Telepolis Gespräch
Warum musste John F. Kennedy sterben?
50 Jahre nach der Ermordung des Präsidenten wird mehr denn je über die Hintergründe spekuliert - und es werden immer noch neue Fakten bekannt
Verschwörungstheorien erfüllen ein menschliches Grundbedürfnisse nach Sinn in der Sinnlosigkeit, ähnlich wie die Religion. Jim Lewis formulierte das 1996 wie folgt: "The only thing more frightening than the idea of vast and powerful plots holding sway over the course of history is the idea that, after all, there aren't any". Und sie sind die bessere Unterhaltung.
Das heißt jedoch nicht, dass Verschwörungstheorien notwendigerweise unwahr sein müssen. Regierungen, Bürokratien, Unternehmen - aber auch alle anderen Menschen und Gruppen lügen und vertuschen nämlich viel und ständig. "Everybody lies" - wie Dr. House immer wieder sagt (und wie man durch regelmäßige Enthüllungen wie die NSA-Affäre immer neu vorgeführt bekommt).
Aus diesem Grund können Verschwörungstheorien zu akzeptierten Darstellungen werden und umgekehrt. Ein besonders gutes Beispiel dafür ist die Ermordung von John F. Kennedy im November 1963, die sich in diesem Jahr zum 50. Mal jährt: 1964 befand die Warren Commission, dass Lee Harvey Oswald ein Alleintäter war. 15 Jahre später kam das House Select Committee on Assassinations (HSCA) zum Ergebnis, dass das Attentat "wahrscheinlich Resultat einer Verschwörung" gewesen sei. Die öffentliche Meinung in den USA war einem ähnlichen Wandel unterworfen: Kurz vor der Veröffentlichung des Warren Reports ermittelte das Meinungsforschungsinstitut Gallup, dass 52 Prozent der Amerikaner an eine Verschwörung zur Ermordung Kennedys und nur 29 Prozent an einen Einzeltäter glaubten.
Nachdem US-Medien ausführlich über den offiziellen Bericht informiert hatten, änderte sich dieses Bild radikal und 87 Prozent der Befragten zeigten sich überzeugt, Lee Harvey Oswald sei alleine für die Tat verantwortlich. Als Mark Lane 1966 seinen Millionenseller Rush to Judgement veröffentlichte, glaubten bald wieder weniger als 50 Prozent, dass im Warren Report die Wahrheit steht. Und 1983 kam eine Newsweek-Umfrage zum Ergebnis, dass nur 11 Prozent der Amerikaner Lee Harvey Oswald die Alleinschuld am Attentat von Dallas gaben, während 74 Prozent der Meinung waren, es seien noch weitere Akteure involviert gewesen.
Ein sehr wichtiger Grund für die Beliebtheit von Verschwörungstheorien im Fall Kennedy ist die extreme Schwäche der zur Einzeltätertheorie gehörigen Magic-Bullet-Erklärung, nach der eine von drei Kugeln einen ausgesprochen ungeraden Weg zurückgelegt haben soll, um den Schaden anzurichten, der entstand. An sie zu glauben fällt - so hat es der Historiker Steven Ambrose einmal treffend formuliert - ähnlich schwer (oder leicht) wie der Glaube an Komplotte aus Mafia, Behörden und Regierungsmitarbeitern. Eine ähnliche Schwachstelle haben jedoch auch die Erklärungsmodelle vieler Verschwörungstheoretiker: Um ein Motiv für die Ermordung Kennedys zu finden, leiten sie aus einer einzigen Rede, die der Präsident am 10. Juni 1963 an der American University hielt, sehr weitreichende Spekulationen über Abrüstungsvorhaben und einen Abzug aus Vietnam und ab, für die sich sonst recht wenige Anhaltspunkte finden.
Dass bei dieser Sachlage die Spekulationen über die Ermordung Kennedys auch 50 Jahre nach der Tat nicht abreißen, verwundert deshalb wenig. Tatsächlich nehmen sie sogar zu, weil immer wieder neue Ungereimtheiten bekannt werden und weil man manche Dokumente immer noch unter Verschluss hält. Mathias Bröckers hat solche Ungereimtheiten und Spekulationen in seinem Buch JFK - Staatsstreich in Amerika gesammelt, das im August im Westend Verlag erschien. Darin hält er andere Hintergründe der Ermordung Kennedys für wahrscheinlich als der Historiker Dr. Andreas Etges in seiner Kennedy-Biografie von 2003. Am 23. September diskutieren beide im Münchner Amerika Haus im Rahmen der Gesprächsreihe, die Telepolis zusammen mit der Bayerischen Amerika-Akademie durchführt. Die Veranstaltung, bei der sich auch das Publikum zu Wort melden kann, beginnt um 19 Uhr 30.
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