Supreme Court: Bush ernennt weitgehend unbekannten Konservativen
Ein geschickter Schachzug im Hinblick auf die amerikanischen "Kulturkämpfe", die nun vom Obersten Gericht eher zugunsten der Konservativen entschieden werden dürften
Mit der Nominierung des Konservativen John G. Roberts zum Richter am Washingtoner Supreme Court, der obersten Richterinstanz, rücken die USA einen weiteren Schritt nach rechts. Denn gegen den Neuen haben die oppositionellen Demokraten wenig Substantielles in der Hand.
Der nur Washington-Insidern bekannte 50-Jährige, den Bush am Dienstagabend zur Prime Time im Fernsehen vorstellte, kommt mit seinem adretten Seitenscheitel, der warmen Stimme und seiner Mimik und Gestik Tom Hanks ziemlich nahe und dürfte damit so manche amerikanische Herzen, die sich an den Bushs, Cheneys und Roves satt gesehen haben, doch wieder erwärmen. "Humble" (bescheiden) war denn auch das am meisten benutzte Adjektiv, das TV-Moderatoren und Kommentatoren am Dienstagabend dem Richter am Bundesberufungsgericht im District of Columbia anhefteten.
Der weniger als 10 Minuten dauernde Auftritt Bushs und Roberts im Esszimmer des Weißen Hauses war im Duktus auf Familie, Harmonie und Anstand getrimmt. Bush nannte Roberts Ehefrau und Kinder beim Namen, und der Oberste Richter in spe durfte darüberhinaus vor Millionen von Fernsehzuschauern auch seinen Eltern für die Unterstützung danken.
Hinter den fein kalibrierten Public Relations, die nicht zuletzt als Ablenkung vom Skandal um Bushs Chefstrategen Karl Rove (Der Zauberer von Bush) gedacht sind und in der Medienöffentlichkeit ihre Wirkung zeigen, verbirgt sich in der Nominierung der jüngste Versuch des Weißen Hauses, die konservative Revolution mit Personalentscheidungen institutionell zu verankern.
Bei der Roberts-Nominierung und der Aufmerksamkeit, die ihr gewidmet wird, handelt es sich keinesfalls um Sommerlochtheater, sondern um Schachzüge in den amerikanischen "culture wars". Denn Entscheidungen des Supreme Court erstrecken sich auf "big cases" wie religiöse Freiheit, polizeiliche Hausdurchsuchungen oder Rechte von Militärrekrutierern an Universitäten bis hin zu Fragen nach Leben und Tod: Euthanasie, Todesstrafe und Abtreibungsrecht. Und: das neunköpfige Richtergremium war bislang in der Mitte gespalten. Die Anfang Juli zurückgetretene Richterin Sandra O'Connor, deren Sitz John G. Roberts nach dem Willen Bushs übernehmen soll, spielte in vielen Fällen das Zünglein an der Waage.
Nicht immer hatte sie mit den liberaleren Kollegen gestimmt. Im Auszählungschaos von Florida nach den Präsidentschaftswahlen 2000 zwischen Al Gore und George Bush hatte sie sich den rechten Seilschaften angeschlossen und Bush zum Weißen Haus verholfen.
Nun muss Roberts vom US-Senat bestätigt - oder abgelehnt - werden. Die Anhörungen dazu sollen Ende August oder Anfang September beginnen und bis zu einer Woche dauern, damit der Supreme Court im Oktober seine Arbeit wieder aufnehmen kann. Bushs Kandidat gilt im politischen Koordinatensystem der USA insofern als akzeptabel, als er in seiner kurzen, zweijährigen Karriere als Berufungsrichter eindeutig konservative Entscheidungen traf, die aber keine "landmark decisions" von überragender nationaler Bedeutung waren. Damit ist Roberts relativ unangreifbar, und eine spätsommerliche Nominierungsschlacht, die einem oder einer eindeutig Ultrakonservativen bevorgestanden hätte, zunächst auszuschließen.
Den Demokraten nahestehende Frauenorganisationen wie die National Organization of Women und Befürworter des bestehenden Abtreibungsrechts wie NARAL mobilisieren ihre Anhängerschaft einerseits zu Petitionen und Demonstrationen gegen Roberts. Zitiert wird von beiden Organisationen sein Rechtsgutachten in Sachen Abtreibung:
We continue to believe that Roe was wrongly decided and should be overruled. The Courts conclusion in Roe that there is a fundamental right to an abortion...finds no support in the text, structure, or history of the Constitution.
Doch demokratische Politiker aus dem Repräsentantenhaus und dem Senat geben sich realpolitisch vorsichtig und zurückhaltend. Außer dem einen Satz haben sie bisher wenig in der Hand. Beunruhigend ist für Manche aber gerade, dass man gar nicht recht weiß, woran man ist mit dem Mann, der nun mit über die Ausrichtung der amerikanischen Gesellschaft entscheiden wird.
Roberts hin oder her - seine Nominierung und höchstwahrscheinliche Bestätigung als Richter am Supreme Court auf Lebenszeit verdrängen einen weiteren Aspekt, der derzeit kaum Beachtung findet. Der 80-jährige Vorsitzende des Gerichts, William Rehnquist, leidet an Schilddrüsenkrebs. Er wird eigenen Aussagen nach erst dann zurücktreten, wenn seine Gesundheit dies erfordert. Rehnquist ist ebenfalls ein Konservativer. Aber das heißt nicht, dass Bush ihn nicht durch einen Ultrakonservativen ersetzen könnte.