Tödliche Zeitbombe im Eis: Erwachen uralte Bakterien in der Arktis?

Die Arktis taut schneller als je zuvor. 2016 tötete ein aufgetautes Milzbrand-Bakterium bereits über 2.500 Rentiere in Sibirien. Was, wenn noch gefährlichere Erreger erwachen?
Der Klimawandel lässt arktisches Eis auftauen. Im ungewöhnlich heißen Sommer 2016 tötete ein Bakterium, das Milzbrand verursacht, mehr als 2.500 Rentiere auf der abgelegenen sibirischen Halbinsel Jamal. Geht von den aufgetauten Bakterien eine größere Gefahr auch für Menschen aus?
Das UN Environment Programme (UNEP) in Kenias Hauptstadt Nairobi warf am 7. Januar genau diese Frage auf: Ob Mikroben, die seit Jahrtausenden im arktischen Eis eingeschlossen waren, eine Welle tödlicher Krankheiten auslösen könnten?
Normalerweise tief in einer Schicht permanent gefrorenen Bodens eingeschlossen, breitete sich der einst ruhende Erreger schließlich auf den Menschen aus. Dabei starb ein 12-jähriger Junge und Dutzende weitere erkrankten. Einige Forscher glauben, der Ausbruch sei ein Vorzeichen der Dinge, die da kommen.
Befreit der Klimawandel gefrorene Mikroben?
Da der Klimawandel die Arktis immer schneller erwärmt, könnte er potenziell tödliche Mikroben befreien, die seit Jahrhunderten im Eis gefangen waren. Diese können sich dann in einer Infektionswelle verbreiten.
Eine solche Bedrohung wird in "Navigating New Horizons" beleuchtet, einem Bericht des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) und des Internationalen Wissenschaftsrats, der sich mit neuen Herausforderungen für die Gesundheit auf dem Planeten und das menschliche Wohlbefinden befasst.
"Aufgrund der Tatsache, dass diese Mikroben im Permafrost vorkommen, lässt sich nur schwer sagen, wie weit verbreitet oder gefährlich dieses Problem sein könnte", erläuterte Andrea Hinwood, Chefwissenschaftlerin des UNEP. Aber es gebe durchaus Grund zur Sorge.
Riesige Mengen an Mikroben waren im Permafrost konserviert und isoliert
Die Arktis, die sich über 14 Millionen Quadratkilometer in acht Ländern erstreckt, ist von einer dicken Schicht Permafrost bedeckt, einer gefrorenen Mischung aus Erde, Steinen, Eis und organischem Material. Allerdings erwärmt sich die Arktis viermal schneller als der Rest der Erde, und das Auftauen des Permafrosts könnte Experten zufolge uralte Bakterien und Viren freisetzen.
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Folgt man einer Studie, die unter dem Titel "Climate change, melting cryosphere and frozen pathogens: Should we worry…?", die in der Zeitschrift Environmental Sustainability veröffentlicht wurde, werden jährlich etwa vier Sextillionen Mikroben, das ist eine Vier mit 36 Nullen, durch das Auftauen des Permafrosts freigesetzt.
Einige Forscher sind besonders besorgt über das Auftauen seit langem ausgestorbener arktischer Tiere, deren Körper möglicherweise ruhende Mikroben enthalten. Der Ausbruch in Sibirien wurde auf eine Rentierbegräbnisstätte zurückgeführt. Viele dieser Tiere starben vor über 70 Jahren an Milzbrand.
Hinwood sagt, dass das, was sich jetzt in der Arktis abspielt, in wärmeren Klimazonen seit Jahrhunderten passiert, wobei Krankheitserreger zwischen Menschen und Tieren hin- und herspringen, oft mit tödlichen Folgen. Zuletzt wurde dieser Vorgang im Zusammenhang mit dem Ausbruch von Covid-19 auf einem Tiermarkt in Wuhan einer größeren Öffentlichkeit bekannt.
Die Gefahr durch aufgetaute Mikroben ist nur ein Aspekt der Erwärmung der Arktis
Die Freisetzung von gefährlichen Mikroben ist im Grunde kein neues Phänomen, aber es geschieht jetzt an einem neuen Ort. Experten befürchten, dass Krankheiten von Tieren, wie Rentieren, auf den Menschen überspringen könnten, da die globale Erwärmung die Arktis für Schifffahrt und Bergbau öffnet.
Da die Erwärmung die Arktis für Schifffahrt, Bergbau und andere Industrien öffnet, könnten laut Hinwood mehr Menschen in die Nähe des aufgetauten Permafrosts und der darin enthaltenen Mikroben gelangen.
In welchem Umfang bisher genutzte Medikamente gegen die aufgetauten Mikroben erfolgreich eingesetzt werden können, ist bislang noch völlig unbekannt. Bekannt ist jedoch, dass immer mehr Mikroben Resistenzen gegen die üblichen Medikamente entwickeln.
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Andrea Hinwood
Die Ausbreitung von Krankheiten sei jedoch nicht das einzige Problem, das mit dem Auftauen der Arktis einhergeht.
Der Permafrost der Welt enthält schätzungsweise 1.500 Gigatonnen Kohlenstoff, etwa doppelt so viel, wie sich derzeit in der Atmosphäre befindet. Wenn der Permafrost auftaut, wird sein Kohlenstoff zersetzt und als Kohlendioxid oder Methan in die Atmosphäre freigesetzt.
Diese Treibhausgase erwärmen den Planeten weiter und lassen in einem potenziell katastrophalen Kreislauf noch mehr Permafrost schmelzen. Um einen außer Kontrolle geratenen Klimawandel und den Ausbruch von Krankheiten abzuwenden, muss die Welt laut Hinwood die Treibhausgase eindämmen, die den Klimawandel vorantreiben.
Die Länder müssen auch weiterhin den Rückgang des Permafrosts überwachen und in die Kartierung der dort lebenden Mikrobenarten investieren. Derzeit befindet sich die Wissenschaft noch in einem "Wenn-und-Vielleicht-Szenario".
Es herrscht noch eine Menge Ungewissheit und daher wäre es das Beste, die zur Verfügung stehenden Werkzeuge und wissenschaftlichen Erkenntnisse zu nutzen, um an stabilere Informationen zu gelangen.