragten Helden, die das Unheil tatsächlich besiegen. Im Gegenteil: Wie von Götterhand persönlich schlägt gleich zu Beginn unheilschwanger ein Blitz ins Weiße Haus. Und der Vizepräsident sieht nicht nur so aus, wie Dick Cheney, er redet und handelt auch so. Die Politiker, das sind hier lange Zeit Versager und Ignoranten, nicht mehr Helden (Maulkorb für Nasa-Wissenschaftler).
Und in einer der klügeren Szenen zeigt Emmerich, wie Massen von US-Flüchtigen sich an der mexikanischen Grenze drängen, wie der selbsterrichtete Zaun plötzlich umgekehrt zur schrecklichen Sperre wird. Auch eine US-Flagge - sie hat in Roland Emmerichs Filmen schon immer eine besondere Bedeutung gehabt - sieht man einmal stolz wehen, und dann noch einmal, in Sekundenschnelle vereist - Bilder von bitterer Ironie, die aber nahezu einzig bleiben in diesem Film.
Bücher verbrennen
Wahrscheinlich meint es Emmerich auch ironisch, wenn die letzten Überlebenden in New York ausgerechnet in der Library Zuflucht finden, und dort, man möchte es ja auch in der Eiszeit warm haben, beginnen, Bücher zu verbrennen. Klar, die gute Gutenberg-Bibel bleibt verschont. Aber "Soll ich Nietzsche verbrennen?", wird gefragt. Und nach wenigen Sekunden Zögern landet auch der Philosoph im Feuer. First things first - vielleicht muss das so sein, wenn man überleben will. Aber irgendwie lässt einen das Gefühl nicht los, dass es Emmerich auch nicht besonders wichtig ist.
Im zweiten Teil, nach der nett anzusehenden Katastrophe, dominiert dann das Melodram: Das ist allzu vorhersehbar, aber vor allem langweilig und bieder. Und die Botschaft wirkt dann auch nicht mehr so linksliberal, wie Emmerich gern behauptet. Wir lernen: Die Katastrophe schweißt das Volk zusammen, nutzt langfristig der sozialen Moral. Die Armee ist gut. "Wir werden von unseren Fehlern lernen." sagt einsichtsvoll der Vizepräsident. Und das obligatorische Selbstopfer einiger Alter, "die ihr Leben gelebt haben" darf auch nicht fehlen - wie überhaupt dieser Film ziemlich oft Figuren zeigt, die von einem heimlichen Todestrieb geprägt scheinen: Man muss seine Sünden abbüßen, indem man sich in Gefahr bringt, man muss sein Leben hergeben, um es zu retten, so die Moral. Ziemlich dicke das alles. Aber auch das ist ja bei Roland Emmerich nichts Neues.