"Topmanager sitzen im Elfenbeinturm"
Ein Gespräch mit den Autoren des Buches "Mad Business" über abgehobene Manager, erfolgreiche Führungsstile und den Reiz der Start-up-Szene
Joerg Bartussek war viele Jahre als Manager für Großkonzerne in den Bereichen Beratung, Internet und Mobilfunk tätig und lebt heute als selbstständiger Unternehmer in Wien. Oliver Weyergraf führte als Geschäftsführer mehrere Internet-Unternehmen, war lange als Manager für internationale Konzerne tätig und leitet heute sein eigenes Unternehmen in Berlin. Zusammen haben sie das Buch "Mad Business" verfasst.
Sie haben Interviews mit mehr als 30 Managern geführt - was für eine Gesprächsatmosphäre haben Sie geschaffen, welche Tricks angewandt, dass die Entscheidungsträger Ihnen derartig kuriose und teils peinliche Geschichten erzählt haben?
Oliver Weyergraf: Jedes Interview dauerte zwischen zwei und drei Stunden. Oft haben wir Beispiele aus unserem Alltag erzählt. Merkwürdige Situationen, seltsame Rituale. Wir wollten Vertrauen schaffen, unseren Gesprächspartner in einen Redefluss bringen, ja, besondere Geschichten aus ihm herauskitzeln.
Joerg Bartussek: Sicherlich war es ein Vorteil, dass wir das Konzernleben gut kennen. Die Manager vertrauen uns. Das waren Gespräche auf Augenhöhe. Überdies hatte ich den Eindruck, einige von ihnen waren nahezu erleichtert, endlich mal offen über den täglichen Wahnsinn zu sprechen. Dafür haben diese Leute ja sonst keine Zeit. Wann bitteschön reflektiert ein Manager sein Handeln?
Haben Sie zuvor schon einmal einen Topmanager kennengelernt, der offen über seine Fehler spricht?
Joerg Bartussek: Ja. Die erzählen so etwas allerdings nie vor versammelter Mannschaft. Selbstkritik gilt in jenen Kreisen als Schwäche. Und Schwächen werden unterdrückt. Derjenige Manager, der in der Öffentlichkeit eigene Fehler benennt, setzt seine Karriere aufs Spiel.
Oliver Weyergraf: Uns war übrigens von Anfang an klar, dass wir aus den Drei-Stunden-Interviews lediglich ein paar Passagen auswählen. Und natürlich war es den Interviewpartnern sehr wichtig, dass wir Zitate immer anonym verwenden.
Was hat Sie am meisten überrascht?
Oliver Weyergraf: Negativ überrascht hat mich, wie Frauen in Konzernen behandelt werden - und wie intern darüber gesprochen wird. Derlei kannten wir beide nicht, Gender-Themen spielen in unserem Umfeld nämlich keine Rolle. Plötzlich haben wir Geschichten gehört, die ich eher den 70er Jahren zugeordnet hätte. Dass es beispielsweise nicht selten vorkommt, dass eine attraktive Frau die Hand ihres Vorgesetzten auf ihrem Knie spürt - erschreckend!
Joerg Bartussek: Überrascht haben mich auch einige sogenannte Kostenkürzungsprogramme. Ich dachte, ich hätte da schon einiges erlebt, aber auf welch absurde Weise Weltkonzerne bisweilen versuchen, Kosten zu reduzieren, ist schon paradox. Manager, die allen Ernstes über Klopapier-Einsparungen sprechen - Wahnsinn.
Untersuchungen (http://www.hare.org/) zufolge sind Menschen mit einer narzisstischen oder psychopathischen Persönlichkeit etwa drei- bis viermal häufiger in Machtpositionen vertreten als im Bevölkerungsdurchschnitt - Ihre Meinung?
Oliver Weyergraf: Das ist ein schmaler Grat. Wo hört der Soziopath auf, wo fängt der Psychopath an? Klar ist: Diejenigen, die in Weltkonzernen Karriere machen, müssen mit harten Bandagen kämpfen, sie sind meist durchsetzungsstark, eitel und extrem fokussiert. Fehlende Empathie und wenig Selbstreflexion sind üblich.
Joerg Bartussek: Für diese Topführungskräfte ist es unheimlich schwer, die Bodenhaftung zu behalten. Wer verantwortlich ist für Hunderttausende Mitarbeiter, der verwechselt schnell berufliche Macht mit persönlicher. Es braucht einen starken Charakter, um nicht in diese Falle zu tappen. Viele Manager beziehen jede Erfolgsmeldung auf sich - nach dem Motto: Ich hab' s geschafft, ich bin der Größte. Sie vergessen dabei die vielen Mitarbeiter, die an dem Projekt beteiligt waren. Es gibt eine Menge abgehobene Manager, denen insbesondere aus diesem Grund folgenschwere Fehler unterlaufen.
Welcher Name fällt Ihnen spontan ein?
Joerg Bartussek: Thomas Middelhoff, der frühere Arcandor-Chef. Der kletterte nach dem Termin beim Gerichtsvollzieher doch tatsächlich aus einem Fenster und flüchtete über ein Garagendach, um wartenden Journalisten zu entgehen. Später brüstete er sich sogar damit ("Ich bin wie die Katze übers Dach", d. Red.)! Er fand es auch normal, mit dem Helikopter zum Dienst zu fliegen. Wir sehen: Topmanager haben mitunter den Eindruck, sie schwebten über den Dingen. Das ist gefährlich.
Inwiefern hat sich der Führungsstil auf den höchsten Ebenen in den vergangenen Jahren verändert?
Oliver Weyergraf: Eins vorab: Ich bin ein Kind des Shareholder Value. Damals an der Uni, vor etwa 25 Jahren, war ich regelrecht begeistert von dem Konzept. Inzwischen finde ich es eher schwierig, weil Nachhaltigkeit darin keinerlei Rolle spielt. Der kurzfristigen Gewinnmaximierung wird nahezu alles untergeordnet. Sie müssen sich vor jungen Analysten rechtfertigen, deren Ziel es ist, jede noch so kleine Schwäche aufzuspüren, Stichworte Banken und Investoren. Dieses Konzept hat einiges verändert.
Speziell die Unternehmenskultur?
Oliver Weyergraf: Klar. Den meisten Managern geht es in erster Linie um die Frage: Wie optimiere ich den Aktionskurs meines Unternehmens? Danach richten sich ja später die Boni. Der Blick auf die Mitarbeiter dagegen schwindet zunehmend. Ebenso der Teamgedanke. Da sind Zielkonflikte entstanden, die nicht mehr auf die Schnelle zu lösen sind.
Joerg Bartussek: Ohnehin spielen Hypes eine entscheidende Rolle. Ein neuer Chef bringt nicht nur eine neue Strategie mit, sondern auch neues Handwerkszeug, neue Tools. Ihm ist es wichtig, sich von seinem Vorgänger abzusetzen. Er will zeigen, wie innovativ und motiviert er ist. Er fragt nicht: Was hat sich bewährt? Sondern läuft geradeaus - so schnell er kann. Shareholder Value, Ballanced Scorecard - alle drei, vier Jahre ein neuer Hype.
Was vermissen Sie?
Joerg Bartussek: Überzeugende Antworten auf die Fragen: Wie führe ich meine Teams? Wie entwickle und fördere ich meine Mitarbeiter? Womit kann ich meine Kunden begeistern, wie binde ich sie an meine Marke? Oder auch: Wie schaffe ich es, den hunderttausenden Angestellten das zu geben, was sie brauchen, um tolle Produkte zu entwickeln? Es gibt Unternehmertypen, denen sind derlei Themen wichtig. Leider sitzen diese Leute selten an der Spitze eines Konzerns. Die meisten Topmanager greifen sich etwas heraus, das sie gerade in einer Fachzeitschrift gelesen haben. Wenn dann auch noch einer ihrer Berater bestätigt, dieser oder jener Trend sei total cool, dann wird der Kram umgesetzt. Ob das Konzept für den Konzern überhaupt geeignet ist, spielt dabei keine Rolle.
Oliver Weyergraf: Gleichwohl hat sich das Kommunikationsverhalten komplett geändert, speziell durch die Neuen Medien. In Zeiten von Social Media stellt sich für viele Führungskräfte immer häufiger die Frage: Wie kann ich offen mit meinen Mitarbeitern reden, ohne dass die Sachen sofort an die Öffentlichkeit geraten?
Und wie lautet deren Antwort?
Oliver Weyergraf: Mehr Medientraining - bisweilen sogar für interne Meetings. Das haben uns viele Gesprächspartner immer wieder anschaulich beschrieben. Es besteht somit die Gefahr, dass die Botschaften sehr gelackt sind, häufig fehlt die Tiefe. Plakativ gesagt: Führungskräfte sitzen im Elfenbeinturm und werden von Kommunikationsexperten optimiert. Wirkung steht vor Inhalt. Was darf ich sagen, welche Sätze sind gefährlich, wie muss ich formulieren? Allesamt Dinge, die ständig trainiert werden. Mit der Folge, dass sich die jeweilige Person verstellt und nur noch eine Rolle spielt. Fahrlässig. Gerade wenn man bedenkt, dass Authentizität eine Voraussetzung ist, um Leute zu überzeugen und mitzureißen.
Was antworten Sie denen, die sagen, Missstände würden schöngeredet und Kunden vernachlässigt?
Joerg Bartussek: Das haben unsere Interviewpartner, die im Übrigen aus verschiedenen Abteilungen kommen, immer wieder bestätigt. Das ist in den Konzernen ein Riesenthema. Immer häufiger fehlt den Entscheidern das Gespür für den Kunden: Worauf legt er Wert, welche Verbesserungen wünscht er? Kommt vom Kunden ein negatives Feedback, heißt es oft: "Ach, der ist so blöd, der versteht unser Produkt nicht." Oder: Daran haben unsere Experten jahrelang getüftelt, das muss einfach toll sein." Solche Sätze haben wir in der Tat oft gehört.
Haben Sie ein weiteres Beispiel parat?
Joerg Bartussek: Ich war fassungslos, als mir ein Marketing-Manager erzählte, er habe jahrelang Millionenbudgets verwaltet, ohne ein einziges Mal mit einem Kunden gesprochen zu haben. Es gibt aber auch den Experten, der seit Jahren an einem Spezialthema arbeitet, das sich plötzlich als Flop erweist - und der sich nun unheimlich schwertut, etwas komplett Neues zu machen. Derjenige wird seinen Bereich bis zuletzt verteidigen. Er lebt stets in der Sorge, dass seine Expertise womöglich bald nicht mehr gefragt sein wird. Kurzum: Einige Leute sind sich selbst näher als dem Kunden.
Oliver Weyergraf: Viele Abteilungen beharken sich ohnehin ständig. Einige Führungskräfte sind gar stolz darauf, nicht mit den Kollegen der anderen Abteilung zu sprechen. Es fehlt der Austausch. Der Controller schaut, dass alles möglichst günstig produziert wird. Der Ingenieur dagegen will, dass alles möglichst hochwertig und umfassend produziert wird. Culture clashes gehören im Unternehmen somit zum Alltag. Was das für die Endprodukte und späteren Ergebnisse bedeutet, muss ich wohl nicht erklären.
Welche der in Ihrem Buch beschriebenen Negativ-Eigenschaften haben Sie im Arbeitsalltag früher an sich selbst bemerkt?
Joerg Bartussek: (lacht) Im Einstellungsgespräch hieße diese Frage: Was sind ihre größten Schwächen? Eine sehr gefährliche Frage. Hm, Oliver, Du darfst gern anfangen!
Oliver Weyergraf: Als junger Absolvent hatte ich zunächst einmal die Tendenz, im Strom zu schwimmen, mich erst mal einzuordnen ins System. Irgendwann wird man müde und sagt: "Ich muss jetzt hier raus." Nicht umsonst gehen inzwischen derart viele Absolventen in Start-ups. Dort macht es ihnen einfach mehr Spaß, sie können mehr entdecken, sich entfalten und zudem wesentlich mehr erreichen. All das habe ich für mich erst spät festgestellt.
Joerg Bartussek: Eine Zeit lang fand ich Meetings ganz toll. Ich dachte allen Ernstes, man könne dort beinahe jedes Problem lösen und zudem tolle Konzepte planen. Irgendwann habe ich gemerkt: Na ja, das ist wohl doch nicht die produktivste Art zu arbeiten. Um es einmal vorsichtig zu formulieren! (lächelt) Ab und an sind Meetings sinnvoll, in den meisten Fällen wird dort aber nur eins: Zeit totgesessen. Zeit, in der man so viele wichtige Dinge erledigen könnte.
Oliver Weyergraf: Dieses Querdenken wird im Konzern mithin sofort unterbunden. Es passiert schnell, dass man nicht mehr ins System passt. Was man dagegen vom ersten Tag an zu spüren bekommt: die Währungen der Macht. Ob es der Parkplatz ist oder die Anzahl der Fenster, der Garderobenständer, den man erst später bekommt - oder der Stuhl mit Lehne. All die Dinge, die eigentlich keine Rolle spielen sollten, sind plötzlich total wichtig. Das ist schon verrückt.
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