Toxische Jobs: Wenn die Arbeit die Seele vergiftet
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Psychische Belastung am Arbeitsplatz nimmt dramatisch zu. Fast jeder Dritte leidet unter mentalen Problemen. Was Experten beunruhigt: Die wahren Zahlen könnten viel höher liegen.
Von "toxischen Jobs" spricht Psychologe Rolf Schmiel. Dies soll verdeutlichen: Arbeit kann krank machen. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben im vergangenen Jahr gezeigt, wie Beschäftigte unter Druck stehen.
Jeder fünfte Arbeitnehmer war mindestens einmal aufgrund von mentalen Problemen krankgeschrieben. 31 Prozent der Befragten sagen, dass sie aktuell unter Depressionen, Angststörungen oder anderen psychischen Erkrankungen leiden. Das zeigt der AXA Mental Health Report 2024.
Es geht um berufliche Tätigkeiten, bei denen die psychische Belastbarkeit des Mitarbeitenden nachhaltig gefährdet ist. Jobs, die die Seele vergiften, sagt Schmiel. Indem die Menge an Arbeit die Möglichkeiten des Angestellten völlig überfordert. Wenn Erwartungen da sind, die ein Beschäftigter tatsächlich nicht leisten kann. Schmiel nimmt sich in seinem neuen Buch diesem Thema an.1
Der Psychologe kritisiert das "Prinzip Zitrone", das er branchenübergreifend beobachtet. Arbeitende fühlen sich ausgequetscht wie eine Südfrucht, etwa bei mangelhafter Personalplanung. Wenn in einer Abteilung zehn arbeiten und drei krank sind, dann wird nicht die Arbeitsmenge reduziert, sondern man geht davon aus, dass die sieben anderen das auffangen.
Dass es in solchen Berufen einen deutlich höheren Krankenstand aufgrund psychischer Beeinträchtigungen gibt, verdeutlicht der Schmiel und spricht von "einer Kaskade des Unerträglichen".
Die Folgen Burn-out und Präsentismus
Die Folgen sind erheblich. Denn Schmiel beschreibt zwei Effekte: Burn-out und Präsentismus.
• Burn-out ist ein Zustand physischer oder seelischer Erschöpfung und die Reaktion auf Beanspruchung und Belastung im Beruf. Die Konsequenzen sind Müdigkeit, Mattigkeit, Abgeschlagenheit bei gleichzeitiger innerer Unruhe, Reizbarkeit und Nervosität. Betroffene fallen dadurch lange aus, zwischen drei und sechs Monaten Arbeitsunfähigkeit ist nicht selten. Aber das realisieren Unternehmen häufig nicht, bemängelt der Psychologe Schmiel.
• Noch schlimmer ist es, wenn sich betroffene Arbeitnehmer die psychischen Belastungen nicht eingestehen. Bei diesem Präsentismus genannten Phänomen arbeiten Beschäftigte trotz belastender Situation weiter, bis der Körper kollabiert. Rückenschmerzen, schwere Magen-Darm-Erkrankungen und Herzinfarkte sind dann die Folgen.
Dabei dürfen Schwierigkeiten nicht als individuelles Problem abgetan werden. Dies macht der wissenschaftliche Begriff "psychische Belastungen" deutlich. Belastungen sind äußere Einwirkungen auf den Menschen, Beanspruchungen sind die Reaktionen auf diese Belastungen.
Diese Reaktionen können unterschiedlich sein: Was für den einen Druck erzeugt, nimmt ein anderer in der Situation als kaum belastend wahr. Inzwischen ist die Arbeitswissenschaft so weit, dass dies nicht beschönigt werden darf als Versagen einer Einzelperson.
Für Burnout-Betroffene gilt es, Frühwarnzeichen zu beachten. Nicht 130 Prozent an Leistung zu erbringen, sondern gut 80 Prozennt. Nicht alles müssen Betroffene selbst machen. Sie sollten länger anhaltenden Druck vermeiden, sich für ihre Leistung belohnen. Wenn Beschäftigte sich vernetzen, widerstehen sie der Burnout-Gefahr deutlich besser. Letztlich gilt für uns alle der Spruch: Wer schaffen will, muss fröhlich sein.
Klinik des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe (LWL) in Paderborn
Überlastungsanzeigen als Hilferuf
Die Probleme sind den Unternehmen bekannt. Schmiel schildert das Beispiel einer Unternehmensberaterin, die mit einer Mitarbeiterumfrage aufdeckte, wie schlecht es der Belegschaft geht. Sie forderte Gegenmaßnahmen. "Und der Vorstand handelte schnell und konsequent: Er kündigte den Vertrag mit dem Beratungsunternehmen", beschreibt Schmiel den Sarkasmus der Firmenlenker.
Häufig versuchen Angestellte durch Überlastungsanzeigen dem Management zu verdeutlichen, wie sehr sie die Arbeit unter Druck setzt.
Eine Überlastungsanzeige/Gefährdungsanzeige ist der (schriftliche) Hinweis an den Arbeitgeber bzw. unmittelbaren Vorgesetzten mit der Kernaussage, dass die ordnungsgemäße Erfüllung der Arbeitsleistung in einer konkret zu beschreibenden Situation gefährdet ist, und Schäden zu befürchten sind.
Ver.di
Die Überlastungsanzeige ist ein Begriff aus dem Arbeitsrecht, der in keinem Gesetz definiert ist. Ständiger Personalmangel oder andauernde Mehrarbeit führen Beschäftigte an ihre Leistungs- und Belastbarkeitsgrenzen. Dies kann Fehler in der Erledigung der Arbeitsaufgaben verursachen und negative Folgen für alle Beteiligten haben – für Kunden oder Patientinnen.
Führt eine Arbeitsüberlastung zu einem Schaden, können arbeitsrechtliche Maßnahmen zulasten der Beschäftigten entstehen. Um dies zu vermeiden, ist die Überlastungsanzeige gegenüber dem Unternehmen als Instrument zu sehen. Sie dient auch dazu, das Management deutlich auf die Gefahren hinzuweisen.
Für den Einzelnen kaum lösbare Probleme
Die Reaktion der Vorgesetzten darauf ist häufig enttäuschend, die Probleme werden gerne als Schwächen Einzelner abgetan. Trotz vieler Ratschläge, das eigene Verhalten zu hinterfragen, ist vielen Arbeitenden klar, dass alleine wenig zu verändern ist. Ein Stressfaktor ist häufig die ausufernde Arbeitszeit als Folge einer Personalplanung, die in erster Linie als Kostensenkungsthema gesehen wird.
Viele Betriebe verzichten immer noch auf die Zeiterfassung, wenn das Ergebnis entscheidend ist – etwa bei Zielvereinbarungen – und zwar unabhängig von der benötigten Arbeitszeit. Mobiles Arbeiten verstärkt die Tendenz der Unternehmen, Arbeitszeiten in die Freizeit auszudehnen, wenn es keine klaren Regeln gibt.
Wie es anders geht, zeigt die Tarifbewegung im Pflegebereich. Mit "Tarifverträgen zur Entlastung" wird die Personalplanung Teil kollektivrechtlicher Vereinbarungen. Die Beschäftigten der Charité in Berlin haben einen vorbildlichen Tarifvertrag zu den Arbeitsbedingungen erkämpft. Es gelten tarifliche Mindestbesetzungsstandards, es gibt Schlüssel für die Besetzung einzelner Schichten, die verbindlich durchsetzbar sind und vom Betriebsrat kontrolliert werden können.
Der Arbeitskampf wurde monatelang unter starkem Einbezug der Pflegekräfte vorbereitet. In vielen Betrieben wird so gegen toxische Jobs vorgegangen, indem die Probleme an der Wurzel angepackt werden.