Technokratie: Woran arbeitet Musk unter Trump wirklich?
Mit der Übernahme des Ministeriums für Regierungseffizienz verfolgt der Mulitimilliardär einen politischen Traum. Den des Libertär-Konservativen von heute oder den des Technokraten von gestern?
Wissenschaftlichkeit kann (…) die Masse unmöglich haben. (…) Zu den tüchtigsten Staatshütern darf man nur die echten Jünger der Wissenschaft, die Philosophen bestellen.
Platon, Politeia, 375 v. Chr.
Herr, Gott des Himmels und der Erde, du hast uns durch deine Gnade die Fähigkeit verliehen, deine Schöpfungswerke und ihre Geheimnisse zu erkennen (...) wir bitten dich demütig, (...) uns (…) die Deutung dieses großen Zeichens und seine Anwendung zu überlassen, was du zum Teil heimlich versprichst, indem du es uns sendest.
Francis Bacon, Nova Atlantis, 1627
Die Arbeit am wissenschaftlichen Fortschritt ist nur für diejenigen bestimmt, die dafür besonders geeignet sind oder genügend Interesse daran haben, diese Eignung zu erlangen.
H.G. Wells, The Open Conspiracy, 1919
Gestatten: Regierungseffizienzminister
Elon Musks Einstieg in die Politik ist komplett. Mit der angeblich 200 Millionen US-Dollar schweren Wahlkampfspende an Donald Trump hat der Tesla-Gründer und X-Besitzer sich diesen allerdings auch einiges kosten lassen. Das Investment hat sich aber mehr als gelohnt.
Der nominell reichste Mensch der Welt ist nun designierter Ko-Vorsitzender des sogenannten Department of Government Efficiency (DOGE), zusammen mit dem Biotech-Investor Vivek Ramaswamy.
Musk ist seit der US-Wahl laut Bloomberg noch einmal um 50 Milliarden US-Dollar reicher geworden. Sein Nettovermögen beträgt demnach derzeit 313,7 Milliarden US-Dollar.
Nach eigener Aussage soll das DOGE, so das an Musks Kryptowährung Dogecoin angelehnte Akronym für das neue Ministerium, "Schockwellen durch das System senden". Bürokratie, Subventionen und Regulierungen sollen zurückgefahren und ein verschwenderischer Umgang mit Haushaltsmitteln verhindert werden. Um "mindestens zwei Milliarden Dollar" versprach Musk besagten Haushalt zu verschlanken.
Welche Aufgaben das DOGE noch übernehmen wird, ist noch unklar. Zumal Kritiker im Vorfeld mit einiger Verwunderung darauf hingewiesen haben, dass mit dem Government Accountability Office bereits ein vom Kongress regulär bestimmtes Haushaltskorrektiv besteht.
Klar und deutlich ist dagegen die irritierende Verwandtschaft des "Regierungseffizienzministeriums" zu einem Ziel, das innerhalb der Familie Musk schon verfolgt wurde, als Elon noch lange nicht auf der Welt war. Und zwar von Musks Großvater Joshua Norman Haldeman.
Der in Kanada niedergelassene US-Chiropraktiker war von 1936 bis 1941 Forschungsdirektor bei der kanadischen Dépendance von Technocracy Incorporated. Einer sozialen Bewegung, deren Mitglieder sich zum Ziel gesetzt hatten, die Gesellschaft gemäß den Prinzipien von Wissenschaft und Technologie umzubauen (v. Gr. "téchne" = Technik, Fertigkeit und "kratos" = Herrschaft). Ihr oberstes Ziel war es, die Effizienz der Regierung – oder besser: jeglicher Regierung – zu maximieren.
Anarcho-Sozialist oder libertärer Rechter?
Es ist bei weitem nicht der einzige Anhaltspunkt für diese Geistesverwandtschaft innerhalb der biologischen Verwandtschaft. Musk hat seinen E-Auto-Konzern Tesla von Anfang an mit der Vision des autonomen Fahrens verbunden. Ausbuchstabiert: der vollständigen Übernahme der menschlichen Fahrleistung inklusive deren Risiken durch eine technologische Lösung.
Viel Geld verdient hat Musk aber nicht (allein) durch die Herstellung dieser Elektrofahrzeuge, sondern vor allem durch den Verkauf von Emissionszertifikaten, die einen verantwortungsvollen Umgang mit den natürlichen Ressourcen abbilden bzw. fördern sollen.
Heute beschreiben die meisten Medien Musk als libertären Konservativen. Mindestens. Nun können sich Meinungen freilich ändern. 2018 hat sich der Multi-Konzernchef jedenfalls selbst noch als "Sozialist" bezeichnet.
Als Referenz hat Musk das Gesellschaftssystem angegeben, das der schottische Science-Fiction-Autor Iain Banks in seinem Romanzyklus "Culture" (1987-2012) beschrieben hat. Diese Beschreibungen wirken aktueller denn je.
Die Menschen In Banks’ Zivilisation haben durch genetische "Verbesserungen" ("enhancement") Krankheit, Tod und Schmerz überwunden. Sie leben gemeinsam mit künstlich-intelligenten Maschinen und interplanetaren Lebensformen in einer Post-Knappheits-Gesellschaft, in der es kein Geld, keine Armut, keine Lohnarbeit, keine Polizei, keine Gefängnisse, kein stehendes Heer und einen "Überfluss" an Grundgütern gibt. "Abundance" heißt das auf Englisch. Dieser Begriff wird hier noch eine große Rolle spielen.
Das Gesellschaftsmodell der "Culture" ist im Grunde ein sozialistisches, so wie Musk hat sich auch Banks als Sozialist bezeichnet. Allerdings muss die "Culture" eher "anarcho"-sozialistisch genannt werden. Denn es gibt kein zentrales Politbüro, sondern verschiedene lokale Verwaltungseinheiten, die sich mithilfe der sogenannten Künstlichen Intelligenz untereinander vernetzen und auf die rationalsten (?!) Lösungen einigen.
Auch Musk lehnt staatliche Interventionen von Corona-Lockdowns über Zensur auf Social Media mit oder ohne Digital Services Act bis hin zu Industriesubventionen (die er anscheinend selbst stark in Anspruch nimmt) konsequent ab. Für diese Position wurde er mehrfach dem konservativen politischen Spektrum zugerechnet. So einfach ist die Sache aber nicht.
Denn noch 2021 plädierte Musk für eine CO2-Steuer, um die Folgen des Klimawandels abzumildern. Und soll zu diesem Zweck die demokratische Biden-Regierung ausdrücklich unterstützt haben – auch finanziell. Das ist aber kein Widerspruch.
Sondern vielleicht konsequenter Anarcho-Sozialismus: Das Gemeinwohl muss unter der Wahrung der individuellen Freiheiten erreicht werden. Besser dazu geeignet als die Politik ist der Markt, dessen Feedback-Loop von Angebot und Nachfrage das technologisch bessere – und deshalb evolutionär höherstehende – System ist.
Technologie als Glaubenssystem
Dieser Determinismus gegenüber einer fortschreitenden technologischen Rationalität und Rationalisierung als Schicksal der Menschheit hat Musk auch dazu veranlasst, ein weiteres Projekt zu unterstützen, das auf den ersten Blick nicht nach dem libertären Klischee des "every man for himself" klingt: ein universales Grundeinkommen.
"Massenarbeitslosigkeit wird zu einer massiven Aufgabe für die Gesellschaft werden", warnte Musk auf dem World Governments Summit 2017 in Dubai. Deshalb werde an einem bedingungslosen Grundeinkommen kein Weg vorbeiführen.
"Es wird immer weniger Arbeit geben, die ein Roboter besser erledigt. Die Automatisierung wird den Überfluss bringen." "Abundance". Da ist er wieder, dieser Begriff.
Mit dem 44 Milliarden teuren Kauf der Online-Plattform, die einmal unter dem Namen Twitter bekannt wurde, gab Musk 2022 bekannt, "X" zu einer "everything app" entwickeln zu wollen, die nicht nur als Kurznachrichtendienst, sondern zugleich auch als Bezahlservice und digitaler Personalausweis fungieren sollte. Mit der Forderung einer Klarnamenpflicht für X hatte sich Musk bereits für die Einführung einer Digitalen Identität ausgesprochen.
Als Vorbild, eine "exzellente App", nannte Musk damals das chinesische Programm WeChat.
2019, als X noch Twitter hieß, setzte der Space-X-Chef einen wohl nur halb-ironischen Post ab, in dem er ein Wort benutzte, dass die gesamten hier aufgezeigten Verwandtschaften auf einen Nenner bringt: "Beschleunigung der Raumschiffentwicklung zum Aufbau der marsianischen Technokratie". Im Englischen liest man den Begriff: Technocracy.
Musks Aussagen – ob sie nun dem "alten" Sozialisten Musk oder dem womöglich gewandelten Trump-Anhänger zuzuschreiben sind, sei zunächst einmal dahingestellt – weisen nicht nur eine enge Verwandtschaft zu Ideen auf, für einst sein Großvater (ein-)stand, sondern auch zu einer langen Tradition der politischen Utopie, die sich über große Namen wie Karl Marx und Jean-Jacques Rousseau, Francis Bacon und Thomas Morus bis zu Platon zurückverfolgen lässt.
Im nächsten Beitrag zur Technokratie-Serie widmen wir uns den ideologischen Ursprüngen der Technokratie-Bewegung.