Syrien: Wie die Süddeutsche einfach den Kommentator auswechselt
Leitkommentator Kornelius, der für einen Militärschlag warb, wurde von Putin überrumpelt
Bis zum 7. September 2013 bestimmte Süddeutsche-Chefkommentator Stefan Kornelius die Syrien-Marschroute der SZ-Truppe. "Die Syrien-Krise entzweit G-20-Gipfel", titelte die SZ am gleichen Tag. Leitkommentator Kornelius, der seit Wochen für eine "Bestrafung" Assads in Form eines US-Militäreinsatzes warb, war sich sicher: "Es wird keine diplomatische Anstrengung für Syrien mehr geben, zumindest keine in den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat", prognostizierte der Nahost-Spezialist in seinem Leitartikel "Eiszeit und Ohnmacht" auf Seite vier.
Dass der russische Präsident Putin mit seiner Absage an jede Verwendung von Massenvernichtungswaffen eben diese diplomatische Anstrengung seit Wochen unternahm, zuletzt am 4. September (Deutschland hat noch nicht unterzeichnet), war Kornelius entweder nicht bekannt oder aber unerwünscht. Sein Fazit in Auszügen:
"Es wird keine diplomatische Anstrengung für Syrien mehr geben, zumindest keine in den Vereinten Nationen und im Sicherheitsrat."
"Russland und sein Präsident tragen die Verantwortung für die Blockade."
"Dieses Ausmaß an Staaten-Egoismus - auch der EU nicht fremd - lässt Schlimmstes befürchten. Künftig wird jeder Ordnungsversuch in dieser zerfallenden Welt nur unter größter Anstrengung möglich sein."
"Das UN-System liegt am Boden. Das Völkerrecht erweist sich als kraftlos. Die westlichen Demokratien winden sich angesichts der verständlichen Kriegsmüdigkeit ihrer Bürger. Es fehlt die Energie, an einer Nachkriegsordnung zu arbeiten. Profitieren werden Typen wie Putin und Assad. Es sind leider die falschen."
SZ-Außenpolitikchef Stefan Kornelius in seinem Leitkommentar am 7. September 2013
Die Beleidigung des russischen Staatsoberhauptes, das sich mit seinem prinzipiellen Nein alle Möglichkeiten verbaut, künftig selbst noch Strafaktionen in anderen Ländern mit Zustimmung der UN ausführen zu können, ist der Höhepunkt einer beispiellosen Verkennung der Dynamik und der Bedeutung der Protagonisten in der Syrien-Krise durch die Süddeutschen Zeitung.
Das Veto Russlands und Chinas im Weltsicherheitsrat, von den deutschen Medien und der SZ als "Blockade" (siehe Kasten) abgetan, schuf überhaupt erst den Raum für eine diplomatische Lösung. Damit aber ist das UN-System intakt, das eine gemeinsame Kriegshandlung aller Völker nur gestattet, wenn auch der Weltsicherheitsrat und die UN-Vollversammlung zustimmen. Das Völkerrecht erweist sich dann nicht als kraftlos, sondern als kraftvoll, wenn es aus den Fehlern in Irak und Afghanistan gelernt wird, dass innenpolitische Konflikte nicht mit Drohnen und Bombenangriffen und mit der Eliminierung der bisherigen Regierung gelöst werden können.
Die nun folgende, von Präsident Putin umgesetzte Lösung einer Vernichtung der Chemiewaffen, stellt die Süddeutsche vor ein unlösbares Dilemma: Sie hat Putin beleidigt und als Haupthindernis einer Lösung des Syrien-Konfliktes bezeichnet. Sie hat UN, Völkerrecht und Sicherheitsrat als "kraftlos" abgetan und "Schlimmstes", nämlich die Unmöglichkeit von unilateralen Kriegseinsätzen befürchtet. Und nun erweist sich ausgerechnet der geschmähte Putin als einziger Politiker mit genug Energie, doch noch eine politische Lösung herbeizuführen.
Was macht die SZ? Richtig, sie wechselt die Headline und den Kommentator aus. "Hoffnung auf Ausweg im Syrienkonflikt", titelt sie am 11. September 2013. Ein bisher kaum zum Syrien-Thema in Erscheinung getretener Kommentator namens Stefan Ulrich schreibt nun das Daily Briefing im Headquarter, das vor einigen Jahren aus der Münchner City in die leserfreie Zone der Hultschiner Straße, in der S-Bahn Peripherie, weitab von jedem Café und jeder Zivilisation der bayerischen Landeshauptstadt verlegt wurde:
"Auch die Vereinten Nationen und das Völkerrecht dürften von Plan B profitieren. Der UN-Sicherheitsrat würde sich im Falle Syriens endlich doch noch als handlungsfähig zeigen und das Gewaltverbot des Völkerrechts wäre gestärkt. Denn es zeigt sich schon jetzt: Militärschläge, die nicht vom Sicherheitsrat gebilligt werden, sind nicht nur rechtswidrig, sondern auch politisch kaum zu legitimieren - zumal, wenn ihr Zweck nebulös bleibt".
"Womöglich setzt sich ja die ganz pragmatische Erkenntnis durch, dass ein in Stücke zerrissenes, von Warlords umkämpftes Syrien niemandem nützt."
SZ-Leitkommentar von Stefan Ulrich am 11. September 2013
Das Abonnement der Printausgabe der Süddeutschen Zeitung kostet mehr als die Fernsehgebühren von ARD und ZDF. 557 Euro 46 im Jahr. Ob man für diesen Preis zumindest zwei, vielleicht sogar mehr Meinungen und Informationen zu Syrien erwarten darf? Oder gar zu Israel?
Die Auftritte von Kornelius bei der Münchner Sicherheitskonferenz jedenfalls möchte man als SZ-Leser wohl nicht mehr mitfinanzieren. Transatlantische Think-Tank-Propaganda gibt’s nämlich in der Regel gratis bei Uni, US-Botschaft - und natürlich in der New-York-Times-Beilage der Süddeutschen, für die kein eigener Autor oder Redakteur mehr recherchieren muss.
Siehe zu Kornelius und anderen Journlisten auf Telepolis Journalismusforschung:"Ganz auf Linie mit den Eliten" oder auf den Nachdenkseiten: Der Einfluss der Eliten auf deutsche Journalisten und Medien.