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Tafeln am Limit: Zwei Millionen Menschen auf Hilfen angewiesen

Mehr Bedürftige, weniger Lebensmittel: Es fällt den Tafeln immer schwerer, arme Menschen zu unterstützen. Ihr Bundesvorsitzender sieht den Staat in der Pflicht und warnt vor Überlastung der Helfer.

Das heute ausklingende Jahr hat in Deutschland die Armut anwachsen lassen. Ein Ort, an dem sich der Anstieg bemerkbar macht, sind die mehr als 960 Tafeln, die Bedürftige mit Lebensmitteln versorgen. Etwa zwei Millionen Menschen sind hierzulande auf diese Unterstützung angewiesen.

"Dieses Jahr sind im bundesweiten Durchschnitt etwa 50 Prozent mehr Menschen zu den Tafeln gekommen als im Jahr zuvor", erklärte Jochen Brühl, Bundesvorsitzende der Tafel Deutschland, dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). Auf diesen Ansturm [1] seien die Einrichtungen nicht vorbereitet gewesen.

Es fällt immer schwerer, die Bedürftigen zu versorgen. Nicht nur ihre steigende Zahl ist laut Brühl ein Problem, sondern auch, dass weniger Lebensmittel zur Verfügung stehen. Zwei von drei Tafeln klagten demnach über einen Mangel an Lebensmitteln. Das liege auch daran, so Brühl, dass Supermärkte zielgerichteter bestellten und deshalb weniger übrigbleibe und an die Tafeln weitergereicht werden könne.

Auch beim Deutschen Roten Kreuz (DRK) macht sich die steigende Zahl der Bedürftigen bemerkbar. DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt [2] sagte in einem Interview mit der Rheinischen Post: "Wir merken das bei den Kleiderkammern, den Tafeln oder der Schuldnerberatung".

Was wir aber auch feststellen ist, dass mehr Menschen Zuwendung und Betreuung benötigen und dass die Tendenz zur Vereinsamung steigt. Die hohen Preise, die soziale Ungewissheit, das wirkt sich auf die Psyche der Menschen aus.

DRK-Präsidentin Gerda Hasselfeldt

Dass sich Armut auf die Psyche niederschlägt, kennt auch Brühl. "Armut fördert Einsamkeit", sagte er. Arme Menschen würden aus der Gesellschaft ausgeschlossen; einen Besuch im Café, Theater oder Kino könnten sie sich nicht leisten, und über jede Ausgabe müssten sie sich Gedanken machen.

Belastung für Ehrenamtliche

Der steigende Andrang bei den Tafeln hat auch zu einer größeren Belastung für die ehrenamtlichen Helfer geführt. Jeder Fünfte von ihnen ist laut Brühl selbst von Armut betroffen und die Krisen der letzten Jahre hätten auch ihnen zugesetzt. Dass sie nun Bedürftige zum Teil wegschicken müssen, weil es nicht genügend Lebensmittel gebe, belaste sie zusätzlich.

"Mehr als 60 Prozent der Helfenden haben in einer Umfrage angegeben, dass sie psychisch durch die ganze Situation sehr gelastet sind", sagte Brühl. Er forderte deshalb, auch die Helfenden zu entlasten. Als ein Zeichen der Anerkennung, so eine Idee, könnte den Helfern ein Verkehrsticket kostenlos ausgestellt werden, wenn sie eine bestimmte Stundenzahl nachweisen können.

Am Grundproblem der Armut ändert das aber nicht viel, dessen ist sich auch Brühl bewusst. Er betont, dass dem Staat eigentlich der Versorgungsauftrag zukommt und die Tafeln nur unterstützend arbeiten sollten.

Doch die Realität sieht anders aus: Gemäß der ordoliberalen Doktrin hat sich der Staat in den vergangenen Jahren zunehmend aus der Armenfürsorge zurückgezogen und die Zivilgesellschaft zunehmend in die Pflicht genommen.

Das hat zu einem Zustand geführt, den Brühl nun beklagt: "Tafeln unterstützen manchmal nicht nur, sondern werden schon fest eingeplant". Das sei aber nie die Idee hinter den Tafeln gewesen. Man sei vielmehr angetreten, um übriggebliebene Lebensmittel zu retten und "diese an Menschen weiterzugeben, die zu wenig haben".


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https://www.heise.de/-7444549

Links in diesem Artikel:
[1] https://www.maz-online.de/panorama/tafeln-am-limit-armut-kennt-keine-pause-und-keine-feiertage-U4I3QMMBF5CIFEB5SGENCVQWMA.html
[2] https://rp-online.de/politik/deutschland/drk-verzeichnet-spendenrekord-und-ansturm-auf-kleiderkammern_aid-81688563