Titanische Explosionen in NGC 4636
Supermassives Schwarzes Loch erschüttert elliptische Galaxie
Im Sternbild Jungfrau (Virgo), in dem sich die Galaxie NGC 4636 nach Meinung der Astronomen "bislang" eines vergleichsweise ruhigen Daseins erfreute, haben indes einmal gigantische Explosionen stattgefunden, deren Auswirkungen sich "heute" in ihrer ganzen Tragweite offenbaren. Sie haben nicht nur das Raum-Zeit-Kontinuum erschüttert, sondern auch die elliptische Form der rund 50 Millionen Lichtjahre entfernten Welteninsel stark verzerrt. Wie sollte es auch anders sein - wieder einmal ist höchstwahrscheinlich für diese galaktische Katastrophe ein riesiges Schwarzes Loch verantwortlich
Vor zirka 53 Millionen Jahren, zu einer Zeit, als in der Enzyklopädie der Evolution die Schöpfung des Homo sapiens sapiens noch ein ungeschriebenes Kapitel war, ereignete sich fernab der Erde in einer Galaxie, die heute die Katalognummer NGC 4636 trägt, eine kosmische Katastrophe eklatanten Ausmaßes, deren Tragweite erst jetzt, 50 Millionen Jahre später, in unseren "kosmischen Breitengraden" erkennbar geworden ist. Was höchstwahrscheinlich auf die Aktivität eines Schwarzes Loches zurückzuführen ist, hat jüngst ein amerikanisches und australisches Astronomenteam mit dem NASA-Röntgenteleskop Chandra beobachtet und dokumentiert. "Wir beobachten den Effekt eines enormen Ausbruchs im Zentrum der Galaxie. Seine Energie würde der von mehreren Hunderttausend Supernova-Explosionen entsprechen", kommentiert Christine Jones vom Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics (CfA) in Cambridge, Massachusetts jene von ihrem Team analysierten Röntgenbilder, die kürzlich veröffentlicht wurden.
Gewaltige Explosion vor drei Millionen Jahren
Die Fotos basieren auf Datenmaterial, das Chandra bereits in den Jahren 1999 und 2000 während zwei verschiedener Observationssequenzen, die insgesamt 18 Stunden dauerten, aufgezeichnet hat. Hierbei kam das Advanced CCD Imaging Spectrometer des Satelliten zum Einsatz. Auf den Aufnahmen ist die NGC 4636-Galaxie zu sehen, von derem Zentrum aus zwei bogenförmige rund 25.000 Lichtjahre lange Gasarme ausgehen, die symmetrisch aus der Galaxie herausragen:
Sie bilden die Vorderfront einer mächtigen Schockwelle, welche die Galaxie mit einer Geschwindigkeit von 700 Kilometern pro Sekunde durchläuft. Den Berechnungen der Astronomen zufolge muss es etwa drei Millionen Jahren zuvor (ausgehend von dem vorliegenden Bild, das zeigt, wie die Galaxie vor 50 Millionen Jahren ausgesehen hat) im Zentrum von NGC 4636 zu einer heftigen Explosion gekommen sein. Das entscheidende Kriterium für diese Annahme ist die Art und Weise, besser gesagt die Form der Bögen, so wie sie sich "heute" dem Betrachter präsentieren: Damit sie zu der "heutigen" Größe und Struktur heranwachsen konnten, waren wohl, so das einhellige Urteil der Forscher, drei Millionen Jahre nötig.
Für einen gewaltigen Ausbruch, der sich im Zentrum der Galaxie ereignet haben muss, spricht auch das Indiz, dass die Gasarme etwa zehn Millionen Grad heiß sind, und dass sie ungefähr um 30 Prozent heißer sind, als die sie umgegebenen Gaswolken. Dieser Temperaturunterschied, aber auch die Form der Zwillings-Gasbögen sprechen für eine Explosion, die womöglich sogar Teil eines gigantischen Kreislaufs ist, der NGC 4636 ständig in Bewegung hält.
Denn in dem von den Forschern entworfenen Szenario strömt kühles Gas von außen auf ein supermassives Schwarzes Loch im Zentrum von NGC 4636 und führt dort zur Explosion. Durch die Wucht der Explosion bildet sich eine Schockfront und heizt das Gas rund um die Galaxie auf. Wenn das Gas nach Millionen von Jahren wieder abgekühlt ist, fällt es erneut ins Zentrum der Galaxie ein und löst dort eine abermalige Explosion aus. Dieser Kreislauf könnte auch erklären, warum sich in NGC 4636 nicht jene starke Radiostrahlung beobachten lässt, die signifikant für solche Katastrophen ist.
Derweil spekulieren die Forscher über die Möglichkeit, ob die observierte Galaxie sich in jenem frühen Zustand des zerstörerischen Zyklus befindet, in dem eine solche Strahlung noch nicht entsteht. Andererseits könnte es sich hierbei aber auch um einen völlig neuen Eruptionstyp handeln, der "lautlos", also ganz ohne Radioemissionen explodiert. "It may be that we are seeing an early stage of the cycle before the radio source has turned on," so der Originalkommentar von William Forman, der ebenfalls am Harvard-Smithsonian Center for Astrophysics arbeitet. "Or, it could be a new type of outburst that is not accompanied by strong radio emission."
Schwarze Löcher tummeln sich in fast allen galaktischen Zentren
Schwarze Löcher sind zwar weder schwarz noch haben sie ein Loch; dennoch zählen diese kompakten Gebilde, die aus massereichen sterbenden Sternen geboren werden, zu den spektakulärsten Objekten im Universum, absorbieren sie doch wie kein anderes jegliche Form von Materie und Energie. Alles, was ihnen zu nahe kommt, verschwindet in einem gewaltigen kosmischen Raum-Zeit-Strudel auf Nimmerwiedersehen - auch Licht, Raum und Zeit. Wenn Schwarze Löcher mithilfe ihrer gigantischen Masse und Anziehungskraft Materie an sich ziehen, sammelt diese sich auf der so genannten Akkretionsscheibe und spiralt von dort Bahn für Bahn - ähnlich einem Wasserstrudel - langsam ins Innere des Zentrums. Die dabei abgegebene Röntgenstrahlung ist derart intensiv, dass das lichtschluckende unsichtbare Etwas für einen kurzen Moment aufflackert und "sichtbar" wird.
Schwarze Löcher bevölkern das All in verschiedenen Größenklassen. Bislang gaben sich zwei grundverschiedene Varianten zu erkennen. Zum einem haben sich in den Tiefen des Alls normale, sogenannte stellare Schwarze Löcher von nur wenigen Kilometern Durchmesser eingenistet, die einem Muttergestirn entstammen, das nur einige Male schwerer ist als unsere Sonne. Andererseits präsentieren sich die supermassiven Schwarzen Löcher mit rund einer Million bis zu einer Milliarde Sonnenmassen als Quelle intensivster Strahlung, wozu auch das Gebilde im Zentrum der NGC 4636-Welteninsel zählen dürfte.
Ebenfalls in diese Kategorie fällt auch das "Biest" im Zentrum unserer Galaxis, das - wie seine Kollegen, die sich in fast alle anderen galaktischen Zentren tummeln - durch seine ungeheure Schwerkraft Gas, Staub und sogar ganze Sterne so schnell verschlingt, dass die einfallende Materie sich auf Millionen von Grad aufheizt und daher im ganzen Spektrum, aber auch im sichtbaren Bereich hell leuchtet. Zu den Spitzenreitern unter den gefräßigen Riesen zählen Quasare, jene in punkto Leuchtkraft galaxiengroßen riesigen Gebilde am Rande des Universums, die trotz ihrer enormen Entfernung so viel Energie abstrahlen, dass in deren Innern nur ein riesiges Schwarzes Loch hausen kann.