Todesursache: Klimawandel

Brauchen wir den noch, oder kann der weg? Apollofalter. Bild: Richtibucto, CC BY-SA 3.0

Bilanz zur Artenvielfalt: Der Klimawandel vertreibt einheimische Spezies oder lässt sie aussterben. Invasive Arten bringen auch neue Krankheiten mit

Die "Brockenanemone" kann nicht mehr. Schön sieht sie aus, die weiße Blume, ein Hahnenfußgewächs, das im Harz zu Hause ist und Kühle liebt. Deshalb leidet sie unter dem Klimawandel. "Die Pflanze hat sich vor zunehmender Hitze immer weiter zurückgezogen, sie wächst nur noch ganz oben auf der Bergspitze, auf wenigen Hektar", sagt Horst Korn, Leiter der Abteilung internationaler Naturschutz beim Bundesamt für Naturschutz (BfN).

Damit wird in wenigen Jahren Schluss sein, "es wird für die Brockenanemone selbst dort oben einfach zu warm." Die Brockenanemone – so viel steht fest – wird dem Klimawandel zum Opfer fallen.

Kein Einzelfall: Etliche Schmetterlingsarten zum Beispiel können nicht in kühlere Gebiete in den Norden weiterziehen, weil sie auf bestimmte Futterpflanzen für ihre Raupen angewiesen sind, die nur bei uns wachsen.

Der Moselapollofalter beispielsweise kommt weltweit nur an den felsigen Steilhängen im Moseltal vor, die Futterpflanze für seine Raupen ist die Weiße Fetthenne. Normalerweise überwintern die Raupen bis zum April, aber wegen der zunehmend ausbleibenden Frosttage schlüpfen sie jetzt immer früher und finden kein Futter, weil die Fetthenne dann noch nicht herangewachsen ist. Andere Spezies wie der Moorfrosch, der Fadenmolch oder die Rotbauchunke sind für ihren Nachwuchs auf Kleinstgewässer angewiesen - infolge zunehmender Dürrephasen aber trocknen viele im Sommer aus, bevor die Larven voll entwickelt ihr Leben an Land beginnen können.

Um die Verwundbarkeit relevanter Sektoren gegenüber den Folgen des Klimawandels zu erforschen, gibt das Umweltbundesamt aller paar Jahre einen "Vulnerabilitätsbericht" heraus. Für die 2021er-Ausgabe hat der Deutsche Wetterdienst die künftigen Hitzewellen mit neuesten Klimamodellen genauer simuliert. Demnach werden sie nicht nur häufiger, sondern auch länger.

Früher dauerten Hitzewellen in Deutschland drei oder vier, höchstens mal fünf Tage. Bis Mitte des Jahrhunderts werde die Länge – regional unterschiedlich – um vier bis sieben Tage zunehmen, sich also mehr als verdoppeln.

Bis Ende des Jahrhunderts drohe mancherorts sogar eine Verdreifachung. Mit fatalen Folgen für die Natur: Eine Untersuchung des Bundesamtes für Naturschutz von mehr als 500 in Deutschland geschützten Tierarten kam zu dem Schluss, dass lediglich elf Prozent von ihnen wohl relativ problemlos mit der zu erwartenden Klimaerhitzung klarkommen werden.

Weiter steigende Temperaturen bringen für 77 Prozent der untersuchten Tierarten ein mittleres Überlebensrisiko, zwölf Prozent werden als Hochrisikogruppe klassifiziert.

Afrikanische Fangschrecke wird häufiger gesichtet

Andererseits überleben neuerdings Arten, für die es früher viel zu kalt in unseren Breiten war. Etwa die Gottesanbeterin. "Zu meinen Studienzeiten in den 80er-Jahren gab es in Deutschland nur eine kleine Population im Kaiserstuhl", sagt Horst Korn vom Bundesamt für Naturschutz.

Das kleine Mittelgebirge vulkanischen Ursprungs in der Oberrheinischen Tiefebene zählt mit seinem mediterranen Klima zu den wärmsten Orten Deutschlands. Heute ist die ursprünglich aus Afrika stammende Fangschrecke bereits in ganz Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz beheimatet, auch im Saarland wurde sie mehrfach gesichtet und selbst in Berlin-Schöneberg hat sich eine Gottesanbeterin-Population etabliert.

Ein anderes Beispiel ist der Bienenfresser, ein wärmeliebender Vogel aus Südeuropa, der sich immer weiter nach Norden ausbreitet. Oder die Halsbandsittiche Psittacula krameri, die ursprünglich aus den Savannengebieten Afrikas stammen: Vermutlich sind einige der Ziervögel hierzulande irgendwann einmal ausgebüxt.

Mit den steigenden Temperaturen entwickelte sich eine frei lebende Population in Deutschland, zehntausend dieser Sittige leben mittlerweile entlang des Rheins, besonders viele in Wiesbaden, in Köln und im warmen Rhein-Neckar-Gebiet, wo sie sich in die Styroporverkleidung von wärmegedämmten Häusern picken, in denen es sich prima nisten lässt.

Andere neue Arten sind viel gefährlicher, die Asiatischen Tigermücke Aedes albopictus zum Beispiel, die tropische Krankheiten wie Chikungungya-, Dengue- oder Gelbfieber überträgt. Im Zuge der Globalisierung reiste sie im Ei-Stadium auf Schiffen nach Europa, in Warencontainern, sehr gern in kleinen Pfützen im Innern von Altreifen.

Im Jahr 2007 wurden erstmals Asiatische Tigermücken (genauer: von ihr abgelegte Eier) in Baden-Württemberg entdeckt. Früher konnte diese Mücke hierzulande nicht überleben, weil es zu kalt war.

Doch im Zuge des Klimawandels sind die Winter immer milder geworden und die Sommer bereits so warm, dass Tigermücken sich auch hier vermehren können. 2014 wurde am Oberrhein nahe Freiburg erstmals ein größeres Vorkommen registriert, inzwischen sind die Mücken in einigen größeren Städten angekommen, haben sich Populationen in Freiburg, Heidelberg und sogar weit entfernt, im thüringischen Jena, etabliert.

Nicht der einzige Überträger, der im Zuge des Klimawandels heimisch wird bei uns: Zecken übertragen etwa Erreger wie Borreliose-Bakterien oder FSME-Viren, Letztere können zu gefährlichen Gehirnentzündungen führen.

Galten früher nur Regionen ganz im Süden als Risikogebieten, hat das Robert-Koch-Institut inzwischen 164 Landkreise (und damit mehr als die Hälfte aller) zu solchen erklärt: 2019 kam mit dem Emsland in Niedersachsen erstmals ein Kreis in Norddeutschland hinzu.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.