Terroristische Medienstrategie

Mit der Erpressung nicht nur der Regierung, sondern auch des türkischen Volkes versucht sich die Terroristengruppe "Tawhid wal jihad" an einer neuen Strategie der Massenbeinflusssung

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Im Irak hat die Terrorgruppe "Tawhid wal jihad", die al-Qaida nahe stehen und von Sarkawi geführt werden soll, eine neue Dimension der Erpressung eingeleitet. Am Samstag Abend sendete der al-Dschasira ein Video der Terrorgruppe, in dem sie ankündigt, drei türkische Geiseln zu köpfen, wenn türkische Unternehmen binnen drei Tagen nicht ihre Arbeit im Irak einstellen und in der Türkei nicht große Demonstrationen gegen US-Präsident Bush stattfinden, der sich zum Nato-Gipfel von heute bis Dienstag in Istanbul aufhält.

Die Terrorgruppe scheint nun neben Bombenanschlägen und gelegentlich auch offenem Straßenkampf vor allem auf Erpressung durch Entführung von Geiseln zu setzen, die geköpft werden, wenn die Forderungen nicht erfüllt werden. Die bereits vorgenommenen, im Stil einer Exekution vorgenommenen Köpfungen des Amerikaners Nicholas Berg (Die Medien und die grausamen Bilder) und des Südkoreaners Kim Sun-il haben im Sinn der Terroristen den Erfolg der Strategie gezeigt (Die südkoreanische Regierung blockiert den Zugang auf Webseiten mit dem Enthauptungsvideo von Kim Sun-Il). Die Kleidung der Geiseln erhöhte die Wirkung, da damit schon visuell auf den Folterskandal in Abu Ghraib verwiesen und die Exekution als Reaktion inszeniert wird.

Dabei ist die von den Terroristen entwickelte Medienstrategie wichtig, die natürlich in solchen Regionen wie derzeit dem Irak, der im Zentrum der globalen Aufmerksamkeit steht, auch schnell eine globale Öffentlichkeit schaffen kann. Zunächst werden Videos an Medien geschickt, auf denen die vermummten Entführer und die geängstigten Entführten zu sehen sind, um so die Glaubwürdigkeit der Drohung deutlich zu machen. Wenn das Video schließlich von einem Sender mitsamt der Forderung teilweise oder ganz ausgestrahlt wird, greifen dies die anderen Medien auf und verbreiten sozusagen im Dienste der Terroristen die von ihnen geschaffene Information. Falls diese effiziente memetische Verbreitung durch eine Art Infektion eines Mediums nicht gelingt, kann das Video auch ins Internet gestellt werden, wo es sich ebenfalls analog einer viralen Epidemie nach und nach verbreitet, um schließlich auch den Weg in die Massenmedien zu finden.

Update: Am Sonntag haben zwei weitere Terrorgruppen Videos mit Aufnahmen von Geiseln verschickt, die von ihnen gefangen genommen wurden. Ein Marineinfanterist, so die Drohung, soll enthauptet werden, wenn die Forderung nach Freilassung von Gefangenen nicht erfüllt wird. Während dieses Video vom Sender al-Dschasira gezeigt wurde, hat der konkurrierende Sender al-Arabija ein Video einer anderen Terrorgruppe veröffentlicht, die mit der Enthauptung einer pakistanischen Geisel, eines Fahrers der US-Firma Kellogg Brown and Root (KBR), droht, falls nicht die pakistanische Botschaft im Irak geschlossen wird.

Die Geiselnahme mit Androhung der Enthauptung scheint mitsamt dem medienstrategischen Ritual immer mehr Nachahmer zu finden. Zynisch gesprochen dürfte eine Welle solcher Terroraktionen aber auch, wenn sie nicht zur erfolgreichen Erpressung führen, dem Gang aller Strategien der Aufmerksamkeitserzeugung gehen, wenn sie zahlreich von Nachahmern kopiert werden. Mit der Wiederholung sinkt die Aufmerksamkeit, die Medien berichten nur noch am Rande, es wird zur grausamen Realität des Alltags wie bereits vieles, was im Irak vor sich geht.

Mit der Verbreitung des ersten Videos ist die Bühne für den nächsten Schritt geschaffen. Die Terroristen verlangen von den Erpressten Handlungen, die mediengerecht schnell eingelöst werden müssen, um den Zeitabstand zwischen Forderung und (Nicht)Erfüllung kurz und damit die mediale Aufmerksamkeit aufrecht zu halten. Hat die Erpressung Erfolg, ließe sich durch ein weiteres Video ein Sieg und vermutlich weitere Drohungen verkünden. Bei Nichterfüllung wird ein Video mit einer Art Urteilsbegründung gemacht und die Ermordung des Opfers gezeigt.

Bei "Tawhid wal jihad" entschied man sich für die Todesart der Enthauptung, weil sie vermutlich einerseits eine übliche Scharia-Strafe ist und den Charakter einer Exekution besitzt, aber sicherlich auch deswegen, weil der Tod auf diese blutige Weise und mit dem Zeigen des abgetrennten Kopfes ein sicheres Medienereignis ist, das die Zuschauer ängstigt und abstößt, aber eben auch bannt, zumal wenn sie potenziell selbst betroffen sein könnten. Selbst wenn die Massenmedien das Video mit der Enthauptung nicht vollständig senden oder die entsprechenden Bilder veröffentlichen, so steht nun mit dem Internet ein Medium zur Verfügung, in dem man diese "Information" viral ohne großen Aufwand und weitgehend ungefährdet verbreiten kann. Die Terrorgruppe und ihre Tat erreichen die gewünschte Prominenz, die zur Vermittlung der Botschaft erforderlich ist, weil schließlich die Medien zumindest die vollzogene Köpfung melden und in aller Regel auch, dass die Bilder im Internet zirkulieren.

Zu diesen Elementen der terroristischen Medienstrategie hat die Gruppe nun aber noch eine andere Dimension hinzugefügt. "Traditionell" ist die Forderung, dass die türkische Regierung alle türkischen Unternehmen innerhalb von drei Tagen aus dem Irak abziehen soll. Doch die zweite Forderung bringt ein neues Element in das Spiel. Es gab auch 2002 bei der Massengeiselnahme in einem Theater in Moskau durch tschetschenische Terroristen die Forderung, dass die Angehörigen der 800 Geiseln in der Stadt gegen die russische Tschetschenienpolitik und für die Forderungen der Terroristen demonstrieren sollten. Das ist auch geschehen, die Terroristen konnten im Theater über das Fernsehen den Erfolg beobachten. Neben der eigentlichen Tat, der spektakulären Massengeiselnahme, konnten sie noch zusätzlich über den Einbezug weiterer Akteure Medien und Öffentlichkeit indirekt und aus der Entfernung steuern (Der Mediencoup im Theater).

Die irakischen Terroristen erpressen nun nicht nur eine Regierung in einem anderen Land, sie üben Druck nicht nur auf Angehörige oder Freunde ihrer Opfer aus, sondern sie wollen die Bürger eines Staates in ihre Dienste nehmen und sie mobilisieren, wenn sie fordern, dass die türkischen Menschen gegen Bush auf die Straße gehen sollen - und zwar in "großen Demonstrationen". Werden die Forderungen nicht eingelöst, so droht den Geiseln "die gerechte Strafe der Enthauptung". Die Geiseln dienen damit auch der Erpressung eines ganzes Volkes. Die Einlösung würde sich an den Bildschirmen überprüfen lassen.

Die Kritik am Krieg gegen den Irak war in der Türkei groß, aber die Erpressung eines Volkes, um große Menschenmengen zu mobilisieren, ist zwar ein vielleicht medienstrategisch interessantes Ziel, das aber wohl gleichzeitig auch die Grenzen des mörderischen Spiels zeigt. Die Erpressung der Regierung und der Firmen alleine hätte vermutlich den Effekt, wie man auch wieder in Südkorea sehen konnte, dass die Kritik an der Regierung und an den USA steigt, weil die Bedrohung etwa als Bestätigung von geäußerten Warnungen dienen kann oder die Menschen sagen, dass Angehörige ihres Volkes nicht fremden Interessen geopfert werden sollen. Aber gesetzt den Fall, dass die Regierung der Erpressung nachgibt, aber keine "großen" Demonstrationen stattfinden und die Terroristen daraufhin das türkische Volk durch Ermordung der Geiseln bestrafen würde?

Es leuchtet ein, dass dies nicht funktionieren würde, zumindest nicht im Sinne der Terroristen. Sie können, symptomatisch für asymmetrische Konflikte, nur aus der Position des Schwächeren heraus agieren, weil nur dann die von ihnen eingesetzten Mittel zumindest für Sympathisanten wenn auch nicht gebilligt werden, so doch irgendwie hinnehmbar bleiben. Aus der Position der Schwäche agiert man jedoch nur, wenn man die scheinbar Mächtigen angreift. Zwar wollten auch schon die Anarchisten des 19. Jahrhunderts mit ihren Anschlägen ein Fanal setzen, das die Menschen zum Aufstand anstachelt, aber direkt ein Volk im Ausland zu erpressen, das die Politik der Gegner der Terroristen überwiegend ablehnt, lässt die Terroristen zu den Stärkeren werden, da sie über Leben und Tod der Geiseln verfügen und die Menschen zu einer Entscheidung zwingen.

Zudem sind die Menschen, die tatsächlich auf die Straße gehen, um gegen die Politik von Bush zu protestieren, leicht zu beschuldigen, dass sie nun als Helfershelfer oder Werkzeuge der Terroristen dienen würden. Zwar fungieren die Medien, die die von den Terroristen produzierte Information verbreiten, auch als Mittel der Terroristen, aber sie haben den Vorteil, dass sie angeblich nur berichten und so schlimmstenfalls nur indirektes Werkzeug sind. Natürlich werden sich die Terroristen an die (voraussehbare) Reaktion der Regierung halten, vermutlich aber haben sie mit ihrem neuen medienstrategischen Schritt sich selbst mehr geschadet als genutzt. Auch im Irak gehen selbst Menschen, die für den Widerstand gegen die Besatzungsmacht und die von ihr eigesetzte Regierung sind, mehr und mehr dazu über, zur Bekämpfung der Terroristen aufzurufen. Gleichwohl haben am Sonntag bereits Zehntausende gegen den Besuch von US-Präsident Bush in Istanbul protestiert.