Tod in der Polizeizelle vor 18 Jahren: "Oury Jalloh – das war Mord"
Der Kampf um die Aufklärung des Feuertods in der Dessauer Polizeizelle bewegt noch immer viele Menschen. Die Justiz aber hat den Rechtsweg für beendet erklärt hat, als selbst ein Staatsanwalt das Szenario eines Mordes für denkbar hielt.
Es war ein milder Januarabend in der Dessauer Innenstadt. Noch rund 300 Menschen haben sich um die dortige Polizeidirektion versammelt. Es sind Freunde von Oury Jalloh, der in einer Zelle in dieser Polizeidirektion am 7. Januar 2005 verbrannte, sowie Unterstützer. 18 Jahre später erinnert an dem Gebäude nichts an seinen Tod. Man kann sich hingegen fragen, ob auch das Gebäude der Dessauer Polizeistation im Bauhausstil errichtet wurde. Schließlich sind das Bauhaus und seine Geschichte mittlerweile zu einer touristischen Marke der Stadt Dessau geworden.
Doch auch Oury Jalloh ist mit der Geschichte dieser Stadt verbunden, wie am vergangenen Samstag wieder einmal deutlich wurde. Gegen 14 Uhr hatten sich rund 1.700 Menschen vor dem Dessauer Bahnhof versammelt, viele angereist aus Berlin, Leipzig, Dresden oder von noch weiter weg. Viele hatten selbstgemalte Schilder und Plakate mitgebracht.
Tribut an die Freunde und Unterstützer von Oury Jalloh
Die häufigste Parole dort lautete "Oury Jalloh – das war Mord" . Sie wurde von den Freunden und Bekannten des jungen Mannes aus Sierra Leone sowie von antirassistischen Initiativen gerufen, nachdem er in einer Dessauer Polizeizelle verbrannt aufgefunden war. "Damals wurden wir von der Polizei angegriffen, verletzt, verhaftet und wegen der Parole vor Gericht gezerrt", erinnert sich einer der Unterstützer der ersten Stunde in Dessau.
Es war zunächst ein kleiner Kreis, der sich nicht mit der offiziellen Erklärung der Polizei zufrieden geben wollte, nachdem Oury Jalloh obwohl gefesselt seine Matratze selber in Brand gesteckt haben soll mit einem Feuerzeug, das bei einer Durchsuchung des Manne nicht gefunden wurde und später keine Brandspuren aufgewiesen hat. Die Verantwortlichen der Stadt verfuhren so wie bei den Angehörigen des Opfern des "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU).
Sie wurden als Troublemaker und angebliche Drogendealer diffamiert, einem engen Freund von Oury Jalloh wurde verboten, einen Internetshop zu führen. Das Kalkül war klar, man wollte den kleinen Kreis der Menschen, die an der offiziellen Polizeiversion zum Tod des Asylsuchenden widersprachen, aus der Stadt weg haben, dann würde Ruhe einkehren und die Gerüchte würden verstummen, so das Kalkül der Verantwortlichen.
Von "Omas gegen Rechts" bis zur "Offensiven Jugend Dessau"
Doch die Rechnung ist nicht aufgegangen, wie am 7. Januar 2023 erneute deutlich wurde. Es waren besonders viele Menschen am 18. Jahrestag von Oury Jallohs Tod nach Dessau gekommen, weil der Termin dieses Mal auf einen Samstag fiel. Dazu gehört eine Gruppe der "Omas gegen Rechts", die mit weißen Schirmen nicht nur wetterfest auftreten.
Sie wollen damit de auch symbolisieren, dass sie niemand im Regen stehen lassen. Mit eigenem Transparent auf der Demonstration vertreten war auch die neu gegründete Offensive Jugend Dessau.
"Niemand von uns war geboren, als Oury Jalloh in der Polizeizelle verbrannt ist, aber wir sehen es als unsre Pflicht, das Gedenken fortzusetzen", sagt ein junger Mann von der Dessauer Jugendgruppe, die sich als antikapitalistisch und antifaschistisch versteht. Sie waren Teil eines größeren Blocks von linken Jugendgruppen, die auf der Gedenkdemo mit ihren Bannern und Fahnen nicht zu übersehen waren.
Die Gründung einer linken Jugendgruppe in Dessau zeugt auch von einer Veränderung des Klimas in der Stadt. Noch 2004, knapp ein Jahr vor Oury Jallohs Tod in der Polizeizelle, schrieb die Jungle World von einer rechten Offensive in Dessau. Damals war auch der Dessauer Bahnhof ein Angstraum für Menschen mit dunklerer Haut. Das hat sich heute komplex geändert.
Zumindest der 7. Januar gehörte in diesem Jahr den Antirassistinnen und Antirassisten. Rechte ließen sich nicht sehen. Auch dass die Parole "Oury Jalloh – das war Mord" nicht mehr verfolgt wird, ist keinesfalls selbstverständlich. Im osthessischen Fulda werden noch immer Antirassisten mit Anklagen überzogen, die im Zusammenhang mit den Polizeischüssen auf den afghanischen Geflüchteten Matiulla von Mord oder extensiver Polizeigewalt sprechen.
In Dessau war es die Beharrlichkeit der Freunde von Oury Jalloh und des kleinen Unterstützerkreises, die die das Klima änderte. Sie ließen auf eigene Kosten Gutachten erstellen, die nachwiesen, dass die Todesumstände von Oury Jalloh nicht mit der offiziellen Erklärung übereinstimmen.
So gehen Gutachter davon aus, dass ein Brandbeschleuniger eingesetzt wurde, was erklären würde, warum das Feuer sich so schnell in der Zelle ausbreitete. Mittlerweile haben auch international bekannte Künstler wie Mario Pfeiffer sich des Todes von Oury Jalloh angenommen.
Im April 2017 hatte der Leitende Oberstaatsanwalt von Dessau erstmals dass Szenario in Betracht gezogen, nach dem Oury Jalloh von Polizeibeamten mit Hilfe von Brandbeschleunigern angezündet wurde. Er hatte daher auch die Übernahme des Falles durch den Generalbundesanwalt angeregt. Der Staatsanwalt ging auch von Befürchtungen der Dessauer Beamten aus, dass weitere ungeklärte Todesfälle in der Dessauer Polizeiwache bekannt würden.
Im Jahr 1997 war Hans-Jürgen Rose und im November 2002 war Mario Bichtemann dort unter ungeklärten Umständen gestorben, nachdem sie einige Zeit in der Dessauer Polizeizelle verbringen mussten. Es waren einkommensarme Menschen ohne Unterstützung und Lobby, so dass ihr Tod wenig Aufsehen erregte.
Es ist der Initiative zur Aufklärung des Todes von Oury Jalloh zu verdanken, dass sie auch die ungeklärten Todesumstände der beiden Männer bekannt machten. Es wäre nun zu erwarten gewesen, dass ein solch schwerer Vorwurf des Staatsanwalts aufgeklärt wird. Stattdessen wurde dem kritischen Staatsanwalt der Fall entzogen und im Anschluss wurden die Verfahren eingestellt.
Die Institutionen haben den Rechtsweg gesperrt, nachdem ein Staatsanwalt ein Szenario entwickelt hatte, das eigentlich nach einer Aufarbeitung verlangt. Hier liegt sicher auch ein Grund, warum der Fall Oury Jalloh weiterhin viele Menschen bewegt. Auch viele andere Gruppen, die um Opfer rassistischer Gewalt trauern, sind am Samstag nach Dessau gekommen.
Warum musste Amad Ahmad sterben? Diese Frage stand auf einen Plakat. In diesem Fall ging es um das Schicksal eines Syrers, der 2018 in einer Zelle in Kleve verbrannt war, nachdem er dort nur wegen einer angeblichen Verwechslung inhaftiert war.
Ausstellung zu antirassistischem DDR-Projekt
Wer sich noch Dessau etwas Zeit genommen hat, konnte in der obersten Etage des historischen Bauhausgebäudes in Dessau die Ausstellung "Doors of Learning" besuchen. Sie informiert über eine mit Unterstützung der DDR in den frühen 1980er-Jahren aufgebaute Bildungsstätte in Tansania. Dort wurden im Wesentlichen Jugendliche unterrichtet, die vor dem Terror des südafrikanischen Apartheidregimes geflüchtet waren.
Paul Dziedzic beschreibt die kleine, aber sehr informative Ausstellung in der Zeitschrift Analyse und Kritik als ein "einzigartiges Stück afrikanische Freiheitsgeschichte" und als "verlorene Utopie". Dabei äußerten sich einige der Studierenden, die die Geschichte erforschten, erstaunt, dass die DDR eine solche Anti-Apartheid-Initiative unterstützt hatte.
Dabei ist es tatsächlich seit Langem bekannt, dass die DDR sehr aktiv die Anti-Apartheid-Bewegung protegiert hatte, beispielsweise auch die Zeitung Namibia Today. Darüber informierte vor einigen Jahren sogar eine Ausstellung im Berliner der U-Bahn-Hof Schillingstraße.
Es stellt sich auch die Frage, ob das lange Verschweigen oder Verfälschen dieser antirassistischen Aspekte der DDR-Politik Rassismus wie im Fall von Oury Jalloh begünstigt hat.