Todessternstunde der Philosophie: Richard David Precht wirft hin

Richard David Precht. Archiv-Bild (2018): Gregor Fischer/ re:publica / CC BY-SA 2.0 Deed

Der Honorarprofessor und seine Lüneburger Heiden: Precht will nicht mit Studenten reden, die nicht reden wollen. Ist das nicht over-woke? Ein Kommentar.

Richard David Precht unterrichtete seit 2011 als Honorarprofessor für Philosophie und Ästhetik an der Leuphana-Universität in Lüneburg. Das heißt so viel wie: kostenlos.

Eine Honorarprofessur definiert sich dadurch, dass es dafür kein Honorar gibt. Nachdem Precht vor Kurzem bei Lanz einen in diesen sensiblen Zeiten etwas zu flotten Spruch über orthodoxe Juden gerissen hat (sie würden nicht arbeiten, außer im Diamantenhandel und in Finanzgeschäften), wurde er in der Öffentlichkeit zerrissen.

Seine Studenten haben sich zusammengerottet und forderten die Universitätsleitung dazu auf, ihn standrechtlich zu suspendieren. Denn sie glauben nicht mehr an ihn.

Und was ist passiert? Precht hat nun von sich aus hingeschmissen.

So ändern sich die Zeiten. Nicht nur, dass er früher beliebt war oder ein Woody Allen für solche Witze Oscars zugeworfen bekam. Natürlich ist das mit den Juden Quatsch und ein antisemitischer Klassiker. Aber sind diese Reaktionen heutzutage nicht ein wenig over-woke?

Wo war der Aufschrei des Deutschen Fußball-Bundes, als Precht Witze über einen erweiterten Fußballbegriff riss? Wer hat den Mann verteidigt, als er von der Presse sexistisch und immer wieder als schönster Philosoph Deutschlands bezeichnet wurde? Oder als Philosoph?

Precht hat nicht Philosophie studiert (sondern Germanistik). Auch das wird ihm nun vorgeworfen – was lustig ist, denn viele Prominente der Philosophiegeschichte haben es auch nicht: zum Beispiel Sokrates und Spinoza, Jaspers, Husserl, Descartes oder Dagobert Duck.

Ästhetik ist auch kein geschützter Begriff, rangiert dafür aber verdammt nahe an der Kunst. Die wiederum soll provozieren – und das ist in diesem Falle ja voll gelungen. Glückwunsch.

Das neue Schöne

Diese neue Kultur, jede noch so unbedachte und nicht böse gemeinte Bemerkung als corporate-identity-entartet zu canceln, finden viele schön. Doch "das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir gerade noch ertragen" schrieb Rilke nicht umsonst vor gut 100 Jahren in seinen Duineser Elegien.

Denn so inquisitorische Reaktionen erinnern in manchen Fällen an dystopische SF-Bücher. Zum Glück ist die Wirklichkeit vielschichtiger. Denn nun hört Precht wenigstens damit auf, sich der angeblichen akademischen Ehre wegen ausnutzen zu lassen – und das ist irgendwie auch schön. Er muss keinen akademischen Dialog mehr mit Studenten führen, die gar keinen führen wollen.


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Wohlgemerkt: Precht hat sich in aller Form entschuldigt und er hat niemanden dazu aufgefordert, jemand anderen zu töten und er hat auch niemanden plagiiert. Sondern er schaffte in der Leuphana seit 13 Jahren unentgeltlich an, sah gut dabei aus und war durchweg unterhaltsam. Das ist mehr, als man von einem Nietzsche oder Lauterbach behaupten könnte.

Prechts Abgang ist eine Todessternstunde der Philosophie. Ihn behalten und nicht hinauszumobben, das wäre viel stilvoller und kultivierter gewesen. Nötig ist Lehrpersonal in dem Fach allemal. Zum Beispiel, um zu kommunizieren, dass auch Philosophen Menschen sind und niemand immer 100-prozentig waschecht und druckreif formuliert.

Wer ist jetzt klüger?

Wer an Menschen den Anspruch solcher Perfektion stellt, sollte nicht Philosophie studieren, sondern lieber Psychologie. Des Eigenbedarfs wegen. Waren Prechts Studenten klüger als derjenige, den sie wegen einer einzelnen Bemerkung kritisierten?

Diese Frage muss u.a. deswegen offen bleiben, weil einem beim Versuch einer Antwort vor Lachen der Kopf fast auf die Tastatur fällt – sodass gilt: "wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen". So lautet der wahrscheinlich bekannteste Satz des Kult-Philosophen Ludwig Wittgenstein, der seines Zeichens eigentlich gelernter Maschinenbauer war.