Tote Kinder auf besetzten Golanhöhen: Beginnt jetzt der Krieg mit Libanon?
Erste Gegenangriffe auf Ziele im Libanon. Hisbollah wird verantwortlich gemacht. Unstimmigkeiten in Berichterstattung.
In der Drusen-Gemeinde Majdal Shams im Norden Israels hat sich am gestrigen Samstag eine schwere Tragödie ereignet. Ein Raketenangriff, der nach Angaben des israelischen Außenministeriums von der Hisbollah ausgeführt wurde, traf ein Fußballfeld und tötete zwölf Kinder und Jugendliche.
Der Vorfall ist geeignet, de facto einen Krieg zwischen Israel und Libanon zu provozieren. Die Situation des De-facto-Staatsgebietes Israels und in der gesamten Region ist enorm angespannt.
Kritik an Netanyahus Reaktion
Zunächst erntete die Reaktion des israelischen Premierministers Benjamin Netanyahu auf den Vorfall scharfe Kritik. Trotz der eskalierenden Lage und der hohen Opferzahl unterbrach er seinen Auslandsaufenthalt in den Vereinigten Staaten nicht sofort. Infolge kam es zu schweren Vorwürfen seitens der Presse und politischer Kommentatoren.
In einem Artikel von Yossi Verter, veröffentlicht in der liberalen israelischen Zeitung Haaretz, wurde Netanyahus Handeln als "einer politischen Führungsfigur nicht würdig" bezeichnet. Der Artikel kritisierte die Prioritätensetzung des Premierministers, der angeblich mehr Wert auf seine persönlichen Pläne und seinen "korrupten und dekadenten Vergnügungstrip" gelegt habe als auf die Dringlichkeit der Lage in seinem Land.
Internationale Reaktionen
Die US-Regierung zeigte sich überzeugt davon, dass die Hisbollah für den Angriff verantwortlich sei, wobei unklar bleibt, ob das Ziel bewusst gewählt oder verfehlt wurde. Völker- und kriegsrechtlich ist das ein wichtiger Unterschied.
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Die Nachrichtenagentur Reuters berichtet, dass Iran Israel vor jeglichen "neuen Abenteuern" im Libanon warnt. Diese Aussagen folgen auf die israelische Anschuldigung, dass die Hisbollah für den Raketenangriff verantwortlich sei. Die Hisbollah selbst weist diese Verantwortung von sich.
Die Opfer und die Folgen
Die getöteten Kinder und Jugendlichen sollen in Majdal Shams beigesetzt werden. Währenddessen werden die 20 Verletzten in verschiedenen Krankenhäusern behandelt, einige davon in ernstem bis kritischem Zustand.
Der israelische Verteidigungsminister Joaw Galant besuchte den Ort des Geschehens und drückte sein Beileid aus, betonte jedoch auch, dass die Hisbollah für ihre Tat "den Preis zahlen" werde.
Militärische Reaktion Israels
In Reaktion auf den Angriff führte die israelische Luftwaffe in der Nacht zum Sonntag eine Serie von Angriffen auf Ziele im Libanon durch, darunter in den Dörfern Chabriha und Borj El Chmali.
Diese Offensive könnte zu weiteren Spannungen in der ohnehin schon angespannten Region führen.
Politische Dimension
Die Vorfälle in Majdal Shams werfen ein Schlaglicht auf die komplexen politischen und militärischen Verhältnisse im Nahen Osten. Netanyahu steht innenpolitisch unter Druck, während die regionalen Machtverhältnisse durch solche Ereignisse weiter destabilisiert werden könnten.
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Inmitten dieser Unsicherheit trauern die Familien um die verlorenen Kinder und Jugendlichen, deren Leben durch den Konflikt ein abruptes Ende fand.
Tödliche Eskalation im Gazastreifen: Luftangriff trifft Schule
Im Nahostkonflikt kommen an den verschiedenen Fronten immer mehr Kinder ums Leben. Während die Rakete auf den besetzten Golanhöhen israelische Kinder tötete, bombardierte die israelische Luftwaffe im Gazastreifen ein Schulgebäude. Dabei kamen nach Angaben der lokalen Gesundheitsbehörde mindestens 30 Menschen ums Leben.
Die Attacke am Samstag zielte auf die Chadidscha-Schule in Deir al-Balah, die als Zufluchtsort für vertriebene Palästinenser diente. Über hundert Verletzte wurden gemeldet, eine unabhängige Verifizierung der Zahlen ist jedoch nicht möglich. Allerdings bestätigten Journalisten der Nachrichtenagentur AP, ein getötetes Kleinkind und mit Decken bedeckte Leichen gesehen zu haben.
Kontroverse um militärische Ziele
Die israelische Armee verteidigt den Angriff mit der Begründung, man habe gezielt Terroristen bekämpfen wollen. Die genauen Umstände und Zielsetzungen bleiben jedoch in der öffentlichen Diskussion und Berichterstattung unklar.
Die Hamas, die den Gazastreifen kontrolliert, wird von einem Teil der internationalen Gemeinschaft als Terrororganisation eingestuft. Diese Einschätzung teilen Israel, die USA, Kanada, die Europäische Union, das Vereinigtes Königreich, Australien und Neuseeland.
Israel beteuert regelmäßig, dass es keine Absicht habe, Zivilisten zu treffen, und dass es sich um Maßnahmen zur Selbstverteidigung handelt.
Dramatische Zustände in der Schule
Die Chadidscha-Schule diente laut der Zivilschutzbehörde der Hamas als Zuflucht für etwa 4.000 Menschen. Diese hatten dort Schutz vor den anhaltenden Kampfhandlungen gesucht. Berichte sprechen auch von einem Feldlazarett, das in der Schule eingerichtet worden war, um den Opfern des Konflikts Erste Hilfe zu leisten.
Moral und Völkerrecht
Auch in deutschen und internationalen Leitmedien wurde durchaus über den Angriff auf die Schule berichtet. Vor allem die Parallelität der Angriffe verweist darauf, dass die Akteure in dem eskalierenden Konflikt zunehmend gegen völkerrechtliche Standards verstoßen.
Das gilt vor allem auch für den Terrorangriff der Hamas und weiterer islamistischer Milizen am 7. Oktober 2023 auf Israel, bei dem ganze Familien ausgelöscht worden sind. Die Kinderrechtsorganisation Unicef schreibt zu den Folgeereignissen:
Der Konflikt im Gaza-Streifen fordert einen katastrophalen Tribut von den Kindern. Nach jüngsten Schätzungen des palästinensischen Gesundheitsministeriums sind mehr als 14 000 Kinder getötet worden; Tausende weitere wurden verletzt. Es gibt keine sicheren Orte. Alle Kinder des Gazastreifens waren traumatischen Kriegserfahrungen ausgesetzt, deren Folgen ein Leben lang anhalten werden.
Schätzungsweise 1,9 Millionen Menschen - etwa neun von zehn Menschen im Gazastreifen – wurden innerhalb des Landes vertrieben. Die Hälfte von ihnen sind Kinder.
Sie haben keinen ausreichenden Zugang zu Wasser, Lebensmitteln, Brennstoff und Medikamenten. Ihre Häuser wurden zerstört, ihre Familien auseinander gerissen. Viele Kinder wurden bereits mehrfach vertrieben und haben ihr Zuhause, ihre Eltern und ihre Angehörigen verloren. Sie müssen geschützt werden, ebenso wie die übrigen Dienstleistungen, auf die sie angewiesen sind, einschließlich medizinischer Einrichtungen und Unterkünfte.
"Nordisrael"?: Zur Zuordnung der Golanhöhen
Und noch ein anderer Aspekt fällt in der Berichterstattung über die jüngsten Ereignisse im Nahostkonflikt auf. Einige Medien bezeichneten das Gebiet, in dem die offenbar im Libanon gestartete Rakete einschlug, als "Nordisrael".
So heißt es beim Berliner Tagesspiegel: "‘Wir stehen vor einem richtigen Krieg‘: Elf Kinder und Jugendliche sterben bei Raketenangriff auf nordisraelische Stadt." Später wurde diese Überschrift geändert. Ähnliche Einordnungen finden sich auch in anderen Medien.
Tatsächlich gehören die Golanhöhen völkerrechtlich nicht zu Israel, sondern zu Syrien. Das Gebiet wurde 1967 erobert, Hunderte Dörfer wurden zerstört und über 80.000 Einwohner vertrieben. Seit 1981 annektiert Israel Golanhöhen. Auch Deutschland erkennt die Annexion der Golanhöhen durch Israel nicht an.