Tagesschau: Aktivistisch, angepasst und abgehoben?
Die Tagesschau steht in der Kritik. Ein Ex-Insider beschreibt in seinem Buch Mechanismen der ARD-Flagschiffs. Wir haben gefragt: Was treibt ihn an?
Das Buch "Inside Tagesschau" von Alexander Teske ist erst vor wenigen Tagen erschienen und wirbelt doch schon viel Staub auf, denn es lässt tief blicken in den Redaktionsalltag von "ARD aktuell", wo neben den Tagesthemen und Tagesschau.de auch die Tagesschau entsteht, Deutschlands meistgesehene und – viele sagen auch – wichtigste Nachrichtensendung.
Das Buch geschrieben hat Alexander Teske, der von 2018 bis Ende 2023 als Planungsredakteur bei "ARD aktuell" gearbeitet hat. Und seine Bilanz ist äußerst kritisch. Das merkt man schon am Untertitel des Buchs. Der lautet "Zwischen Nachrichten und Meinungsmache". Und dann gibt es noch den Zusatz "angepasst, aktivistisch, abgehoben".
Für Telepolis hat Dietmar Ringel mit Alexander Teske gesprochen.
▶ Sie haben schon eine Menge Interviews zu ihrem Buch gegeben. Zuerst in der Berliner Zeitung, dann in der Neuen Züricher. Viele große Medien haben sich dafür interessiert. Haben sich auch ARD-Radiosender oder TV-Magazine bei Ihnen gemeldet?
Alexander Teske: Nein, die Einzigen, die sich bisher dafür interessiert haben, wenn auch reichlich, waren private Medien. Im öffentlich-rechtlichen System herrscht tiefes Schweigen. Es gibt einen kleinen Medien-Newsletter, der das erwähnt hat, der beim MDR herausgegeben wird und unabhängig arbeitet. Ansonsten hat sich leider keiner gemeldet. Ich hoffe, das ändert sich noch.
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▶ Haben Sie private Rückmeldungen von ehemaligen Kollegen bekommen?
Alexander Teske: Private Rückmeldungen gibt es natürlich jede Menge. Ich habe 21 Jahre für die ARD gearbeitet. Es gab sehr empörte Nachrichten, vorwiegend in den ersten Tagen, weil sich viele Kollegen auch in Hamburg das Buch offenbar vorbestellt hatten und dann gleich gelesen haben.
Dann gab es auch sehr viele differenzierte Rückmeldungen, wo sich Kollegen die Mühe gemacht haben, wirklich sehr lang aufzuschreiben, was sie gut finden an dem Buch, was sie weniger gut finden. So etwas finde ich großartig. Ich habe auch versucht, das alles zu beantworten, auch wenn das natürlich sehr schwierig ist.
Jetzt kommen sehr viele Nachrichten von MDR-Kollegen, wo ich ja lange war, aber auch vom NDR und aus anderen Häusern, die sehr aufmunternd sind, wo es heißt: Hut ab, Chapeau, das musste mal jemand sagen. Sie freuen sich sehr darüber. Ich höre von Kollegen, von denen ich seit zehn oder zwanzig Jahren nichts gehört habe, die sich jetzt melden, mich einladen, die sich die Bücher signiert an ihre Privatadresse schicken lassen. Also – das hat sich jetzt gerade ein wenig gedreht, und ich bin gespannt, wie es weitergeht.
▶ Wann ist Ihnen denn die Idee gekommen, dieses Buch zu schreiben?
Alexander Teske: Es gab immer schon sehr viele Auseinandersetzungen in meinem privaten Freundeskreis, auch in der Verwandtschaft, über das Thema Nachrichten, weil ja alle wissen, dass ich da arbeite. Und wenn wir dann darüber gesprochen haben, ist mir aufgefallen, dass es ein großes Unverständnis über die Zusammenhänge gibt. Darüber, wie das eigentlich alles passiert, wie die Bilder am Abend auf den Bildschirm kommen, wer das plant, wie Themen gesetzt werden usw.
Es gibt tatsächlich manchmal die Annahme, das Kanzleramt würde morgens anrufen und den Redakteuren die Themen in den Block diktieren, was natürlich Quatsch ist. Ich wollte einfach einmal aufschreiben, wie es genau läuft, als eine Art "Erklär-Bär". Auf diese Aufzeichnungen habe ich zurückgegriffen.
Außerdem habe ich schon immer Tagebuch geschrieben, auch während der sechs Jahre bei der Tagesschau. Ich habe auch analoge Kalender, wo es für jeden Tag eine ganze Seite gibt. Dort habe ich immer Einträge gemacht, auch wenn es Auseinandersetzungen gab innerhalb der Tagesschau. Und als ich mir das so durchgelesen habe, ist mir aufgefallen, wie viele Diskussionen es im Haus gab und mit wie vielen Sachen ich nicht einverstanden war.
Dann habe ich versucht, das so ein wenig thematisch zu ordnen. Ich habe dann auch gemerkt, dass das vielleicht das Interessantere ist und habe das Buch dann noch mal komplett umgeschrieben.
▶ Haben Sie auch in der Redaktion offene Debatten geführt? Haben Sie Dinge kritisch angesprochen, die sich jetzt im Buch wiederfinden?
Alexander Teske: Ich habe natürlich, während ich da war, so wie alle Kollegen, meine Themen vertreten. Ich habe gesagt, das finde ich wichtig, das finde ich gut, anderes nicht. Diskussionen zwischen Planer und Chef vom Dienst der Sendung finden meistens früh statt oder unter vier Augen, maximal vielleicht mit drei oder vier Leuten. In den großen Konferenzen wurde kaum diskutiert. Zumindest habe ich das so erlebt, weil mir jetzt auch vorgehalten wird, ich wäre da eher ein ruhiger Kollege gewesen.
Aber es gab auch keine großartige Diskussionskultur. Und ich hatte auch nicht das Gefühl, dass meine Meinung da groß gefragt war. Wenn ich das ein paar Mal versucht habe, dann wurde man eher abgebügelt. Das ist ein grundsätzliches Problem des Klimas in der Redaktion. Wie sehr fordert man ein, dass Kollegen mitdiskutieren, wie sehr hört man auf die?
Ich habe schon viele Redaktionen erlebt und weiß, dass es in anderen Redaktionen ganz anders läuft, dass die Wege viel kürzer sind, dass da auch auf einen gehört wird, dass man Input einfordert. Und bei der Tagesschau hatte ich das Gefühl überhaupt nicht, sondern eher, dass es abgeschottet ist, dass die Chefs vom Dienst eine sehr große Entscheidungsmacht haben und diese auch nutzen.
▶ Hätten Sie ein solches Buch auch schreiben können, wenn Sie in der Redaktion geblieben wären?
Alexander Teske: Nein, völlig ausgeschlossen. Ich bin jetzt seit über einem Jahr raus bei der Tagesschau und habe jetzt einigem Abstand. Und ich merke, je größer der Abstand wird, desto kritischer sieht man das.
Klar, nach 21 Jahren ist man Teil des Problems. Insofern ist das Buch auch eine Selbstbeschreibung. Ich möchte mir da auch keinen schlanken Fuß machen und sagen, das sind jetzt nur die anderen. Ich habe bestimmte Entscheidungen in dieser Zeit auch mitgetragen und erst später realisiert, dass das teilweise vielleicht auch problematisch ist. Das heißt, ich glaube, man benötigte ein bisschen Abstand, um das zu hinterfragen, um draufschauen zu können.
Und den haben diejenigen, die jetzt dort arbeiten, sehr wahrscheinlich nicht. Und andere Kollegen, die den Abstand vielleicht haben, haben aber nicht dort gearbeitet. Insofern ist das natürlich eine sehr spezielle Situation, die ich jetzt habe. Und ja, ich habe das dann eben umgesetzt und genutzt.
▶ Ich will noch eine Frage hinterherschieben. Ich habe in Gesprächen den Vorwurf gehört, Ihr Buch sei eine Art Frustreaktion. Sie hätten länger bei der Tagesschau bleiben wollen, aber nicht gedurft. Ist da was dran?
Alexander Teske: Als ich in die Redaktion gekommen bin, habe ich mich natürlich gefreut. Ich fand die Tagesschau schon immer gut. Ich habe dann natürlich auch gemerkt, dass dieses und jenes mir nicht gefallen hat, aber trotzdem wäre ich gerne dageblieben. Das hatte vor allem private Gründe, weil ich mich in Hamburg eingelebt habe und nicht wieder zurück nach Leipzig wollte.
Ich bin vom MDR sozusagen ausgeliehen worden, zunächst für zwei Jahre. Dann hat man das verlängert und noch mal verlängert und mir dann aber gesagt, jetzt, nach sechs Jahren, ist Schluss.
Der NDR hat in solchen Fällen Angst, dass man sich einklagt. Ich hätte zum Mitteldeutschen Rundfunk zurückgehen können, hatte da auch einen unbefristeten Vertrag. Dass ich den nicht genutzt und stattdessen aus freien Stücken gekündigt habe, hat wirklich private Gründe. Zu sagen, ich hätte jetzt so eine Art Rachebuch geschrieben, ist meiner Meinung nach sehr problematisch.
▶ Dann lassen Sie uns jetzt auf den Inhalt des Buches schauen. Ich habe vorhin die drei Adjektive genannt, die ziemlich deutlich auf dem Buch-Cover zu lesen sind: "angepasst, aktivistisch, abgehoben". So beschreiben Sie diese Redaktion. Fangen wir mal mit angepasst an. Wieso angepasst?
Alexander Teske: Damit meine ich vorwiegend – angepasst an die herrschende Meinung. Man versteht sich jetzt nicht als ein kritisches Organ, sondern tatsächlich als jemand, der die Regierungsmeinung unters Volk bringt. Natürlich ist das jetzt sehr vereinfacht gesagt, aber es gibt Untersuchungen, die zeigen, dass die Opposition sehr selten zu Wort kommt und Dinge sehr selten hinterfragt werden.
Man konnte das in der Corona-Zeit aufmerksam beobachten, kann das auch beim aktuellen Nahost-Krieg und auch mit Blick auf den Ukraine-Krieg. Dort wird die Regierungsmeinung überproportional vertreten und auch wenig hinterfragt. Insofern würde ich sagen: sehr angepasst, was einen gewissen politischen Mainstream betrifft.
▶ Sie haben vorhin gesagt, Sie hörten in Gesprächen oft den Vorwurf, in den Redaktionen werde einem vom Chef gesagt, was man tun soll. Sie sagen aber, so einfach laufe das nicht. Welche Mechanismen führen dann dazu, dass es trotzdem eine solche Schlagseite gibt, wie Sie sie gerade beschrieben haben?
Alexander Teske: Ich glaube, dass das zum einen unbewusst passiert. Es gibt viele Berichte und Untersuchungen zur politischen Einstellung von Redakteuren im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, aus denen hervorgeht, dass sie mehrheitlich bestimmten Parteien eher des linken Spektrums zuneigen.
Und diese private Überzeugung, wie hoch der Prozentsatz im Einzelnen auch sein mag, ist auf jeden Fall höher als in der Gesamtbevölkerung. Und diese private Haltung findet man neben der Berichterstattung. Ich glaube gar nicht so sehr, dass das in jedem Fall bewusste Entscheidungen sind. Es ist klar, dass die private Sicht auf die Welt sich auch in der Arbeit spiegelt.
Und die Kollegen oder Ex-Kollegen, die da arbeiten, tun das häufig schon sehr, sehr lange. Sie passen sich dann natürlich auch aneinander an und suchen sich die Kollegen aus, die man neu holt oder die an höhere Positionen kommen.
Man empfindet dabei vorwiegend die Leute als gut, die so ähnlich sind, wie man selbst ist, und nicht diejenigen, die sich dort vielleicht gar nicht so sehr verorten, die eine andere Meinung haben. Die wiederum merken das dann relativ schnell und werden sich eher nicht laut äußern, wenn sie vorhaben, noch Karriere zu machen.
▶ Stichwort Karriere. Welche Rolle spielen denn Parteibücher bei der Besetzung wichtiger Stellen?
Alexander Teske: Ich bin jetzt schon deutlich über 30 Jahre im Journalismus und würde sagen, als ich angefangen habe, hat das eine deutlich größere Rolle gespielt. Da war die Welt auch noch ein wenig einfacher. Die einen fuhren auf einem SPD-Parteibuch, die anderen auf CDU-Ticket, und dann hat man immer abwechselnd die Stellen besetzt und konnte das paritätisch gut austarieren. Diese Zeiten sind, glaube ich, längst vorbei.
Genau weiß es ja immer keiner, es wird nicht öffentlich kundgetan, aber ich glaube, dass man jetzt auch ohne Parteibuch an bestimmte Positionen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk kommen kann und dass da jetzt auch Leute mit anderen Parteibüchern sitzen. Ich habe viele Freunde im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, und aus vielen, auch privaten Diskussionen der letzten 20 Jahre, glaube ich, dass man mehrheitlich den Grünen und der SPD zuneigt.
▶ Das nächste Adjektiv, das Sie verwenden, heißt aktivistisch. Was genau verstehen Sie darunter?
Alexander Teske: Aktivistisch ist etwa der "Faktenfinder" der Tagesschau. Man geht davon aus, dass die Tagesschau – und so ist auch ihr Selbstbild – ein neutraler, nüchterner Berichterstatter dessen ist, was gerade passiert.
Und es hat mich wirklich sehr gewundert, dass man da einen Faktenfinder ansiedelt. Das hätte man auch in anderen Redaktionen machen können. Gewundert hat mich auch, dass man sich dafür ausgerechnet einen Kollegen aussucht, der vorher einen NPD-Watch-Blog betrieben hat. Und der in Interviews gesagt hat, nur das pure Anhäufen von Fakten sei für ihn kein Journalismus. Man müsse das auch mit Meinung und Haltung anreichern.
Er hat das ja nicht exklusiv, das ist unter Journalisten eine verbreitete Richtung. Dass man sich genau diesen Menschen aussucht und der den Faktenfinder dann auch genau so über mehrere Jahre führt, das verstehe ich etwa unter aktivistisch. Am Anfang hat man sich ausschließlich an der AfD abgearbeitet, dann hat man das Spektrum ein wenig erweitert. Da ging es auch gegen die Werteunion oder das BSW oder Trump oder Maaßen.
Aber man hat kaum den Impuls gehabt, auch mal Äußerungen anderer Parteien oder Organisationen zu untersuchen. Wenn man sich einige Artikel heute noch mal durchliest, merkt man, dass die von der Zeit völlig überholt und gar nicht mehr richtig sind.
Und mit aktivistisch meine ich auch, dass viele privat auf Demonstrationen unterwegs sind, zum Beispiel gegen Rassismus und so weiter, und auch bei Antifa-Veranstaltungen.
Sie verorten sich mehrheitlich bei St. Pauli, obwohl ja der HSV der größere Hamburger Fußballverein ist und St. Pauli auch dezidiert politisch auftritt. Sie laufen dann auch mit entsprechenden T-Shirts oder Pullis in der Redaktion rum, auf denen Bands wie "Feine Sahne Fischfilet" draufstehen, die im Verfassungsschutzbericht auftauchen. Ich finde, das kann man privat vielleicht machen, aber nicht in so einem Umfeld, wo man eigentlich ein neutraler, nüchterner Beobachter sein will.
Man muss auch wissen, dass Besuchergruppen jeden Tag durch die Räume der Tagesschau geführt werden oder Politiker kommen. Und wenn ich mir vorstelle, dass da vielleicht ein innenpolitischer Sprecher der CDU dem Kollegen begegnet, der gerade mit dem "Feine Sahne Fischfilet"-Pulli herumläuft … Ich finde so was vollkommen überflüssig.
▶ Das waren ein paar Beispiele – aber kann man das grundsätzlich auf die Tagesschau beziehen? Jeder Mensch hat irgendwo eine politische Heimat, hat politische Ansichten, geht zu dem einen Verein oder zu dem anderen. Das andere ist das journalistische Produkt, über das wir reden. Das kann man doch voneinander trennen.
Alexander Teske: Könnte man. Ich glaube aber, dass das sehr schwierig ist. Und wenn man sich anschaut, wie die Tagesschau z. B. mit der AfD umgeht, dann finde ich schon, dass da der Auftrag verfehlt wird. Es gab schon sehr lange Bestrebungen auch des ehemaligen Chefredakteurs der Tagesschau Gniffke, der heute Intendant des SWR ist. Er hat auch innerhalb der Redaktion für einen anderen Umgang mit der AfD geworben, konnte sich aber nicht durchsetzen.
Gerade habe ich gelesen, dass sich auch die neue WDR-Intendantin Katrin Vernau in dieser Richtung geäußert hat. Bei der Tagesschau kann man das aber nicht beobachten. Es gibt verschiedene Strömungen. Einerseits möchte man die AfD ignorieren – oder man möchte sie entzaubern. Und wenn man sich anschaut, wie die AfD in der Hauptnachrichtensendung vorkommt, dann geht es da zu allergrößten Teilen um ihre Verfehlungen. Wenn sie Skandale hat, dann werden die groß gemacht, und dann können die AfD-Leute auch was sagen.
Oder es gibt natürlich Standardberichte, Parteitage oder Wahlberichterstattung, die man machen muss. Aber einfach mal zu erzählen, was die AfD für eine Haltung hat oder wie sie zu den Themen steht, die die Menschen betreffen, was sie von der Erhöhung des Mindestlohns hält, wie sie zur Mietpreisbremse oder zu höheren Renten steht, wie sie die Wirtschaft wieder auf Trab bringen will und so weiter – das hat mir vollkommen gefehlt. Und es gab auch kein Verständnis innerhalb der Redaktion, die AfD so zu behandeln wie jede andere. Man sieht sich da eher als Richter.
Ich finde aber, Journalisten sind keine Richter, die bestimmen, welche Partei jetzt vorkommen darf oder nicht und wie sie vorkommen darf. Man muss sie einfach ganz normal behandeln, das ist man dem Gebührenzahler schuldig.
Und wenn es eine illegale, undemokratische Partei ist, dann wird sie halt verboten. Aber sie ist noch legal, steht auf dem Wahlzettel. Und dann finde ich, dass es nicht die Aufgabe von Nachrichtenjournalisten ist, sie zu entzaubern oder zu ignorieren. Das kann man vielleicht in Magazinen machen, aber nicht in den Nachrichten.
▶ Kommen wir zum Label "Abgehoben". Warum sagen Sie, die Tagesschau ist abgehoben?
Alexander Teske: Das hat die Tagesschau natürlich nicht exklusiv, so fair muss man sein. Das lässt sich sicherlich auch in anderen Redaktionen beobachten. Aber ich sehe die Tagesschau in einer besonderen Verantwortung – als Teil des öffentlich-rechtlichen Rundfunks und noch dazu als Aushängeschild oder Flaggschiff.
Da gibt es immer noch einen Unterschied zu privaten Medien. Und ich meine mit "Abgehoben" etwa die Herkunft der Leute, die da arbeiten. Man findet dort fast nur noch Redakteure, die einen Hochschulabschluss haben, die in einem bestimmten Milieu groß geworden sind, mehrmals im Jahr in der Weltgeschichte herumfliegen und die bestimmte Kontakte zu Gleichgesinnten haben.
Die kennen aber niemanden aus dem Osten, haben keine Verbindung zu Leuten, die nicht so gut gestellt oder schwerbeschädigt sind oder migrantischen Hintergrund haben. Also das ist eine ganz bestimmte Blase, aus der dann auch immer wieder der Nachwuchs rekrutiert wird. Und das sieht man dann auch in der Berichterstattung.
Nehmen wir als Beispiel die Proteste der Landwirte. Die Probleme der Landwirtschaft, die ja viele Menschen betrifft, finden erst dann auf dem Bildschirm statt, wenn die Trecker vor das Kanzleramt rollen. Und dann ist es auch eine sehr oberflächliche Berichterstattung, weil man sehr weit weg ist von den Problemen der Landwirte. Und es gibt auch kaum Experten in der Redaktion, die die Vorgänge vor Ort verstehen.
▶ Noch mal nachgefragt, woran liegt das denn? Werden da Leute aussortiert, die nicht ins Schema passen? Oder ist es einfach so, dass sich für den Journalistenberuf nur Leute interessieren, die aus bestimmten Milieus kommen?
Alexander Teske: Beides. Man muss schon bestimmte Kriterien erfüllen, wenn man sich auf einer Journalistenschule oder für einen Volontariatsplatz bewirbt. Als ich damals beim MDR meinen Volontariatsplatz bekommen habe, war das noch ohne abgeschlossenes Hochschulstudium möglich.
Heute ginge das nicht mehr. Heute muss man ein abgeschlossenes Hochschulstudium haben. Ich habe selbst Leute kennengelernt, die es bis zum Chefredakteur gebracht haben und nicht mal Abitur hatten. Aber die hatten dadurch natürlich eine ganz andere Bindung an die einfache Bevölkerung und waren nicht so abgehoben. Natürlich hat man überproportional viele studierte Menschen in Redaktionen, aber diese Ausschließlichkeit hat meiner Meinung nach zugenommen.
Also, das ist eine Frage der Ausbildung. Und natürlich zieht man sich dann auch solche Leute nach, wenn man sie sich aussuchen kann. Es entspricht offenbar auch dem Selbstverständnis, studierte Leute zu bevorzugen. Leute, die aus dem Osten kommen, die vielleicht Dialekt sprechen oder ein wenig anders sind, empfindet man dann als komisch und ordnet sie auch als weniger intelligent ein, ohne dass sie das objektiv sind.
Das wäre jetzt eine mögliche Erklärung, ist aber natürlich auch in gewisser Hinsicht Spekulation. Ich bin kein Psychologe.
▶ Ein Kritikpunkt an der Tagesordnung beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist ja, dass Redakteure in Pressestellen von Ministerien wechseln und gar nicht so selten auch einmal wieder von dort an den Sender zurückkehren. Es gibt ein Beispiel, das Sie auch in Ihrem Buch anführen und kritisch bewerten. Da geht es um Michael Stempfle, der in den Sendungen von "ARD aktuell" sehr präsent war.
Er hatte gerade noch einen Kommentar geliefert, der praktisch eine Lobeshymne auf Verteidigungsminister Boris Pistorius war. Und ein paar Tage später war er genau dessen Sprecher. Welche Reaktionen hat das damals in der Redaktion ausgelöst?
Alexander Teske: Davon war man natürlich überhaupt nicht begeistert. Niemand wusste davon. Und das fand natürlich auch deshalb niemand toll, weil jedem bewusst war, dass das an der Glaubwürdigkeit kratzt und grenzwertig ist. Dann hat man versucht, das mal aufzuklären. Denn es stand der Verdacht im Raum, er habe diesen Artikel, diese Lobeshymne, die als Analyse auf tagesschau.de getarnt war, schon in dem Wissen geschrieben, dass er der Sprecher von Pistorius wird.
Da gibt es eine extrem enge Überschneidung von wenigen Stunden, und meiner Meinung nach sind die Verteidigungslinien von Herrn Stempfle, die er danach öffentlich geäußert hat, ziemlich dünn. Man hat dann einen Transparenzhinweis unter den Artikel geschrieben, weil man wirklich Bauchschmerzen damit hatte und hat dann später diese Analyse, also diese Lobeshymne von Herrn Stempfle auf Pistorius, einfach gelöscht.
Man kann meiner Meinung nach als Arbeitgeber wenig bis nichts unternehmen, wenn jemand den Job wechseln möchte. Das sei jedem gegönnt. Was natürlich problematisch ist, ist einfach der Umgang damit. Man kann versuchen, dieses Hin- und Hergespringe zu unterbinden. Das Wechseln aus dem Journalismus in die Politik und wieder zurück ist im öffentlich-rechtlichen Rundfunk extrem einfach, weil die Sender ihren Redakteuren ein sogenanntes Rückkehrrecht einräumen.
Das heißt, der Platz wird einfach warm gehalten, der Vertrag ruht, man kann einfach mal probieren, ob man es in der Politik schafft oder in der freien Wirtschaft, und wenn es nicht klappt, kann man nach zwei, drei Jahren wieder zurückkehren. Das erleichtert diese Wechsel, und in der Öffentlichkeit entsteht so der verheerende Eindruck, dass alle unter einer Decke stecken, was sie ja nicht tun.
Aber es bringt das Bild einer engen Verzahnung zwischen Journalismus und Politik in die Öffentlichkeit. Und es ist ohnehin schon so, dass die Kollegen, die im politischen Berlin arbeiten, die Entscheider jeden zweiten Tag sehen. Da gibt es schon sehr enge Beziehungen. Man hat verschiedene Dinge unternommen, um das etwas zu unterbinden. Die Zeit, die man Kollegen dorthin entsendet, ist befristet auf fünf Jahre. Man hält diese Regeln aber selbst nicht ein. Es gibt auch Fälle, in denen diese Befristung umgangen und in Extremfällen auf 20 Jahre gedehnt wird.
Und dann gibt es natürlich eine wahnsinnige Nähe zwischen der Politik und dem Journalismus. Das wollen die Einzelnen vielleicht nicht wahrhaben, aber das lässt sich gar nicht wegdiskutieren.
▶ Lassen Sie uns noch über Geld reden. Das ist mit Blick auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk immer ein großes Thema. Alle Menschen im Land müssen das mitbezahlen, mit dem Rundfunkbeitrag. Andererseits beklagen sich die Sender oft über Unterfinanzierung. Gerade erleben wir es beim RBB, wo sogar 250 Stellen gestrichen werden sollen.
Andererseits heißt es immer wieder, es fließe zu viel Geld in den ÖRR. In ihrem Buch beschreiben sie die Redaktion "ARD aktuell" als ziemlich groß und üppig finanziert. Aber sie muss auch eine Menge leisten. Wie bewerten Sie das Thema Finanzen speziell mit Blick auf diese Redaktion?
Alexander Teske: "ARD aktuell" habe ich als sehr gut finanziell ausgestattet wahrgenommen, und ich finde das auch nach wie vor gut so. Wenn man die Finanzen der ARD insgesamt betrachtet, ist das nur ein Bruchteil. Aber die Tagesschau, also die Produkte, die in diesem Haus entstehen, das sind doch wirklich Aushängeschilder der ARD, die immer im öffentlichen Fokus stehen, die auch angegriffen werden. Jeder kleine Fehler wird sofort ausgeschlachtet von Leuten, die dafür sind, dass man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk komplett abschafft.
Insofern halte ich es für richtig, dass die Kollegen dort die Luft haben, ordentlich zu arbeiten und finanziell gut ausgestattet sind. Das sehe ich gar nicht kritisch. Und auch das Korrespondentennetz der ARD, das ja wirklich weltweit einmalig ist, finde ich gut und richtig.
Die Frage ist so ein wenig, wie man das nutzt und ob man es vielleicht besser machen könnte. Ich habe viele Jahre im Redakteursausschuss gearbeitet, hatte auch Kontakt zur Aufsicht und zur Geschäftsleitung, und war da schon auch erschrocken darüber, wie wenig Geld tatsächlich ins Programm fließt.
Ich habe das Gefühl, und ich glaube, das haben auch viele andere Redakteure, dass der Wasserkopf immer größer wird und die Sender sich auch dann weiterbeschäftigen würden, wenn das Programm wegfiele. Das ist natürlich eine sehr bedauerliche Entwicklung.
Es ist sicherlich richtig, dass gespart werden muss. Die öffentliche Stimmung ist einfach so, dass man sagt, zehn Milliarden sind jetzt wirklich genug, und der öffentlich-rechtliche Rundfunk soll nicht immer weiter ausufern. Die Frage ist aber, wo wird gespart? Von meinem Haussender MDR war die letzte Meldung, dass sich die neue Informationsdirektorin eine umstrittene Zulage genehmigt hat. Da geht es, glaube ich, um etwa zweieinhalbtausend Euro. Und da denke ich dann, die können den Hals nicht voll genug bekommen. Die verdienen so viel wie die Kanzlerin, und dann reicht ihnen das trotzdem nicht.
Und öffentlich ist das eben ganz problematisch, weil an sich an einer solchen Summe dann so wahnsinnig viel entzündet. Zudem spart der MDR wie andere Sender bei der Kultur. Und gerade dort gibt es ein ganz wichtiges Feld im öffentlich-rechtlichen Rundfunk, weil die Privaten das nur noch rudimentär beackern. Was beim ÖRR nicht mehr stattfindet, findet nirgends mehr statt, zumindest nicht im großen Maße. Deswegen ist das verheerend.
Ansonsten hat der MDR in der Investigativ-Recherche gespart, also da, wo die Kollegen mal etwas mehr Zeit haben, Geschichten nachzuspüren. Dort zu sparen, ist natürlich fatal. Man hat diese Kürzung bei der Investigativrecherche zwar ein wenig zurückgenommen, aber die Abteilung ist total klein und nun eigentlich kaum noch vorhanden. Und das gerade in einem Berichtsgebiet mit den Bundesländern Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, wo die AfD stark ist und es viel zu recherchieren gibt.
Wenn der MDR das nicht tut, macht es kaum mehr jemand anderes, denn die Zeitungen haben diese Kapazitäten gar nicht mehr. Gerade erst sind die beiden großen Zeitungen aus Leipzig und Dresden zusammengelegt worden. Deswegen ist das einfach eine sehr dramatische, bedauerliche Entwicklung.
▶ Sie haben vorhin gesagt, für Sie ist das Kapitel Tagesschau erledigt, und zum MDR zurückwollten Sie nicht. Ist es trotzdem vorstellbar, dass Sie noch mal Lust bekommen, doch wieder zurückzugehen zu den Öffentlich-Rechtlichen?
Alexander Teske: Mir war vorher klar, dass ich mit meinem Buch sämtliche Brücken hinter mir abbrenne. Ich werde nie wieder einen Fuß ins öffentlich-rechtliche System setzen können. Das ist ziemlich klar. Der NDR hat gesagt, er prüft das Buch juristisch, und alles, was ich aus dem Haus höre, ist, dass man sehr, sehr wütend ist.
Man hat mir das auch zu verstehen gegeben in diversen Tweets von Kollegen, die mir das sehr übel nehmen. Und ich glaube, die werden das auch nicht so schnell vergessen. Ich selbst hatte natürlich so ein paar Nächte, wo ich schlecht geschlafen und überlegt habe: Ist das wirklich richtig, was du da tust? Man muss auch seine Miete bezahlen. Und es ist nicht einfacher geworden für Journalisten.
Aber je länger ich raus bin aus der Tagesschau, umso weniger bedauere ich das. Ich muss sagen, ich bin sehr, sehr froh. Und das hat mir in jeder Hinsicht gutgetan. Und ich bin glücklich, dass ich diesen Schritt gegangen bin.
▶ Jetzt haben Sie natürlich mit diesem Buch viel zu tun, geben Interviews, stehen in der Öffentlichkeit. Aber ich nehme an, Sie haben auch noch etwas vor. Können Sie über Pläne sprechen?
Alexander Teske: Also tatsächlich wird das ja jetzt eine Weile anhalten, glaube ich. Es übertrifft meine kühnsten Erwartungen. Natürlich hatte ich gehofft, dass das Buch ein Erfolg wird und dass man auch darüber spricht. Ich habe jetzt schon auch das Gefühl, dass es etwas ans Rutschen bringt, dass es eine Diskussion anstößt, was mich wahnsinnig freut.
Ich habe Einladungen zu Lesungen, zu Diskussionsveranstaltungen, und das wird mich noch eine Weile beschäftigen. Dann möchte ich natürlich auch mal einen Haken dahinter setzen. Also ich möchte jetzt nicht bis zur Rente der Medienmensch bleiben, ich möchte gerne auch noch andere Projekte umsetzen, vielleicht auch noch einmal ein zweites oder drittes Buch zu ganz anderen Themen schreiben, und ich werde als Journalist auch weiter mich Herzensprojekten zuwenden, einfach mir die Themen selbst aussuchen, die mir im Herzen liegen und mir die Zeit nehmen, die auch umzusetzen.
Dietmar Ringel sprach mit dem Journalisten und Autor Alexander Teske. Sein Buch "Inside Tagesschau" ist im Langen Müller Verlag erschienen und kostet 22 Euro.