Thermobarische Bomben und das Internationale Recht
Fragen an den Friedensforscher Dr. Peter Strutynski von der Universität Kassel
Zu Beginn des Monats wurden vom Pentagon erstmals thermobarische Waffen in Afghanistan eingesetzt. Damit sollten die Taliban- und al-Qaida-Kämpfer in den Höhlen von Gardes getötet werden. Sie bringen ein Benzin-Luft-Gemisch zur Explosion und können als Lenkwaffen in geschlossenen Höhlen, Bunkern und unterirdischen Anlagen gezündet werden. Hier verursachen solche Sprengsätze eine lange anhaltende Druckwelle, die sich selbst durch weit verzweigte oder mit Stahltüren geschützte Gänge ausdehnt und alles Leben und Material zerstört. Ausführlich werden in War Games 2002 die thermobarischen Bomben "vorgestellt". Explizit geächtet sind diese Bomben nicht, möglicherweise aber würden sie trotzdem gegen Internationales Recht verstoßen. Ekkehard Jänicke hat den Friedensforscher Peter Strutynski vom Kasseler Friedensforum befragt.
Verstoßen die thermobarischen Waffen gegen internationales Recht?
Peter Strutynski: Bei der Wahl der Waffen gibt es laut 1. Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen wichtige Beschränkungen. Art. 35 verbietet z.B. "Waffen, Geschosse und Material", die "geeignet sind, überflüssige Verletzungen oder unnötige Leiden zu verursachen". Hierzu sind mit Sicherheit die im NATO-Krieg gegen Jugoslawien eingesetzte Uran-Munition sowie natürlich auch die im Afghanistan-Krieg eingesetzten Streubomben zu rechnen. Letztere auch deshalb, weil ihre Wirkung als "unterschiedslos" anzusehen ist, d.h. sie kann gleichermaßen Kombattanten und Nichtkombattanten treffen.
Unter dieses Verbot könnten auch die neuerdings in den Höhlensystemen von Afghanistan eingesetzten "thermobarischen" Bomben fallen. Insofern nämlich als sie
1) unnötige Leiden verursachen (besonders grausamer Tod durch Zerreißen der Lungen) und
2) unterschiedslos alles Lebendige auch noch in den äußersten Verästelungen eines Höhlensystems treffen. Es gibt kein Entrinnen.
Gab es international schon deutliche Stellungnahmen gegen derartige Waffen, wenn ja von welchen Gremien?
Peter Strutynski: Da wäre interessant, dass der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen im April 2000 eine Resolution verabschiedet hat, in der Russland wegen ihrer Art der Kriegführung in Tschetschenien gerügt wurde. Ausdrücklich wurde in dieser Resolution die verbotene "unterschiedslose Gewaltanwendung" erwähnt. Die Resolution wurde damals von der EU eingebracht. Eine ähnliche Kritik an den von den USA in Afghanistan eingesetzten Waffen ist mir nicht bekannt.
Zu guter Letzt könnte der Einsatz von Thermobomben auch gegen das "(Genfer) Protokoll über die Verwendung von erstickenden, giftigen oder ähnlichen Gasen" aus dem Jahre 1925 verstoßen. Darin wird die Verwendung aller giftigen Gase "sowie aller ähnlichen Flüssigkeiten, Stoffe oder Verfahrensarten im Kriege" verboten.
Nun hört man auf entsprechende Kritik an den USA, dass die genannten Waffen ja nicht ausdrücklich verboten seien, so wie etwa die Anti-Personen-Minen durch eine entsprechende Konvention geächtet wurden (Ottawa-Protokoll).
Peter Strutynski: Dies würde bedeuten, dass alle Waffen erlaubt wären, so lange sie nicht durch eine spezielle völkerrechtsverbindliche Konvention verboten werden. Das ist ein ganz unsinniges Argument, weil danach alle neu entwickelten Waffen erlaubt wären. Die Genfer Konvention (1. Zusatzprotokoll) sagt aber in Art. 36 ("Neue Waffen") ganz eindeutig, dass jede Vertragspartei "verpflichtet" sei, "bei der Prüfung, Entwicklung, Beschaffung oder Einführung neuer Waffen oder neuer Mittel und Methoden der Kriegführung festzustellen, ob ihre Verwendung ... durch dieses Protokoll oder durch eine andere auf die Hohe Vertragspartei anwendbare Regel des Völkerrechts verboten wäre."
Das klingt ja, als sei nach Ihren Erkenntnissen weit mehr rechtlich nicht abgedeckt, als nur der Einsatz dieser grausamen Waffe:
Peter Strutynski: Im Zusammenhang mit der US-Kriegführung in Afghanistan muss etwa darauf hingewiesen werden, dass eigentlich laufend gegen die Genfer Konvention verstoßen wurde. Art. 51 des 1. Zusatzprotokolls von 1977 verbietet z.B. Angriffe, bei denen "damit zu rechnen ist", dass sie "auch Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung, die Verwundung von Zivilpersonen, die Beschädigung ziviler Objekte oder mehrere derartige Folgen zusammen" verursachen. Die 5.000 getöteten Zivilpersonen, die Prof. Marc W. Herold von der Universität New Hampshire bereits bis zum Dezember 2001 errechnete, sprechen eine deutliche Sprache. Wenn wir uns an den Kosovo-Krieg 1999 erinnern, dann gehörte es damals zur wesentlichen Taktik von USA und NATO, dem (jugoslawischen) Gegner möglichst viele zivile Schäden beizubringen in Form bombardierter Straßen, Eisenbahnen, Brücken, Fabriken, Raffinerien, Schulen und Krankenhäusern. Alles Verstöße gegen die Genfer Konvention (Art. 52 regelt ausdrücklich den Schutz "ziviler Objekte").
Die zivilen Schäden wären nun ja beim Einsatz von Mini-Nukes in Afghanistan oder dem Irak mit Sicherheit zu beklagen.
Peter Strutynski: Dass das US-Verteidigungsministerium zur Zeit offenbar erwägt, sog. Mini-Nukes zu entwickeln, Kleinst-Atombomben mit einer Sprengkraft von etwa 5 KT, die tief in das Erdreich, also auch in Höhlensysteme oder unterirdisch angelegte Bunker eindringen können, um dort alles zu zerstören., fällt genau unter dieses Zusatzprotokoll (Neue Atomwaffen sollen entwickelt werden). Aber der Afghanistan-Krieg, in den mittlerweile ja auch deutsche Soldaten des Kommandos Spezialkräfte eingebunden sein sollen, ist allein schon deswegen abzulehnen, weil er mit den falschen - nämlich militärischen - Mitteln auf terroristische Verbrechen reagiert. Er verstößt m.E. gegen das Völkerrecht, das den Mitgliedstaaten ein striktes Gewaltverbot im Umgang miteinander auferlegt (Art. 2 UN-Charta).
Selbst wenn es sich bei dem US-"Krieg gegen den Terror" um einen völkerrechtlich legitimierten Akt der "Selbstverteidigung" handeln würde (Art. 51 UN-Charta), sind die Krieg führenden Parteien an bestimmte Regeln gebunden. Diese Regeln bilden das sog. humanitäre Kriegsvölkerrecht, die in der Haager Landkriegsordnung sowie in den Genfer Konventionen einschließlich diverser Zusatzprotokolle zusammengefasst sind. Im Wesentlichen zielen sie darauf ab, die Mittel und die Methoden der Kriegführung zu beschränken und die Zivilbevölkerung zu schützen.