Tödliche Biowaffe
Aus Versehen haben australische Wissenschaftler einen äußerst gefährlichen Virus entwickelt
Eigentlich hatten Ron Jackson von der australischen Forschungsorganisation CSIRO und Ian Ramshaw von der Australian National University nur versucht, einen Virus genetisch zu verändern, um ein Mittel gegen die Vermehrung von Mäusen herzustellen. Die überraschende Folge war, dass daraufhin das Immunsystem der Mäuse außer Kraft gesetzt wurde. Ganz ähnlich ließen sich auch Pockenviren zu tödlichen Biowaffen umbauen, warnen die Wissenschaftler.
Herauskommen sollte bei der Forschung, so New Scientist, ein Mittel, das Mäuse unfruchtbar macht, indem die Bildung von Antikörpern stimuliert wird, die sich gegen Eizellen richten. Dazu führten sie in ein Mäusepockenvirus, eine normalerweise leichte Infektionskrankheit, die Schwellungen und Nekrosen der Pfoten hervorruft, ein Gen ein, das für die Produktion von großen Mengen an Interleukin 4 verantwortlich ist. Interleukin 4 ist ein Cytokin, das T-Helferzellen anregt, die wiederum die Immunantwort des Körpers stimulieren. Der Virus war lediglich das Vehikel, um die in ihm enthaltenen Proteine in den Körper einzuschleusen, um die Antikörperreaktion auszulösen. Doch das genveränderte Virus führte dazu, dass die zellvermittelte Immunreaktion, d.h. der Angriff von T-Zellen auf infizierte Zellen völlig unterdrückt wurde.
Nach neun Tagen waren alle Tiere gestorben. Da das Mäusepockenvirus, das Menschen nicht infiziert, aber nahe verwandt mit dem für Menschen gefährlichen Pockenvirus ist, erkannten die Wissenschaftler, was sie da zufällig geschaffen hatten: "Man kann sicher davon ausgehen, dass dann, wenn irgendein Idiot IL-4 in Menschenpocken packt, dadurch die Sterblichkeit ganz entscheidend vergrößert werden würde", erklärt Jackson. "Nachdem ich gesehen habe, welche Folgen das bei den Mäusen hatte, würde ich nicht gerne derjenige sein, der dieses Experiment ausführt."
Der gentechnisch veränderte Virus führte nicht nur zum Tod der Mäuse, er war auch noch ungewöhnlich resistent gegenüber Impfungen, die normalerweise die Mäuse vor der Infektion schützen. Nur bei der Hälfte der Mäuse wirkte die Impfung. Das weist auf die Bedrohlichkeit einer möglichen Biowaffe aus derart verschärften Pockenviren hin, die nur noch schwer mit Impfungen zu bekämpfen wäre. Bei Menschen sind Pocken bereits zu 30 Prozent tödlich, also auch ohne Verschärfung bereits eine gefährliche Waffe.
Viele Wissenschaftler auf der ganzen Welt arbeiten aus den verschiedensten Gründen mit genveränderten Viren oder Bakterien. Viren dienen als gebräuchliche Vehikel, um Gene in den Körper einzuschleusen. Normalerweise werden veränderte Viren weniger gefährlich. Das Experiment der Australier zeigt nur, wie schnell sich eine gefährliche Waffe entwickeln ließe, und dass dazu keine besonderen Labors notwendig sind. Zudem sind nur kleine genetische Veränderungen notwendig, um die tödlichen Erreger gegenüber verfügbaren Bekämpfungsmitteln resistent zu machen.
Die australischen Forscher fragten vor der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse erst einmal das Verteidigungsministerium um Genehmigung nach. In der Februarausgabe des Journal of Virology ist ihr Artikel "Expression of Mouse Interleukin-4 by a Recombinant Ectromelia Virus Suppresses Cytolytic Lymphocyte Responses and Overcomes Genetic Resistance to Mousepox" erscheinen: "Wir wollten die Öffentlichkeit davor warnen, dass es eine solche möglicherweise gefährliche Technologie gibt", sagte Jackson gegenüber New Scientist. "Wir wollten es der wissenschaftlichen Gemeinschaft klar machen, dass sie vorsichtig sein sollen, dass es nicht zu schwierig ist, bösartige Lebewesen zu schaffen."
D. A. Henderson, ein ehemaliger Berater des amerikanischen Präsidenten und Direktor des John Hopkins Center for Civilian Biodefense Studies in Baltimore, kritisiert allerdings die Veröffentlichung solcher Studien, da sie auch in falsche Hände fallen könnte. Schließlich seien dies eine Art Bauanleitung für Biowaffen. Genkritiker wie Friends of the Earth sehen in dem zufälligen Produkt der Biowisenschaftler die unvorhersehbaren Gefahren der Genforschung: "Wir wissen einfach nicht genug, um diese Experimente gegenwärtig zu genehmigen", sagte ein Sprecher der Organisation gegenüber BBC. Für Susan Meyer von Genewatch weist das Experiment darauf hin, dass gentechnisch veränderte Organismen zu unerwarteten Folgen führen können. Schon die Veränderung einzelner Gene könne große Wirkungen hervorrufen.
Ein von BBC befragter Sprecher des Instituts für biologische Forschung des britischen Militärs windet sich in der üblichen Art. Ein absoluter Schutz sei angesichts der vielen Möglichkeiten nur mit Zwängen möglich, die für eine freie Gesellschaft nicht zumutbar seien. Selbst eine Warnung vor den möglichen Folgen könne Bösewichte auf die neuen Waffen überhaupt erst aufmerksam machen: "Es ist wichtig, die Wissenschaftler auf das gesamte Potential ihrer Entdeckungen aufmerksam zu machen, aber das bringt auch das Risiko mit sich, das gewissenlose Menschen auf diese Möglichkeiten aufmerksam werden."
Eigentlich sind die für Menschen gefährlichen Pocken ja ausgestorben - offiziell. Noch in den 50er Jahren tötete diese Krankheit jährlich zwei Millionen Menschen. 1977 gab es in Somalia eine letzte Epidemie, dann erklärte die WHO 1980 diese Krankheit dank eines umfassenden Impfprogramms für ausgerottet, mit dem man Ende der 60er Jahre begonnen hatte. 11 Jahre hatte der globale Feldzug gegen die Pocken gedauert. Wegen ihrer Gefährlichkeit waren Pocken allerdings neben den Milzbranderregern auch ein Spielzeug der Militärs, die an biologischen Waffen gearbeitet haben.
Ken Alibek, ein russischer Wissenschaftler, der früher für die Entwicklung von biologischen Waffen zuständig war, hat in seinem Buch "Direktorium-15 - Rußlands Geheimpläne für den biologischen Krieg" dargelegt, dass man in der UdSSR trotz des von eben der Sowjetunion vorgechlagenen Programms zur Ausrottung der Pocken und des Abkommens gegen biologischen Waffen (BWC) von 1972 bis 1989 weiter jährlich das Virus tonnenweise hergestellt und in Sprengköpfen von Raketen eingebracht hat. Ob diese vielen Tonnen vernichtet wurden oder sich teilweise in ehemals befreundeten Ländern befinden, ist ungewiss.
Obgleich offiziell ausgerottet, existieren Pockenvorräte sicherlich noch in militärischen Labors. Am 21. Mai 1999 beschlossen die Vertreter der 191 Mitgliedsstaaten der WHO in Genf, die Vernichtung der Pockenviren um weitere drei Jahre aufzuschieben. Ganz bestimmt und offiziell gibt es sie auf jeden Fall noch tiefgefroren im Center for Disease Control and Prevention in Atlanta und auch im Institute for Viral Preparations in Moskau. Aber wenn es nicht Pockenviren sind, dann lassen sich auch andere Viren oder Bakterien zu gefährlichen Waffen weiter entwickeln. Pockenviren wären allerdings ein guter Ansatz, denn seit 1980 wird nicht mehr gegen die Krankheit geimpft.
Es wäre also höchste Zeit, dass die Biological Weapons Convention nicht nur weiter auf dem Papier steht, sondern mit effizienten Überprüfungs- und Sanktionsmitteln weltweit durchgesetzt wird. Ein großes Problem dabei ist auch, dass man nur schwierig zwischen militärischer Forschung über biologische Waffen und einer Forschung unterscheiden kann, die auf den Schutz vor biologischen Waffen orientiert ist - oder auch, wie das Beispiel der australischen Wissenschaftler zeigt, ganz anderen Weg folgt. Die Forschung zum Schutz vor biologischen Waffen ist nach der BWC erlaubt, nicht aber die Entwicklung, Herstellung und Lagerung von solchen. Weil aber die Biotechnologie ein heiß umkämpfter Zukunftsmarkt ist, sperren sich insbesondere Firmen aus Japan und den USA gegenüber internationalen Kontrollen, weil sie Industriespionage fürchten oder möglicherweise fälschlich unter Verdacht geraten könnten.