zurück zum Artikel

Syriza-Sonderparteitag im September

Alexis Tsipras mutiert zum TINA-Fan, die Wirtschaft im Land hat kaum noch Überlebenschancen

Die Regierung konnte sich im innerparteilichen Machtkampf beim Zentralkomitee der Regierungspartei Syriza knapp behaupten. Der dringend erforderliche Parteitag, bei dem die 180-Grad-Wendung der Regierung besprochen werden soll, wurde auf den September [1] gelegt.

Der griechische Premierminister Alexis Tsipras demonstrierte bei seiner Rede vor dem Zentralkomitee vor allem ein Credo: Frei nach Margret Thatchers berühmt berüchtigten Motto "There is no alternative" - kurz nach den Anfangsbuchstaben TINA genannt - sprach auch Tsipras vom Fehlen einer Alternative zur rigorosen Sparpolitik.

Damit hat Tsipras zumindest von Seiten der Partei zunächst einmal freie Hand für die Verhandlungen mit der zur Quadriga gewachsenen ehemaligen Troika. Bis zum 20. August soll ein Vertrag für ein drittes, so genanntes Rettungspaket für Griechenland stehen. Danach, so Tsipras, sei Griechenland mit einigen Milliarden Kredit ausgestattet und könne locker mit den Kreditgebern ESM, EU, EZB und IWF weiter verhandeln, um eine Milderung der Bedingungen zu erreichen.

In einem waren sich die ansonsten zerstrittenen Repräsentanten der verschiedenen Strömungen im Syriza einig. Die von der Quadriga verlangten und von Tsipras nach den Marathonverhandlungen in Brüssel am Morgen des 13.7. unterschriebenen Bedingungen für den Kredit sind nicht nur unerfüllbar, sie werden, wenn sie zum Tragen kommen, das Land komplett ruinieren.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Tsipras selbst betonte immer wieder, dass er keine Alternative zur Erpressung der Kreditgeber habe. Seine Kritiker rief der Premier auf, hier und jetzt zu reden oder schlicht sich zu fügen und zu schweigen. Kritiker in der eigenen Partei hat Tsipras mittlerweile zuhauf. Hinter vorgehaltener Hand gibt es niemanden, der an der aktuellen Situation des Landes etwas anderes als eine harte Niederlage gegenüber den Kreditgebern abliest.

Die Wirtschaft im Land hat kaum noch Überlebenschancen. Am Rand der Sitzung klagte eine Journalistin über das Leid eines ihrer Bekannten. Der betreffende Unternehmer beliefert sogar große Supermarktketten in Griechenland mit Papier und Papierprodukten. Importieren kann er wegen der Kapitalkontrollen nichts. "Wenn im September die Schulen aufmachen, dann wird es ein Spaß", meinte die Kollegin. Denn dann werden die Schüler sehr wahrscheinlich nicht genügend Schulhefte zum Kauf vorfinden.

Die Realwirtschaft erstickt förmlich

Das betreffende Unternehmen wird wegen des Ausfalls der branchentypischen Hochsaison sehr wahrscheinlich bereits Ende August Massenentlassungen vornehmen. In die gleiche Kerbe schlugen Fotofachhändler, mit denen Telepolis sprach. Es gibt momentan keine Möglichkeit, Ersatzteile für defekte Fotoausrüstungen zu bekommen. Von der Lieferung neuer Linsen oder Apparate ganz zu schweigen. "Wir sind das letzte Glied der Kette", klagte Fotohändler Chrisophoros Giannatos.

Er erklärte, wie die Antragstellung für Importe funktioniert. Mit Hilfe eines befreundeten Bankers hatte er seinen Antrag auf den Import von Waren im Wert von 8.000 Euro so gestellt, dass er eigentlich hätte genehmigt werden müssen. "Die vom Bewilligungskomitee sagten jedoch, dass zuerst Medizinprodukte, dann Dinge des täglichen Überlebensbedarfs und erst an letzter Stelle so genannte Luxusgüter genehmigt werden", wetterte Giannatos.

Zu Luxusgütern zählen Ersatzteile für Maschinen oder Apparate jeglicher Art, sofern sie nicht zur Herstellung eines Exportprodukts dienen. Die von dem ministeriell kontrollierten Bewilligungskomitee erlaubten Importe liegen bei einem Zehntel des Geldvolumens, welches vor der Bankenschließung im Durchschnitt üblich war. Noch hilft sich der Handel in Griechenland damit, dass befreundete Händler sich gegenseitig die eventuell vorhandenen Überschüsse ihres Lagers zusenden.

Spätestens Mitte bis Ende August werden die Versorgungsengpässe der Realwirtschaft für alle Bürger in den Regalen sichtbar sein. Allerdings gibt es im Gegenzug auch plastische Zitate von Kunden. "Selbst wenn die Regale voll sind, haben wir kein Geld, um etwas zu kaufen", meinte eine Berufsfotografin mittleren Alters im Geschäft von Giannatos.

Die Kontroversen im Syriza-Zentralkomitee

Dieser Situation sind sich Tsipras und seine Gegner durchaus bewusst. Allerdings ziehen sie aus ihrem Wissen konträre Konsequenzen. Für Tsipras gibt es nur den Weg der Erpressung, nämlich der anhaltenden Strangulierung der Liquidität durch die EZB insofern nachzugeben, als dass Griechenland sämtliche auch noch so aberwitzigen Forderung der Kreditgeber erfüllen soll, um dadurch an den dringend benötigten Kredit zu kommen.

Damit, so die Befürworter Tsipras, könne das Land zunächst stabilisiert werden und dann erst könne weiterverhandelt werden. Als Ziel der Erpressung hat Tsipras den "Sturz der ersten gewählten linken Regierung in Europa" identifiziert. Durch sein Nachgeben gegenüber den "Erpressern" meint Tsipras Zeit gewinnen zu können. "Diese vom Volk gewählte linke Regierung kann somit nur durch linke Parlamentarier gestürzt werden", brachte der Premier seine Sicht der Dinge auf den Punkt.

Die Vorschläge der Gegenseite bezeichnete der Premier als lächerlich. Zudem würden all jene, die aus dem Volksentscheid vom 5. Juli ein hartes Votum gegen die Sparpolitik und einen Aufruf zum Bruch mit der Eurozone herauslesen würden, die Wahlstimmen der Bürger in räuberischer Absicht usurpieren. Als kindisch qualifizierte Tsipras das Handeln der Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou ab. Seinen einstigen Star, Yanis Varoufakis, verteidigte Tsipras mit keinem Wort.

Varoufakisgate als Express-Purgatorium für Tsipras

Varoufakis geriet in der letzten Woche ins Visier der Presse, weil sein Plan B für den Fall des Scheiterns der Verhandlungen ruchbar wurde. Da es unmöglich erschien, eine neue Währung innerhalb von wenigen Tagen aus den brach liegenden Druckpressen der Notendruckanstalt Griechenlands zu produzieren, wollte Varoufakis eine elektronische Parallelwährung einführen.

Als Ergänzung zu den im Land kursierenden Euronoten sollten die Griechen über ihre Steuernummer Zugang zur Ersatzwährung erhalten. Alle Griechen sind mit Erreichen der Volljährigkeit zur Beantragung einer Steuernummer verpflichtet. Sämtliche Vorgänge mit dem Finanzamt müssen über ein TAXIS genanntes Portal per Internet erledigt werden. Daraus schloss Varoufakis, dass er mit einem Parallelprogramm zum TAXIT-Netzwerk jedem Griechen eine PIN zukommen lassen könnte.

Parallelwährung Bitcoins

Mit Hilfe dieser PIN könnten die Bürger dann untereinander das fiktive Guthaben austauschen. Um die elektronischen Konten mit Geld zu füllen, wollte Varoufakis einen Teil des Beamtensolds und der Renten, sowie die Rückerstattung von Mehrwert- und sonstigen Steuern an Unternehmer über die Parallelwährung bewerkstelligen.

Tatsächlich gibt es nun eine Art Parallelwährung, die sich in Griechenland mittlerweile wachsender Beliebtheit erfreut. Ein Buchladen und einige Restaurants ermöglichen Zahlungen mit Bitcoins, dem einzigen noch offenen Leck für Kapitalübertragungen ins Ausland. Der Internetdienst Paypal hat ebenso wie der Geldtransferdienst Western Union die Griechen vom Kapitaltransfer ausgeschlossen.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Damit sein Plan nicht auffliegen konnte, arbeitete Varoufakis an der unabhängigen obersten Steuereintreiberin Katarina Savaidou vorbei. Für Varoufakis ist Savaidou eine Agentin der Kreditgeber.

Dass diese Ansicht keineswegs eine Verschwörungstheorie ist, scheinen Berichte von Angestellten aus dem Finanzministerium zu belegen. Demnach handelte Savaidou mit den Technokraten der damaligen Troika Vereinbarungen aus, während Varoufakis im Nebenzimmer zum Beispiel mit Eurogruppenchef Jeroen Dijsselbloem stritt. Danach wurden die auch nach Brüssel gesandten Dokumente dem völlig verdutzten Varoufakis vorgelegt.

"Kreuzigt ihn"

Dieser bekam in der Folge einen Wutanfall, konnte Savaidou aber nicht entlassen, weil diese nur gegenüber der Troika Rechenschaft schuldig ist. Für Varoufakis hat die Affäre ernste Konsequenzen. Er wurde mehrfach von Politikern und einem Rechtsanwalt wegen Hochverrat angezeigt und muss sich nun höchstwahrscheinlich verantworten. Die Mitarbeiter des ehemaligen Ministers wurden von Savaidou mit einer dringlichen Dienstaufsichtsuntersuchung bestraft und müssen Disziplinarmaßnahmen, Entlassung oder gar Gefängnis befürchten.

Die griechische Presse schlachtet die Affäre Varoufakis in geradezu kannibalistischer Weise aus. Aus dem Hosianna der ersten Tage im Amt wurde ein "kreuzigt ihn". Tsipras steht seinem früheren engsten Mitarbeiter nicht nur nicht bei. Er nutzt die Hatz auf ihn sogar aus, indem er sich unwissend gibt. Die griechischen Medien unterstützen diese Version. Wie in der Bibel der Siloah Teich [2] die von Sünden reinigende Salbung König Salomos ermöglichte, möchte Tsipras' Truppe den Premier mit den Pressekampagnen von den nun als Altlasten empfundenen Genossen befreien.

Mit ähnlichen Problemen hat die frühere Vizefinanzministerin Nadia Valavani zu kämpfen. Valavanis Mutter hob zwei Tage vor der Bankenschließung 200.000 Euro von ihrem Konto an ihrem Wohnort in Heraklion auf Kreta ab. Die Politikerin gibt an, davon nichts gewusst zu haben. Bei ihrer Rede auf der ZK-Sitzung hatte sie denn auch nur ein Thema. Sie beklagte sich bitterlich, dass ihr außer Parlamentspräsidentin Zoe Konstantopoulou kein ZK-Mitglied zur Seite stehen würde, während sie sich den teilweise unter die Gürtellinie gehenden Anfeindungen der Presse erwehren müsse.

Generell war die Wortwahl bei der Sitzung des Zentralkomitees alles andere als freundschaftlich. Der Fraktionsvorsitzende von Syroza, Nikos Filis, meinte über den früheren Finanzminister Varoufakis, dass dieser Malakies, also das Endprodukt der männlichen sexuellen Selbstbefriedigung, reden würde. Staatsamtsminister Nikos Pappas giftete in Ermangelung weiterer Argumente gegen die Verräter in den eigenen Reihen und gegen die Mutter von Zoe Konstantopoulous. Pappas erhielt dabei Beifall und ermunternde Zurufe von seinem ebenfalls im ZK sitzenden Vater Stelios Pappas.

Konstantopoulou wiederum sah sich gemüßigt, dem Auditorium darzulegen, dass selbst die Mär über den bis vor vier Jahren angeblich anhaltenden Bezug einer Kinderzulage für ihre Mutter letztinstanzlich gerichtlich widerlegt worden sei. Die Parlamentspräsidentin erinnerte die Tsipras-Fraktion im Übrigen daran, dass Tsipras im Januar im Parlament geschworen habe, jeden Buchstaben der Verfassung zu ehren und jeden Paragraphen des Wahlprogramms durchzusetzen.

Tsipras überwirft sich mit seinem eigenen Wahlprogramm

Tatsächlich ist Tsipras aktueller Kurs vollkommen konträr zum Syriza-Wahlprogramm. Dies bestätigte Energieminister Panos Skourletis, der selbst zur Fraktion der Tsipras-Unterstützer zählt. Skourletis verteidigte den Kurswechsel mit einem Hinweis darauf, dass Syriza im Wahlkampf schlicht zu naiv aufgetreten sei [3]. Pikant ist, dass Skourletis den Wahlkampf als Pressesprecher der Partei maßgeblich leitete.

Auf der Gegenseite beklagten die Vertreter der KOE [4], der kommunistischen Organisation Griechenlands, dass Syriza mittlerweile marxistische und leninistische Theorien überhaupt nicht mehr repräsentieren würde. Die KOE, eine der Parteiströmungen von Syriza, zog Konsequenzen. Ihre 17 Mitglieder des ZKs traten geschlossen zurück [5], was eine Abspaltung in den nächsten Tagen nahe legt.

Foto: Wassilis Aswestopoulos

Die linke Plattform unter Panagiotis Lafazanis versucht dagegen weiterhin den Spagat. Man möchte die Sparmemoranden und sämtliche damit zusammenhängenden weiterhin auch im Parlament ablehnen, aber die Regierung stützen. Lafazanis wetterte in seiner Rede, dass Tsipras dem Land eine Diktatur des Euro bescheren würde. Ein Parteikongress nach erfolgtem Vertragsabschluss könne doch nur dazu dienen, die verwerfliche Ausbeutung des eigenen Volks im Nachhinein abzusegnen, meinte er.

Konsequenzen zogen Lafazanis und Co noch nicht. Der frühere Energieminister rief seine Genossen zur sofortigen Einführung der Drachme auf. Notwendige Devisen könne sich das Land in Windeseile besorgen, wenn die mindestens 35 Milliarden im Umlauf befindlichen Banknoten in Drachmen getauscht würden, meinte Lafazanis, der zudem von unzähligen weiteren, unter Kopfkissen gebündelten Milliarden fabulierte.

Für Statistiker sei erwähnt, dass die Sitzung, die im Kino Kerameikos nahe dem Omonia Platz stattfand, um 10 Uhr begann und erst nach 24 Uhr beendet wurde. Tsipras selbst erschien mit zwei Stunden Verspätung zu seiner Rede. Alles in allem klang der Premier genauso wie seine Gegner beim Wahlkampf im Januar. Tsipras im Juli rechnete mit dem Tsipras des Januars ab.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3374617

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.protothema.gr/politics/article/497233/dramatiki-psifoforia-stin-ke-tou-suriza-gia-sunedrio-i-dimopsifisma-/
[2] http://www.bibel-online.net/buch/luther_1912/1_koenige/1/
[3] http://www.iefimerida.gr/news/219849/aisthisi-apo-tin-omologia-skoyrleti-xerame-oti-itan-dyskolo-na-dosoyme-ti-13i-syntaxi
[4] http://www.koel.gr/
[5] http://www.iefimerida.gr/news/219827/paraitithikan-17-stelehi-apo-tin-kentriki-epitropi-toy-syriza-ola-ta-onomata