Tipps zu Trips

Eine neue Studie warnt vor den Folgen einer falschen Umsetzung des Urheberrechts in Entwicklungsländern

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Die anstehende Verschärfung des Schutzes geistigen Eigentums gefährdet in Europa das Recht auf Privatkopien, die Interoperabilität digitalisierter Information und die Freiheit der Nutzer, ausländische Filme etwa von DVDs zu betrachten. Schlimm - aber lächerlich im Vergleich zu den Folgen einer blinden Verschärfung geistiger Eigentumsrechte auf internationaler Ebene für Entwicklungsländer: steigende Preise für Medikamente, Behinderung neuer Wirtschaftszweige, Schmälerung der Bildungschancen, Privatisierung allgemein zugänglicher geistiger oder biologischer Ressourcen.

Zu diesem Urteil kommt der 180-seitige Untersuchungsbericht "Integrating Intellectual Property Rights and Development Policy", den die vor zwei Jahren von der britischen Regierung berufene Commission on Intellectual Property Rights jetzt vorgelegt hat. Der Vorsitzende, Stanford-Juraprofessor John Barton, sagt:

"Die Industriestaaten verfahren oft nach dem Prinzip, was gut für sie ist, ist auch gut für die Entwicklungsländer. Doch gerade im Fall der Entwicklungsländer ist mehr und stärkerer Schutz nicht unbedingt besser."

Das Fazit des Kommissionsberichts empfiehlt daher, dass die Entwicklungsländer die Schutzrechte für geistiges Eigentum ihren eigenen Bedürfnissen anpassen sollen, anstatt Regelungen aus der ersten Welt zu übernehmen.

So ähnlich haben das in den vergangenen Jahrhunderten ja alle heute entwickelten Staaten gemacht. Im 19. Jahrhundert genossen etwa in den Vereinigten Staaten ausländische Schriftsteller keine Schutzrechte für ihre Werke. Die damalige Begründung des amerikanischen Staates: Die neue Nation müsse gebildet werden, daher sei ein freier Ideenfluss notwendig. Und deshalb müssten Bücher problemlos verbreitet werden dürfen. In Europa trieben Raubkopien fremder Ideen die industrielle Revolution voran. Nach dem Zweiten Weltkrieg begannen Südkorea, Taiwan und Japan ihren wirtschaftlichen Aufstieg zunächst damit, westliche Produkte bei vergleichbarer Qualität billiger zu kopieren.

Heute ist das anders: Entwicklungsländer können nicht selbst bestimmten, wann und in welcher Form sie Schutzrechte für geistiges Eigentum umsetzten. Als Teil eines Handelsabkommens wurde vor acht Jahren festgelegt, dass neue Mitglieder der World Trade Organization (WTO) zugleich die so genannten "trade-related aspects of intellectual-property rights" (Trips) annehmen. Entwicklungsländer haben bis zum Jahr 2006 Zeit, die Anforderungen dieses Vertrags zu erfüllen.

Der einzige Vorteil für die Entwicklungsländer ist dabei, dass Trips kein universelles und festgefügtes System ist. Im Gegenteil: Der Vertrag ist eher ein Rahmen mit Mindeststandards, bei dessen Umsetzung die Länder einige Freiheiten haben. Trips schreibt zum Beispiel als unveränderbare Richtlinie vor, dass Computerprogramme, Schaltkreise, Medikamente und bestimmte Pflanzenvariationen geschützt werden. Außerdem muss derselbe Schutz und dieselbe Verfolgung von Verstößen für in- und ausländische Rechteinhaber gelten. Importierte Produkte müssen genauso wie im Land hergestellte behandelt werden.

Ansonsten sind die meisten Regelungen der Umsetzung durch die Staaten überlassen. Keine optimale Lösung, bedenkt man die übergroßen Machtressourcen der entwickelten Staaten. Doch offenbar haben sich die meisten Entwicklungsländer mit der Bindung von Trips and die WTO-Mitgliedschaft abgefunden, wohl auch aus Angst vor der Beschaffenheit einer ansonsten drohenden alternativen Regulierung ohne jeglichen Rahmen. Staaten wie Brasilien und Indien suchen jedenfalls derzeit möglichst starke Ausgangspositionen, um die Richtlinien in ihrem Interesse umzusetzen. Wie dies aussehen könnte, führt der Bericht der britischen Kommission für mehrere zentrale Themenbereiche aus.

Medikamente

Die Kommission gesteht den westlichen Pharmakonzernen zwar zu, dass Patentrechte der Anreiz für die teure Entwicklung sind. Allerdings gilt das nicht für Krankheiten, die vor allem in Entwicklungsländern auftreten. Denn dort existiert mangels Geld kein Absatzmarkt, entwickelt wird also selbst bei starkem Schutz des geistigen Eigentums kaum.

Hier wäre eine Übernahme der Schutzregelungen aus entwickelten Staaten gefährlich. Zwar haben die am wenigsten entwickelten Länder noch bis 2016 Zeit, Patentschutz für Medikamente einzuführen, doch diese scheinbar großzügige Ausnahme hat einen Haken: Wenn in dem betreffenden Land keine Pharmaindustrie existiert, wird nach dem heutigen Stand 2006 Schluss mit Importen von generischen Arzneikopien sein. Denn spätestens dann fallen die heutigen Exporteure solcher billigen Kopien wie zum Beispiel Indien unter das Trips-Abkommen. Wer wird dann die entsprechenden Medikamente liefern?

Derselbe Haken schmälert die Wirksamkeit von Zwangslizenzen. Das Trips-Abkommen erlaubt bereits heute solche Zwangsmaßnahmen gegen Pharmahersteller. Ein Staat darf geschützte Stoffe ohne Zustimmung der Patentinhaber herstellen, wenn ein nationaler Notstand herrscht. Brasilien hat mit der Androhung solcher Maßnahmen bereits deutlich niedrigere Preise für Medikamente durchsetzen können. Doch Brasilien hat auch eine heimische Pharmaindustrie, die solche generischen Kopien herstellen kann. Die am wenigsten entwickelten Staaten können von diesem Recht zumeist keinen Gebrauch machen. Das Trips-Gremium der WTO diskutiert bereits seit dem 17. September, wie nach 2006 die ärmsten Staaten auch ohne einheimische Pharmaindustrie weiterhin Zugang zu benötigten Medikamenten haben. Bisher hat man dafür noch keine Lösung gefunden. Der Bericht der Kommission empfiehlt hier als optimale Lösung, dass WTO-Mitglieder ohne Restriktionen exportieren dürfen. So würde maximaler Wettbewerb entstehen und die Preise auf das niedrigst mögliche Niveau sinken.

Traditionelle Ressourcen

Zu traditionellen Ressourcen zählen Pflanzenvariationen, genetisches Material und traditionelles Wissen. Hier werden die Konflikte zwischen entwickelten und sich entwickelnden Staaten am deutlichsten: Oft tauchen traditionelle Heilverfahren und pflanzliche Mittel, die in Entwicklungsländern seit Generationen benutzt werden, in den Staaten der ersten Welt als relativ teure Produkte auf, ohne dass die eigentlichen Erfinder entschädigt oder auch nur um Zustimmung gefragt werden.

Patentschutz wird oft für solche Verfahren gewährt, da die Ämter nichts von der traditionellen Anwendung wissen. Die Kommission empfiehlt den Entwicklungsländern daher, eine zentrale Datenbank für traditionelle Verfahren, Pflanzenvariationen und ähnliches einzurichten. Deren Nutzung sollte bei der Prüfung von Patentanträgen verpflichtend sein.

Doch die Etablierung eines solchen Systems kostet Geld. Die Weltbank schätzt die Kosten für die Schaffung eines Systems zur Registrierung und zum Schutz traditionellen Wissens auf etwa 1,5 Millionen Dollar je Entwicklungsland. Die Betriebskosten sind darin noch gar nicht enthalten.

Solange diese Infrastruktur nicht existiert, ist es für Urheber geistigen Eigentums in Entwicklungsländern nahezu unmöglich, ihre Entwicklungen zu schützen. 4000 Dollar kostet es, ein Patent in den Vereinigten Staaten zu sichern. Wird es angefochten, kann die Verteidigung vor Gericht durchaus mit einigen Millionen Dollar zu Buche schlagen.

Die Kommission empfiehlt daher, die westlichen Patentsysteme für Menschen aus Entwicklungsländern zu öffnen. Zum Beispiel durch reduzierte Gebühren und eine subventionierte Unterstützung beim Anmeldeprozess. Für genetische Ressourcen - zum Beispiel bestimmte Pflanzenvariationen - empfiehlt die Kommission, dass jeder, der einen Patentantrag auf derlei Objekte stellt, gezwungen werden soll, die geographische Herkunft anzugeben. So könnten Entwicklungsländern besser ihre Ressourcen schützen.

Bildung und Technologie

Eigentlich könnten digitalisierte Informationen den Zugang zu Wissen in Entwicklungsländern erleichtern, da verbilligen. Doch technische Schutzmaßnahmen verhindern legitime Kopien digitalisierter Inhalte.

Einige wissenschaftliche Zeitschriften wie zum Beispiel das "British Medical Journal" erlauben Nutzern in Entwicklungsländern einen kostenlosen Zugriff übers Internet auf ihre digitalisierten Archive. Doch solche freiwilligen Maßnahmen sind laut Kommissionsbericht viel zu selten. Das sei ja auch nicht überraschend: "Letztendlich haben private Unternehmen ihren Inhabern gegenüber Verantwortung. Sie sind keine wohltätigen Organisationen und sie sind auch nicht dazu gedacht, welche zu sein." Daher die Empfehlung: Anders als in den Vereinigten Staaten, wo der "Digital Millenium Copyright Act" jede Umgehung so genannter Kopierschutztechnologie - ganz gleich mit welchem Ziel - verbietet, sollten Entwicklungsländer bei der Umsetzungen des Trips-Abkommens eindeutig das Knacken von Kopierschutz erlauben, wenn es "fair use" - also erlaubten, zum Beispiel wissenschaftlichem Gebrauch - dient.

Ähnliches gilt auch für Software - als Produktionsmittel und als Wissensreservoir. Entwicklungsländer sollten ausdrücklich das reverse engineering von Computerprogrammen - sofern denn der Quellcode geschützt ist - erlauben. Nur so könne man Softwareprogramme lokalen Anforderungen anpassen. Ingesamt empfiehlt die Kommission den bevorzugten Einsatz von Open-Source-Software, sofern die Gesamtkosten dafür sprechen.

Die "Commission on Intellectual Property Rights" warnt Entwicklungsländer eindringlich davor, sich an Gesetzen wie dem "Digital Millenium Copyright Act" zu orientieren, oder dem Urheberrechtsabkommen der World Intellectual Property Organization (WIPO) beizutreten.

"Wo die Anbieter digitaler Informationen oder Software versuchen, 'fair use' mit Hilfe von Nutzungsverträgen einzuschränken, sollten die entsprechenden Punkte der Verträge als nichtig betrachtet werden. Wenn dieselben Einschränkungen mit technologischen Maßnahmen durchgesetzt werden sollen, sollten in diesen Fällen Maßnahmen zum Umgehen der tehnischen Ausführung dieses Schutzes nicht als illegal betrachtet werden."