Tote Fische und geballte grüne Inkompetenz

Was genau die Fische und andere Wassertiere vergiftete, wird noch untersucht. Foto: Hanno Böck / CC0 1.0

Fischsterben in der Oder: Selbst polnische Behörden sprechen von Industrieunfall, während auf deutscher Seite verschiedene andere Ursachen genannt werden. Eine Spur führt nach Opole.

Die Suche nach Verantwortlichen für das Fischsterben in der Oder geht weiter. Auch über die tödlichen Substanzen herrscht Verwirrung: Quecksilber, Pestizide und sogar eine "neue, nicht identifizierte Algenart" waren bereits im Gespräch. Die Ergebnisse von Laboruntersuchungen lassen auf sich warten.

Angler hatten den polnischen Behörden bereits Ende Juli von toten und halbtoten Tieren im Flussabschnitt zwischen Lipki und Olawa berichtet. Tage später zeigte sich in den deutschen Oder-Anrainern ein dramatisches Bild: Fischleichen so weit das Auge reicht. Nach Schätzung des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) verendeten auf den 500 Kilometern Flusslauf bis zu 100 Tonnen Fisch. Seitdem fragt sich die Öffentlichkeit nach den Verursachern und erhält von den zuständigen Ämtern statt Antworten nur Ausflüchte.

Die polnische Seite mauert

Die Polen hatten, trotz bestehender Abkommen, weder die eigene Bevölkerung noch die Deutschen gewarnt und damit rettende Maßnahmen für Mensch und Tier verhindert. Inzwischen wurden der Chef der polnischen Wasserschutzbehörde und der oberste Kontrolleur der polnischen Umweltschutzbehörde entlassen. Die Regierung in Warschau behauptet, nach den Ursachen zu suchen und hat eine Belohnung von etwas mehr als 200.000 Euro ausgesetzt.

Die Beteiligten der dortigen Laboruntersuchungen wollen bei den verendeten Fischen keine tödlichen Substanzen entdeckt haben. Man habe nach Quecksilber und Schwermetallen gesucht, so Umweltministerin Anna Moskwa, auch Pestizide seien in den Verdacht geraten. Genauere Ergebnisse liegen angeblich nicht vor, jedenfalls noch nicht.

Die deutsche Seite widerspricht sich

Die deutschen Behörden und Politiker geben ein armseliges Bild ab. Ihre Aussagen widersprechen sich, von nachdrücklichen diplomatischen Vorstößen und einer unabhängigen Erforschung keine Spur. Die grüne Außenministerin könnte die EU oder die Vereinten Nationen auffordern, angesichts dieses Ökozids eine internationale Untersuchungskommission nach Polen (Speerspitze des Pentagons in der Alten Welt) zu schicken. Sie tut dies aber nicht.

Der brandenburgische Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) ärgerte sich, "dass es so lange gedauert hat, bis Informationen vorlagen. Wir werden dieses dann auch mit der polnischen Seite kritisch ansprechen müssen." Durchsetzungsvermögen hört sich anders an.

Vor allem die Grünen Amtsträger fassen die Polen mit Samthandschuhen an. Da wird von "vielfachen Gründen für die Katastrophe" gesprochen. Viele wolkige Worte, wenig Taten.

"Mir liegen dazu bisher keine Erkenntnisse vor. Es scheint tatsächlich so zu sein, dass es sich um chemische Substanzen aus industrieller Produktion handelt", so die grüne Umweltministerin Steffi Lemke, "wir wissen das nicht abschließend, deshalb muss mit Hochdruck zusammengearbeitet werden, um das zu klären." Wo sieht man den Hochdruck?

Ganz am Anfang der Katastrophe wurde gemeldet, dass die Messungen Unmengen von hochgiftigem Quecksilber gefunden hätten. Inzwischen heißt es, dass zwar Quecksilber vorhanden sei, dieses aber nicht zum Massensterben der Tiere geführt habe. Aha, man lernt ja immer dazu. Rotten nicht im brasilianischen Regenwald die Goldschürfer mit ihrer – nicht-industriellen Menge Mercurio ganze Fisch-Populationen aus? Aber vielleicht wirkt ja das brasilianische Quecksilber im Amazonas anders als das europäische in der Oder.

Für Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel (Grüne) gibt es für das Fischsterben mehr als nur eine Ursache, etwa der hohe Sauerstoffgehalt, hohe pH-Werte, die Dürre und der niedrige Wasserstand. Demnächst kommt bestimmt noch die Klimaveränderung dazu.

Der RBB zitierte sogar das Berliner Leibniz-Institut, das eine "neue, nicht identifizierte Algenart" für das Massensterben verantwortlich machen will. Außerdem, so beruhigen die Öffentlich-Rechtlichen, würde sich der Fischbestand innerhalb der nächsten drei Jahre wieder herstellen. Es wird alles wieder gut, kein Grund zur Aufregung.

Was steht fest?

Beginnen wir mit dem Flusslauf. Und der fließt überall auf der Welt in eine Richtung, nämlich von der Quelle in die Mündung. Damit ist die Schlussfolgerung zwingend, dass der Verursacher am Oberlauf der Oder zu suchen ist, vor Olawa, wo Ende Juli die ersten toten Fische gesichtet wurden. Die Kleinstadt liegt wenige Kilometer hinter Opole, auch bekannt unter dem deutschen Namen Oppeln. Das grenzt die Suche ein.

Auch wenn über die im Fluss gemessenen giftigen Substanzen Unterschiedliches bekannt gegeben wurde: Es muss auf jeden Fall eine riesige Menge gewesen sein. Also keine Klitsche, die mal eben einen Kanister entsorgt hat. Selbst die polnischen Behörden sprechen von einem Industrieunfall.

Ich habe in der Gegend von Opole recherchiert und bin auf das riesige Kohlekraftwerk Opole gestoßen, betrieben von der PGE, der Polska Grupa Energetyczna S.A. PGE ist an der Börse von Warschau gelistet, 57 Prozent hält der polnische Staat.

Die Anlage ist eine wahre Dreckschleuder. Wie bei allen Kohlekraftwerken fallen bei seinem Betrieb große Mengen Quecksilber an. Mit einem CO2-Ausstoß von 10,7 Mio. Tonnen verursachte es 2021 die zehnthöchsten Treibhausgasemissionen aller europäischen Kraftwerke. Es liegt einen Steinwurf von der Oder entfernt und arbeitet, zumindest theoretisch, mit 6 Blöcken, die letzten beiden wurden erst 2019 fertig. Der große US-Konzern General Electric war am Bau beteiligt.

Und, siehe da, im Kraftwerk hat es tatsächlich einen Unfall gegeben, bzw. gleich mehrere in den Blöcken 5 und 6. In der Nacht von 25. zum 26. Juli 2022 wurde Block 5 hektisch abgeschaltet. Im Werk heißt es, dass der Grund ein loser Kesselbetrieb gewesen sein soll. Am 1. August wurde dieser Block erneut für eine Notfall-Reparatur (emergency repair) abgeschaltet.

Zur Erinnerung: Am 28. Juli berichteten die polnischen Angler und die Medien das erste Mal von einem massenhaften Tiersterben in unmittelbarer Nähe des Werks.

Ich habe die Presseabteilung von PGE um eine Stellungnahme und um die Überlassung aller internen Berichte zu diesen Unfällen gebeten. Auf die Antwort warte ich bis heute. Übrigens: Am 3. August, also wenige Tage nach den Abschaltungen, gab PGE die Unterzeichnung einer Absichtserklärung bekannt, wonach der polnische Staat weitere Anteile der Unternehmensgruppe erwerben wird. Auch meine Frage, ob dies als Rettungsaktion des Konzerns zu interpretieren sei – wir kennen das ja aus Deutschland von der Commerzbank – verweigerte der Konzern ebenfalls die Auskunft.

Dieser Artikel erscheint in Kooperation mit Krass & Konkret