Tilgung - so ein Quatsch?

Screenshot: Titelblatt der Wochenendbeilage des Südkurier zum Tilgungsvorschlag

Drei Jahre Tilgungsberichterstattung auf Telepolis

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Wer die Mittel zur Tilgung von Staatsschulden aus privaten Vermögen schöpfen möchte, dem ist Ärger garantiert. Dies ist wohl der Hauptgrund dafür, dass es trotz ständig steigender Staatsschulden keinerlei Diskussion um deren Tilgung gibt. Kein Politiker, kein Ökonom, kein Publizist möchte sich als wahlweise naiver oder cleverer Dieb von Muttis Ersparnissen dem Zorn und Spott der Massen ausgesetzt sehen.

"Die Reichen" als anonymer Adressat

Verfolgt man die im Schnitt 200 Diskussionsbeiträge zu Artikeln über die Tilgung der deutschen und anderer Staatsschulden, wird man stets die gleichen Muster und Wendungen wiederfinden. Auf der einen Seite die "Ja, aber..."-Kommentatoren, die ihre Ablehnung der Tilgung damit begründen, dass sie eigentlich dafür seien, aber eben nicht unter diesen Bedingungen.

Screenshot: Titelblatt der Wochenendbeilage des Südkurier zum Tilgungsvorschlag

Dann gibt es die Geldtheoretiker, die Tilgung als sinnloses Nullsummenspiel betrachten, stehe doch jedem Kredit ein Guthaben gegenüber. Schulden seien der einzig logische Weg der Geldschöpfung. Auch die Funktion von Staatsanleihen als Objekte der Spekulation und der privaten Bereicherung bleiben nicht unerwähnt.

Um die Haushaltsdisziplin sorgen sich buchhalterischere Naturen, nach deren Auffassung Tilgung den falschen Anreiz, nämlich den der Verschwendung biete. Die sozial (Selbst)Gerechten - unter ihnen Grüne, SPD und Linke - schließlich vertreten die Auffassung, dass Vermögensabgaben nur etwas für "Reiche" seien, weshalb sie einen Freibetrag von wahlweise 500.000 oder einer Million Euro einräumen möchten.

Dafür, dass alle beste Gründe gegen die Tilgung haben, spricht neben ihrem Ausbleiben auch der finanzielle und politische Misserfolg der deutschen Tilgungsinitiative "Hurra, wir tilgen!".

Dass dennoch Tilgungsideen mit Vermögenszugriff von so unterschiedlichen Protagonisten wie CSU-Juristen in Allianz mit ehemaligen Richtern am Bundesverfassungsgericht ("Operation Rebound"), der Boston Consulting Group (Staatsschuldenbbau durch eine einmalige Besteuerung hoher Vermögen) und öfters belächelten Telepolis-Soziologen verbreitet werden, zeigt zumindest, dass die Idee einer Tilgung durch Vermögen keine Eintagsfliege ist.

1953 war Schuldenerlass eine deutsche Erfolgsstory

Zumindest einmal in der deutschen Geschichte setzte sie sich durch. Finanzminister Fritz Schäffer (1888-1967, CSU) brachte den Deutschen Bundestag 1952 dazu, rückwirkend von 1948 an für dreißig Jahre eine 50-prozentige Abgabe auf Vermögen, insbesondere auf Grundvermögen, zu erheben, den sogenannten Lastenausgleich. Dieser Solidaritäts- und Gerechtigkeitsakt - 1952 verfügten nur Adlige, Industrielle und Erben in Westdeutschland über nennenswerte Assets - beeindruckte die Gläubigerländer auf der Londoner Schuldenkonferenz 1953 derart, dass sie Deutschland von ursprünglich 28 Milliarden Mark 14 Milliarden Mark Schulden erließen.

Bis heute muss sich Deutschland dafür dem damaligen Hauptgläubiger, den Vereinigten Staaten, erkenntlich zeigen. Dass die 14 Milliarden in wenigen Jahren atomisiert wurden, verblüffte damals keineswegs, traute man doch den Deutschen zu, den Wiederaufbau ebenso fanatisch zu betreiben, wie zuvor den Krieg.

Der Plan von George C. Marshall (1880-1959), Europa nach dem II. Weltkrieg mit einem European Recovery Program (ERP) wieder auf die Beine zu helfen, blieb bis heute zumindest theoretisch Vorbild vieler Hilfsprogramme.

Eine weitgehend unbeachtete Initiative propagierte seit Jahren einen Global Marshall Plan - und endete in Aktionen gegen Plastiktüten und zum Baumpflanzen, überwiegend in gut bewaldeten europäischen Staaten.

Die Griechen allerdings lehnten den Vorschlag eines Lastenausgleichs 2012 ebenso ab, wie 2013 die Zyprioten. Das klingt erstaunlich, bilden doch in beiden Staaten die Grundvermögen in erstklassigen Strandlagen die einzig erwähnenswerten Vermögenssubstanzen.

Nur in einem Fall konnten die Tilgungsaktivisten, zu denen sich bekanntlich der Autor zählt, einen politischen Erfolg verbuchen.

Bereits im Dezember 2010 bot Chefredakteur Ludwig Dvorak an, in der sozialdemokratischen Think-Tank-Zeitschrift "Die Zukunft" einen Tilgungsvorschlag für die Republik Österreich zu veröffentlichen. Im August 2011 berichtete die österreichische Tageszeitung Der Standard über die deutschen Vorschläge zur Tilgung. Die 622 Kommentare künden nicht nur von Ablehnung. Daraufhin meldeten sich zahlreiche Aktivisten, aber auch politische Parteien bei den deutschen Tilgungsaktivisten, unter ihnen auch Berater der österreichischen Nationalbank und von Bundespräsident Heinz Fischer.

Nur die Österreicher ließen sich zur Vermögensabgabe verführen

Bereits am 1. April 2012 verabschiedete der Österreichische Nationalrat ein Gesetz, wonach der Veräußerungsgewinn von Immobilien pauschal mit 25 Prozent versteuert wird. Die Einnahmen decken bisher etwa 6 Prozent des jährlichen Haushaltsdefizits - und sind damit noch weit von einer Tilgungsfunktion entfernt.

Das Gesetz zeigt aber, dass im Gegensatz zu allen Annahmen der angelsächsischen Public-Choice-Theorie, gerade demokratische Staaten durchaus Maßnahmen durchsetzen können, die weite Teile der Bevölkerung belasten.

Das grundsätzliche Problem aber bleibt: Solange gerade gutverdienende Bürger den Staat als schmarotzenden Verschwender empfinden, eine Haltung, die in Österreich seit Jahren durch FPÖ (in Deutschland: FDP), BZÖ und jüngst Frank Stronach politisch vertreten wird, befürchten sie, nach einer Tilgung ginge die Verschwendung weiter. Sie fordern daher zunächst strenge Sparmaßnahmen in den Staatshaushalten.

Wie man aber in Griechenland sehen kann, tragen die in keiner Weise zur Verminderung der Staatsschulden oder gar zu einer Wiederbelebung der Wirtschaft bei. Sie bleiben ein symbolischer Rachefeldzug und eine Show für die Beauftragten der Troika.

Die Angst vieler EU-Regierungen, von EU-Kommission, EFSF und EZB, in ganz Europa Immobilienbesitzer zur Kasse bitten zu müssen, bildet den psychologischen Hintergrund für die andauernden Zinssenkungen durch die EZB, nicht eine angeblich dringend erforderliche Konjunkturspritze.

Niedrige Zinsen vertagen die Tilgung auf unbestimmte Zeit

Kein Euro gelangt Zinssenkungen in "die Konjunktur", sondern vielmehr kaufen mit dem billigen EZB-Geld europäische Banken europäische Staatsanleihen. Die Zinsdifferenz bringt mehr ein als aufwändige Firmen- oder gar Existenzgründerdarlehen.

Die Privatmittel dagegen wandern überwiegend in Immobilien, die sich allerorten weiter steigender Preise erfreuen. Viele Banken, gerade Raiffeisen und Sparkassen, finanzieren überwiegend Immobilien, nicht Unternehmen und Existenzgründer.

Je niedriger aber der Zins, desto unwichtiger die Tilgungsdiskussion. Wie unbedeutend diese auch nach drei Jahrenist, kann man bereits daran sehen, dass der Telepolis-Artikel vom 15. November 2010 (Ist die Tilgung der deutschen Staatsschulden möglich?) noch heute bei Google auf Platz eins steht, wenn man Tilgung und Staatsschulden als Suchbegriffe eingibt.

Noch kurz vor der Bundestagswahl fragte Blogger Jürgen Albrecht 30 Abgeordnete des Deutschen Bundestages: "Wie und in welchem Zeitraum denken Sie mit Ihrer Partei, diese Schulden zu tilgen?" Keiner konnte die Frage auch nur ansatzweise beantworten. Selbst Christian Ströbele verwies nur auf die Forderung einer Vermögensabgabe.

Quatsch ist die Tilgung trotzdem nicht. Sie ist nur auf unbestimmte Zeit vertagt.