zurück zum Artikel

"Terror" im Fernsehen

Screenshot aus dem ARD-Film "Terror"

Inszenierung einer gefährlichen Debatte

Nachdem das Theaterstück "Terror" bereits in den Theatern großen Erfolg hatte, wurde jetzt auch das Fernsehpublikum mit dem Dilemma konfrontiert: Darf ein Bundeswehrpilot eine entführte Passagiermaschine abschießen, um von anderen Menschen eine Gefahr abzuwenden? Leider werden in Theaterstück, Film und der Diskussion in den Medien aber Fragen der individuellen Schuld mit verfassungsrechtlichen Fragen der Menschenwürde vermischt. Das birgt die Gefahr, einen großen Tabubruch herbeizureden.

In dem Theaterstück "Terror" von Ferdinand von Schirach werden Zuschauerinnen und Zuschauer zu Schöffen gemacht: Bei dem Votum für schuldig oder nicht schuldig geht es um einen Bundeswehrpiloten, der ein Passagierflugzeug mit rund 170 unschuldigen Menschen abgeschossen hat. Dadurch verhinderte er den Anschlag auf ein Stadion, in dem sich 70.000 Menschen befanden.

Das fürs Theater eher ungewöhnliche Format einer Gerichtsverhandlung - man denke aber auch an Ausnahmen wie Peter Weiss' "Ermittlung" (1965) zu den Auschwitzprozessen der jungen Bundesrepublik - war und ist außergewöhnlich erfolgreich. Laut Verlag [1] wurde es in Deutschland inzwischen an 39 Theatern 484-mal aufgeführt. Dazu kommen einige dutzend Vorstellungen im Ausland, sowohl in deutscher als auch in anderer Sprache.

Abstimmungsergebnisse

Der Verlag führt über den Ausgang der Abstimmungen penibel Buch: Zurzeit hätten von 168.020 "Schöffen" rund 60 Prozent für den Freispruch gestimmt. Bei 452 der 484 Aufführungen (das sind 93 Prozent) in Deutschland hätte sich die Mehrheit für den Freispruch entschieden. Das Besondere dabei: Je nach Ausgang der Abstimmung endet auch das Theaterstück mit einem Schuld- oder Freispruch.

Im Staatsschauspiel Dresden [2] beispielsweise wurde die Abstimmung so durchgeführt, dass die Besucherinnen und Besucher nach der Pause durch einen von zwei Eingängen zurück in den Theatersaal gehen mussten. Der eine stand für schuldig, der andere für nicht schuldig. Eine Enthaltung war damit nur möglich, indem man das Theater vor Ende der Aufführung verließ.

Deutliches Urteil des Fernsehpublikums

Das erfolgreiche Theaterstück wurde inzwischen sogar verfilmt (Trailer [3]) und am vergangenen Montag im ARD ausgestrahlt [4]. Auch die Zuschauerinnen und Zuschauer zuhause konnten über den Fall abstimmen. Das Ergebnis wurde in der anschließenden Ausgabe von "Hart aber Fair" mit Frank Plasberg bekanntgegeben. Die gesamte Talkshow [5] befasste sich mit dem Thema des Flugzeugabschusses.

Das Votum der (teilnehmenden) Zuschauerinnen und Zuschauer war deutlich: Rund 87% entschieden sich für nicht schuldig, also noch einmal 27 Prozent mehr als der Durchschnitt beim Theaterpublikum. Laut Medienberichten, etwa des Focus [6], kam es jedoch bei der Abstimmung zu Problemen: Sowohl die Website als auch die Telefonhotline seien vorübergehend nicht erreichbar gewesen.

Störung der Abstimmung

Das lädt natürlich zu Spekulationen ein, ob das Urteil ohne technische Probleme anders ausgefallen wäre. Relevanter als diese Störung dürfte aber gewesen sein, dass die Diskussion in der Talkshow noch während der Abstimmung begann.

Damit ist es wohl zumindest bei manchen zu einem Mitläufereffekt gekommen, je nach Standpunkt des gerade in der Fernsehsendung redenden Gastes. Konsequenterweise hätte man die Befragung vor oder nach der Diskussionsrunde durchführen können - oder vielleicht sogar zu beiden Zeitpunkten.

Streit vorprogrammiert: Franz Josef Jung vs. Gerhart Baum

Die Talkshow hatte es nämlich in sich, da sich zwei in der Sache völlig entgegengesetzte frühere Bundesminister gegenübersaßen: Auf der einen Seite Franz Josef Jung (CDU), in dessen Amtszeit als Verteidigungsminister (2005-2009) der juristische Streit um das Luftsicherheitsgesetz vor dem Bundesverfassungsgericht fiel. Dabei ging es gerade darum, ob die Bundesregierung den Abschuss eines Passagierflugzeugs anordnen darf, wenn damit ein Anschlag bevorsteht.

Auf der anderen Seite saß Gerhart Baum (FDP), früherer Bundesinnenminister (1978-1982) und für seinen unermüdlichen Kampf für Bürgerrechte und gegen Massenüberwachung bekannt. Er war fünfmal mit Verfassungsbeschwerden erfolgreich, unter anderem mit derjenigen gegen das besagte Luftsicherheitsgesetz. Zwischen den Politikern saß Thomas Wassmann, früherer Major der Luftwaffe, der nach eigenen Angaben unter den im Theaterstück beschriebenen Bedingungen ein Flugzeug abgeschossen hätte.

Entscheidung zwischen falsch und fälscher

Der vierte und letzte Gast war die Theologin und designierte Regionalbischöfin in Hannover Petra Bahr. Diese tendierte zwar eher zu schuldig, wiederholte aber mehrmals, dass beide Entscheidungen für oder gegen den Abschuss nicht richtig, sondern nur "falsch und fälscher" seien. Einzelne könnten jedoch für ein höheres Gut Schuld auf sich laden.

Dabei berief sie sich auch auf die in NS-Gefangenschaft entwickelte Ethik Dietrich Bonhoeffers, die die Möglichkeit der Tötung zur Verhinderung eines größeren Unheils bejaht, beispielsweise beim Tyrannenmord.

Der wesentliche Streit entwickelte sich, wie zu erwarten, zwischen Jung und Baum. Ersterer argumentierte vor allem unter der Prämisse, dass die Flugzeugpassagiere bereits dem Tode geweiht gewesen seien. Ferner würde in anderen Fällen Leben gegen Leben abgewogen, wenn beispielsweise die Geburt eines Kindes unausweichlich zum Tod der Mutter führen würde und man dieses daher abtreibe oder töte.

Baum hingegen betonte, dass man Leben nicht gegen Leben aufrechnen dürfe. Auch die Flugzeugpassagiere würden grundgesetzliche Menschenwürde und Schutz des Lebens genießen. Außerdem gebe es bis zum Schluss keine Gewissheit darüber, ob es wirklich zum Absturz der Maschine komme und dabei die Menschen im Stadion wirklich zu Tode kämen. Der Staat dürfe unter keinen Umständen wenige Unschuldige für viele opfern.

Fatale Verwechslung

Fatal ist sowohl an dem Theaterstück, wie der Bundesrichter Thomas Fischer bereits kritisierte [7], als auch in der an den Film anschließenden Diskussion, dass ganz verschiedene Fragen miteinander vermischt werden:

Wie ist die Entscheidung des konkreten Bundeswehrpiloten für den Abschuss moralisch und strafrechtlich zu bewerten? In wessen Verantwortlichkeit, Polizei oder Militär, fällt der Schutz der Bevölkerung vor Terroranschlägen? Unter welchen Umständen, wenn überhaupt, darf die Bundesregierung, ein Teil von ihr oder ein anderes staatliches Organ Unschuldige zum Abschuss freigeben? Was passiert, wenn eine Führungsperson der Staatsgewalt ohne beziehungsweise gegen das Gesetz so einen Abschuss befiehlt?

Tatsächlich bediente sich von Schirach für "Terror" eines bekannten ethischen Dilemmas, das bereits seit den 1950er Jahren in der Rechtswissenschaft, Moralphilosophie und in jüngerer Zeit sogar Psychologie und Hirnforschung untersucht wird. Die Hintergründe und möglichen Lösungsvorschläge dieses Dilemmas werden im zweiten Teil diskutiert.

Bei Telepolis erschien bereits das Buch Die Neurogesellschaft [8], in dem Stephan Schleim die hier besprochenen moralischen Problemfälle ausführlicher diskutiert. Dabei steht die Frage im Mittelpunkt, wie neuere Befunde aus der Hirnforschung Recht und Moral herausfordern.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3357304

Links in diesem Artikel:
[1] http://terror.theater/
[2] https://www.youtube.com/watch?v=W2bSj8HpG4k
[3] http://www.youtube.com/watch?v=iVVXTtiZqzc
[4] http://www.ardmediathek.de/tv/Terror-Justizdrama-mit-Zuschauerabstim/Thema?documentId=38364314
[5] http://www1.wdr.de/daserste/hartaberfair/videos/video-terror-abstimmung-urteil-und-diskussion--102.html
[6] http://www.focus.de/kultur/videos/panne-bei-urteilsfindung-server-down-hotline-besetzt-ard-zuschauer-wuetend-nach-terror-abstimmung_id_6083592.html
[7] http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2016-10/ard-fernsehen-terror-ferdinand-von-schirach-fischer-im-recht
[8] http://www.dpunkt.de/buecher/3321.html