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Total Eclipse

Dämmerung des Kapitalismus, atomare Katastrophe oder Morgendämmerung einer Neuen Zeit?

In Marxscher Sichtweise werden im Laufe einer geschichtlichen Epoche von dieser neue Arbeitsmittel hervorgebracht, die dann am Ende der Entwicklungsmöglichkeiten der bestehenden Epoche den Übergang in eine neue ökonomische Epoche ermöglichen. Diese neuen Arbeitsmittel bringt der sterbende Kapitalismus gerade hervor, und es wäre hilfreich, dass sie also solche erkannt werden, bevor der sterbende Kapitalismus die Welt in einer letzten kriegerischen Explosion womöglich in den Abgrund reißt.

Zero Marginal Cost Society - 3D-Printer for Peace

Der amerikanische Publizist und Trendforscher Jemery Rifkin hat kürzlich eine Studie [1] vorgelegt, der zufolge digitale hochproduktive Fertigungstechnologien in Zukunft die Herstellung von Gebrauchsgütern zu "almost zero marginal costs" ermöglichen werden, woraus wegen offensichtlich dann schwindender Renditemöglichkeiten und Umsatzeinbußen der kapitalistischen Produktion schließlich auch eine "Dämmerung des Kapitalismus" resultieren werde.

Der amerikanische Materialwissenschaftler Joshua Pierce, der die von Rifkin unter anderen ebenfalls als Schlüsseltechnologie verstandene 3D-Druck-Technologie an der Universität von Michigan entwickelt, startete im letzten Jahr einen Wettbewerb mit dem Titel "3D Printers for Peace" [2], um durch Einsatz von 3D-Druckern u. a. die Herstellung von Objekten mit dem Ziel zu erreichen, "die Energieeffizienz oder erneuerbare Energien zur Reduktion der Kriege ums Öl zu verbessern" oder "Mittel zu schaffen, die militärische Konflikte und Rüstungsausgaben reduzieren und uns alle sicherer und geschützter zu machen". An den Konflikt in der Ukraine wird er zur Zeit der Entstehung dieser Initiative noch nicht gedacht haben.

NATO-Strategie und globale Stagnation

Wie nun in der Studie "Neue Verantwortung Neue Macht" [3] der Stiftung Wissenschaft und Politik und des German Marshall Fund zu lesen ist, geht es in der darin beschriebenen Neuausrichtung von NATO und deutscher und europäischer Außenpolitik u. a. exakt um den Zugang zu der "…Nachfrage aus anderen Märkten sowie den Zugang zu internationalen Handelswegen und Rohstoffen". Ganz offensichtlich werden nun genau diese Ziele mit der auf dramatische Weise den Frieden nicht nur in der betroffenen Region gefährdenden Ukraine-Politik der EU und der USA verfolgt.

Das Hervorbringen dieser neuen NATO-Strategie ist an verschiedenen Stellen [4] mit einer anderen Art von Dämmerung des Kapitalismus in Verbindung gebracht worden, nämlich mit einer Entwicklungsphase des Kapitalismus, die die westlichen Staaten wegen der erschöpften Wachstumspotentiale und der Aussicht auf "Jahrzehnte anhaltende Stagnation" [5] zum Rückfall in aggressive militärische Strategien und Konzepte zwinge. Auf diese Weise sollen mindestens über den Zwang der Nato-Mitglieder zu erhöhten Rüstungsaufwendungen Wachstum generiert werden, möglicherweise aber auch durch die Reparation von Zerstörungen durch militärische Auseinandersetzungen oder durch eben einen militärisch erzwungenen Zugang zu neuen Absatzmärkten und billigen Rohstoffen. In dieser Sicht droht ein Ende des Kapitalismus also aus Gründen einer inneren Entwicklungslogik und nicht, wie von Rifkin beschrieben, als Folge der Entstehung neuer "Produktionsmittel". Handelt es sich hier lediglich um die zwei Seiten einer Medaille?

Neue Epoche

Wenn nun in den vergangenen Jahren viel vom "Ende des Kapitalismus" die Rede war, entweder eher feuilletonistisch [6] oder eher wissenschaftlich [7], so erstaunlich wenig von dem bekannt, was diesem Kapitalismus denn möglicherweise einmal nachfolgen könnte. Immanuel Wallerstein etwa nimmt [8] an, dass sich in 30 oder 40 Jahren etwas Neues herausgebildet haben wird, ohne aber hierfür normative oder konkrete politische Orientierungen formulieren oder setzen zu wollen.

Bekanntlich ist von marxistisch inspirierter Seite ebenfalls ein Ende des Kapitalismus angenommen und vorausgesagt worden, wobei nach erfolgreichem Durchschreiten des "transitorisch notwendigen" Kapitalismus dann der Übergang in die nächste sozialistische Phase der Geschichte erfolgen könne. Nach den jahrzehntelangen Erfahrungen mit dem "Real-Sozialismus" der ehemaligen Ostblock-Staaten hat diese Prophezeiung allerdings viel von ihrer Attraktivität eingebüßt.

Wie wäre denn in diesem Zusammenhang die von Rifkin vorgeschlagene "Zero Marginal Cost Society" einzuschätzen? In welchem Zusammenhang stünde sie mit den inneren Entwicklungszwängen des Kapitalismus, und wäre sie tatsächlich ein Template, eine strukturelle Vorlage einer gesellschaftlichen und ökonomischen Architektur, in der ein Nachfolgekandidat des untergehenden Kapitalismus gesehen werden könnte?

Arbeitsmittel zur Bearbeitung des Naturstoffes

Gut marxistisch sind es ja in der Tat die "Arbeitsmittel, mit denen der Naturstoff bearbeitet wird", nach denen die geschichtlichen Epochen sich unterscheiden. Der Ablauf der geschichtlichen Epochen vollzieht sich im Hervorbringen neuer Arbeitsmittel während einer bestehenden Epoche, welche dann das Eintreten in eine neue geschichtliche Epoche ermöglichen, wie Karl Marx im Vorwort zur Kritik der Politischen Ökonomie sagt:

Eine Gesellschaftsformation geht nie unter, bevor alle Produktivkräfte entwickelt sind, für die sie weit genug ist, und neue höhere Produktionsverhältnisse treten nie an die Stelle, bevor die materiellen Existenzbedingungen derselben im Schoß der alten Gesellschaft ausgebrütet sind. Daher stellt sich die Menschheit immer nur Aufgaben, die sie lösen kann, denn genauer betrachtet, wird sich stets finden, dass die Aufgabe selbst nur entspringt, wo die materiellen Bedingungen ihrer Lösung schon vorhanden oder wenigstens im Prozess ihres Werdens begriffen sind.

Die "neuen Arbeitsmittel", die Rifkin nun nennt, und von denen im Verlauf der vergangenen Dekade ja nicht nur bei Rifkin die Rede war, sind unter anderen eben auch diese additiven Fabrikationsmittel, vulgo 3D-Druck, denen bei deren gegenwärtigem Entwicklungsstand aber noch kaum zugetraut werden kann, einen nennenswerten Teil durchschnittlicher Haushaltsbedarfe zu decken. Wie ist aber das Interesse an dieser additiven Fertigung entstanden? Und welches Potenzial entsteht hier tatsächlich?

Prosumation

Die genannten stagnativen Tendenzen wurden bereits vor rund zwei Jahrzehnten allmählich in der betriebswirtschaftlichen Praxis, und hier vor allem im Marketing, spürbar. Der Absatz in den Massenmärkten stockte, in vielen Marktsegmenten zeigten sich Sättigungserscheinungen.

Als eine wichtige und ökonomisch sinnvolle Möglichkeit, bei schrumpfenden Märkten und Absatzvolumina und gleichzeitig rapide fortschreitender Fertigungstechnologie noch Gewinne zu erzielen, erwies sich die Minimierung der Distanz zwischen Konsument und Produzent, also die Überwindung und Ersetzung der ursprünglich vollständigen Verbindungslosigkeit von Konsument und Produzent - die nur durch transparente Märkte und die hier geschaffene Information über Angebot und Preis hergestellt wurde - durch eine immer engere informationelle Kopplung und letztlich durch eine reale Bindung des Konsumenten an den Produzenten, die bis hin zur Überschneidung der Rollen und Interessen von Konsument und Produzent in der Zwitter-Rolle des "Prosumenten" reicht.

Die Weiterentwicklung der Produktionsmittel vollzog sich gleichzeitig immer mehr in Richtung Flexibilität, weil hochflexible Produktionssysteme die Unsicherheit des Anbieters in einem stark gesättigten und gleichzeitig stark von Mitbewerbern umworbenen Markt vermindern: Eine am Markt nicht mehr absetzbares Produktreihe kann dann schnell gegen eine andere Produktreihe ausgetauscht werden. Mit diesen Zielsetzungen ist etwa die vieldiskutierte "Industrie 4.0" entwickelt worden.

Ein optimales Produktionsmittel in diesem Sinne und einen integrativen Bestandteil des umfassenderen Konzepts der "Digitalen Fabrikation" [9] stellt eben die additive Fertigung dar. Hierdurch ist es möglich, durch ein und dieselbe Fertigungsanlage sehr viele verschiedene Produkte herstellen zu lassen, und dies am Ende sogar direkt auf Anforderung und in Zusammenarbeit mit dem Kunden, "on demand".

3D-Printers for Peace

Die so entstehenden Produktionsmittel umfassen ein wesentlich größeres Spektrum als nur 3D-Drucker. Insgesamt ist es so letzten Endes möglich, auf die Allokation von Gütern über Märkte zu verzichten, ohne aber hierdurch Effizienzverluste erleiden zu müssen. Mit anderen Worten: Derartig hochproduktive und hochflexible Produktionsmittel können letzten Endes Produkte (fast) umsonst, zu sehr geringen Kosten, herstellen, da sie fast komplett maschinell, mit marginalem Arbeitsaufwand und fast nur zu Energie- und Rohstoffkosten hergestellt werden können. Diese Produktionsmittel können also mit ökonomischem Gewinn am Ort des Konsums und im Auftrag und auf Rechnung und in Regie des Konsumenten betrieben werden, der entweder eine Privatperson oder ein öffentliches, überprivates Subjekt sein kann - und der diese Produktionsmittel als private oder öffentliche Person besitzt.

So können nachhaltige, lokale, berechenbare und nicht gewinngetriebene Produktions- und Konsumationsstrukturen [10] entstehen. Und diese besitzen eben diese - wie die gegenwärtige Krise zeigt - unschätzbare Eigenschaft, mit lokal verfügbaren Energie-, Rohstoff- und Absatzkanälen operieren zu können. Und sie müssen nicht auf fremde, irgendwo auf der Welt vorhandene Ressourcen zugreifen - unter Umständen eben auch unter Einsatz von militärischen Mitteln. Insofern also ganz buchstäblich: 3D-Drucker for Peace.

Das Interesse der Linken im Dornröschenschlaf

Ohne auf dem hier notwendigerweise beschränktem Raum diese Argumentation umfassend führen zu können, sind in diesen neuen Technologien, die die Distanz zwischen Konsument und Produzent bis auf null reduzieren können, und damit letztlich auch die "antagonistischen" Gegensätze von Kapital und Arbeit und Arbeitgeber und Arbeitnehmer, tatsächlich die neuen Arbeitsmittel zu sehen, die den Eintritt in eine neue geschichtliche Epoche ermöglichen können. Sie ist vor allem dadurch gekennzeichnet, dass in ihr die gegenwärtig bestehende Dominanz des Kapitals gebrochen werden kann. Es müssen nicht das Kapital und die kapitalgestützte Produktion vollständig verschwinden, das wird unmöglich und auch unnötig sein. Aber die Dominanz des Kapitals und damit seine Macht, die politische Agenda zu setzen, werden verschwinden, und dies wird, wie die Gegenwart zeigt, bitter nötig sein.

Insofern erscheint es enorm wichtig, möglicherweise überlebenswichtig, wenn sich eine breite gesellschaftliche Mehrheit und eine breite gesellschaftliche Debatte in vereinten Kräften mit der traditionsreichen politischen Kultur der Linken bildete, um diese gesellschaftlichen, ökonomischen, politischen und technischen Zusammenhänge zu erkennen und in eine wirkungsvolle politische und gesellschaftliche Debatte und Willensbildung zu übersetzen. So lange die Zeit dazu noch bleibt. Oder aber eben dann, so weit möglich, nachher.


URL dieses Artikels:
https://www.heise.de/-3365602

Links in diesem Artikel:
[1] http://www.thezeromarginalcostsociety.com/
[2] http://www.mtu.edu/materials/printersforpeace/
[3] http://www.swp-berlin.org/fileadmin/contents/products/projekt_papiere/DeutAussenSicherhpol_SWP_GMF_2013.pdf
[4] http://www.wsws.org/de/articles/2014/05/08/mili-m08.html
[5] http://larrysummers.com/commentary/financial-times-columns/why-stagnation-might-prove-to-be-the-new-normal/
[6] http://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/kapitalismus-das-ende-des-plunders-12693250.html
[7] http://www.heise.de/tp/artikel/29/29687/1.html
[8] http://www.ltl.lu/index.php?option=com_content&view=article&id=173:das-kapitalistische-system-ist-in-seiner-endphase&catid=63:econews&Itemid=76
[9] http://cba.mit.edu/docs/papers/12.09.FA.pdf
[10] http://www.heise.de/tp/artikel/41/41392/1.html