Toxische Männlichkeit: Die unterschätzte Gefahr für den Weltfrieden
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Männliche Gewalt prägt Konflikte weltweit. Nicht nur bei den Taliban und im Iran leiden Frauen. Oft verkannt ist: Auch der Westen hat ein Problem. (Teil 1)
Gegenwärtige Auseinandersetzungen in unterschiedlichen Kulturen finden auch als ein gewalttätig ausgetragener Kampf der Männer gegen die Frauen in ihrer Gesellschaft statt. Doch nicht nur bei den Taliban oder im Iran gibt es patriarchalische Strukturen.
Seit Vinnais Buch "Das Elend der Männlichkeit" (1977) sowie dem Buch "Jungen – Kleine Helden in Not – Jungen auf der Suche nach Männlichkeit." (Schnack/Neutzling 1990), Theweleits zweibändigem Werk über die Männerphantasien (1977/ 1978), Wilhelm Reichs "Rede an den kleinen Mann" (1948/ 2013) sowie vergleichbaren internationalen Publikationen dürfte zumindest in den aufgeklärteren Mittelschichten der westlichen Länder deutlich geworden sein, dass patriarchalische Verhältnisse nicht nur ungerecht, sondern auch gefährlich für den Weltfrieden sind.1
Patriarchalische Strukturen sind durch das Wirken autoritärer Persönlichkeiten, durch Anpassung nach oben und Unterdrückung nach unten, männliche Aggressivität, Dominanzverhalten, Muskelverpanzerung, Rigidität im Denken und Fühlen, zwanghafte Charakterstrukturen sowie maskulinen Größenwahnsinn gekennzeichnet.
Dies können natürlich sowohl Männer als auch Frauen realisieren, aber zumeist waren es die Herrenmenschen, die Millionen junger Menschen in den Tod führten.
Bei klugen Frauen war im Durchschnitt die Hemmschwelle wesentlich höher, junge Männer in den Krieg zu schicken, wenn es doch auch die Frauen früher in der Regel waren, die Kinder vornehmlich gewindelt, gefüttert, bei den ersten Schritten an der Hand gehalten, das Rechnen, Schreiben und Lesen beigebracht sowie sie in die Pubertät begleitet haben.
Wenn jetzt zunehmend auch Männer diese Aufgaben im Zuge der Gleichberechtigung übernehmen, ist zu hoffen, dass auch hier diese hemmende Wirkung eintritt.
"Du hast das Glück der Menschen in deinen Händen gehabt"
Andererseits sind Frauen, die sich unter patriarchalischen Verhältnissen hochgedient haben und entsprechend sozialisiert wurden, oftmals ebenfalls durch männlich-aggressives Dominanzverhalten gekennzeichnet.
Entsprechend sozialisierte Frauen können sich genauso patriarchalisch, dominant und aggressiv verhalten, wie dies Männer praktizieren. Sie übernehmen dann einfach die negativen Aspekte der traditionellen Männerrolle, da sie erfahren haben, dass dies in einer männlich dominierten Hierarchie positiv konnotiert wird. Margaret Thatcher, Marie-Agnes Strack-Zimmermann und Alice Weidel könnten Beispiele hierfür sein.
Auch noch immer gibt es Frauen in verschiedenen Teilen der Welt, die ihre Kinder zum "Dienst am Vaterland" und im Sinne einer militärischen Sozialisation erziehen. Wilhelm Reich verschont daher auch nicht die "kleine Frau", die den "kleinen Mann" heranzieht, ihn von seinen Bedürfnissen fernhält, ihn psychisch klein werden lässt, so dass er für die Gesellschaft brauchbar, einsetzbar und gefährlich für die Mitwelt wird – an die "kleine Frau" gerichtet2:
Du hast das Glück der Menschen in deinen Händen gehabt, und du hast es verspielt! Du hast Präsidenten geboren, und du hast sie mit Kleinlichkeiten ausgestattet! … Du hast die Welt in Händen gehabt, und am Ende hast du deine Atombomben über Hiroshima und Nagasaki abgeworfen; dein Sohn, meine ich, hat sie abgeworfen, als Probe aufs Exempel! … du hattest nicht die Menschlichkeit, die Männer und Frauen und Mädchen und Jungen in Hiroshima und Nagasaki zu warnen! Du brachtest nicht die Größe auf, menschlich zu sein.
Deshalb wirst du untergehen, lautlos, wie ein Stein im Meer versinkt. Es ist nicht wichtig, was du nun denkst und sagst, kleine Frau, die idiotische Generäle gebar. In 500 Jahren wird man über dich lachen und staunen. Dass man nicht schon jetzt staunt und lacht, ist ein Stück der Misere der Welt!
Patriarchalische Strukturen und Kriegsführung
Patriarchalische Strukturen sind durchaus noch in ernstzunehmenden Residuen in westlichen Ländern vorhanden, verstärken sich z.T. wieder aufgrund der Identitätsprobleme insbesondere von politisch eher ungebildeten Menschen, welche die komplexen Prozesse der Globalisierung und der internationalen Beziehungen nicht verstehen.
Männliche Verunsicherung und Überforderung führen zur Komplexitätsreduktion kognitiver Strukturen und zum Rückfall in eine längst überholte Männerrolle – autoritär, kommunikationsunfähig und gewalttätig, manchmal auch rechtsextrem. Maskulinätsbilder einer militanten Männlichkeit werden beim Militär erwünscht und gestärkt, auch wenn man sich hier etwas mehr Intelligenz wünschen würde.
In kriegerischen Auseinandersetzungen insbesondere im afrikanischen und asiatischen Raum werden die Mädchen und Frauen dann oft auch zum Opfer männlicher sexueller Gewalt. Gezielte Massenvergewaltigungen werden dann zum militärischen Mittel, um eine Gegenpartei – oft auch in asymmetrischen Konflikten – zu demütigen und zu demotivieren.
Die Erinnerung lässt Schmerz und Demütigung wieder aufleben: Wie Soldaten die Frauen und Mädchen zusammentrieben, um sie zu vergewaltigen. Wie Müttern vor den Augen ihrer Kinder die Kleider vom Leib gerissen wurden und sie ihre Töchter nicht vor der Gewalt schützen konnten. Diese und andere Gräuel schilderten Rohingya-Flüchtlinge, die vor Myanmars Armee nach Bangladesch flohen.
Das brutale Vorgehen wurde laut der UN-Sonderbeauftragten für sexuelle Gewalt in Konflikten, Pramila Patten, vom Militär befohlen, organisiert und verübt. Auch Grenzpolizisten und Milizen seien an Verbrechen wie Gruppenvergewaltigungen oder sexueller Versklavung beteiligt gewesen. Für diesen Dienstag hat die Bundesregierung den Schutz von Frauen in Konflikten auf die Agenda des UN-Sicherheitsrats gesetzt, in dem Deutschland momentan den Vorsitz hat.
Welt-Sichten
Patriarchalische Strukturen sind ebenfalls noch in zahlreichen Kulturen und Religionen ausgeprägt, in denen eine massive Unterdrückung der Frauen und Mädchen stattfindet bis hin zur Geschlechtsverstümmelung, der erlaubten Prügelstrafe durch Männer und dem sogenannten "Ehrenmord" an Frauen in manchen islamistisch ausgerichteten Familien.
Möglichkeiten eines Matriarchats
In kritischer Auseinandersetzung mit dem Patriarchat wird dann in einem Teil der Frauenbewegung in Anlehnung an vermeintlich historischen Formen des Matriarchats die dominante Herrschaft der Frauen eingefordert. Heide Göttner-Abendroth macht hingegen deutlich, dass historische und gegenwärtige Matriarchate durch andere Gestaltungsprinzipien gekennzeichnet waren bzw. sind, wie Entscheidung im Konsens und gleichberechtigte Arbeitsteilung.
Göttner-Abendroth wendet daher ein, dass matriarchalische Gesellschaften nicht durch die elitäre Privilegierung von Frauen gekennzeichnet sind, sondern im Unterschied zu patriarchalischen Strukturen grundsätzlich als egalitäre Gesellschaften gesehen werden müssten3:
Sie sind, was die gesellschaftlichen Handlungsmöglichkeiten und die Freiheit beider Geschlechter betrifft, wahrhaft geschlechter-egalitär und im Zusammenwirken aller Teile der Gesellschaft egalitär. Dabei sind die Frauen, insbesondere die Mütter, die Mitte dieser Gesellschaften. Die Mitte bedeutet nicht die Spitze, das "Oben", wie es (in) Patriarchaten üblich ist, sondern es ist eine alle Teile der Gesellschaft integrierende Mitte.
Matriarchate in diesem Sinne gibt es in zahlreichen Kulturen, so zeigt Göttner-Abendroth als Autorin zweier umfangreicher Bände, welche matriarchalischen Gesellschaften es in der Gegenwart in unterschiedlichen geografischen Räumen derzeit noch bzw. wieder gibt, z.B. in Nord-Ost Indien, in Nordjapan oder in Indonesien.
Auch in den westlichen Ländern sind viele Frauen bereits seit langer Zeit aufgebrochen, gegen männliche Gewalt und die massive Benachteiligung der Frauen aufzubegehren und gesellschaftliche Beteiligung in einem emanzipativen Sinne zu erringen. In vielen Bereichen – insbesondere dort, wo es auf Sozialität und Kommunikation ankommt – haben sie vor allem diejenigen Männer überholt, die dem traditionellen, autoritären, wenig flexiblen und diskursunfähigen Männerbild entsprechen.
Aber auch heute noch dürfen in der katholischen Kirche Frauen keine Priesterinnen werden, geben manche orthodoxe Juden, bestimmte Vertreter eines erzkonservativen Christentums oder salafistische Muslime Frauen prinzipiell keine Hand, dürfen Frauen in konservativen muslimischen Gesellschaften ihr Gesicht nicht in der Öffentlichkeit zeigen.
Widerstand hiergegen wird brutal unterdrückt; die Männer kämpfen in diesen Institutionen und Gesellschaften einen Geschlechterkampf gegen ihre Frauen um die gesellschaftliche Macht.
Die Frauen leisten Widerstand
Doch die Frauen wehren sich auch hier. Im Rahmen der kirchlichen Bewegung Kirche 2.0 setzen sie zivilgesellschaftliche Zeichen des Protests gegen die traditionelle Auslegung der katholischen Religion. Sie fordern ein Ende des Zölibats sowie die Berücksichtigung von Frauen bei allen Kirchenämtern, auch hinsichtlich der Positionen von Priesterinnen und Bischöfinnen. Auch am patriarchalischen Gottesbild wird im Rahmen von Ansätzen feministischer Theologie gerüttelt.
Frauen wehren sich auch vermehrt gegen autokratische bzw. diktatorische Regime. Insbesondere der Widerstand der Frauen gegen den belarussischen Diktator Lukaschenko war über Monate im Fokus der medialen Öffentlichkeit, bis die männlichen Sicherheitskräfte die Anführerinnen und weitere Frauen massenhaft unter Einsatz brutaler Gewalt verhaftete und ihrer Freiheit beraubte. Auch die vielen iranischen Frauen, die sich lange Zeit mutig gegen das Verschleierungsgebot der Mullahs zur Wehr setzten, sind hier zu nennen.
So gibt es auch beispielsweise in Finnland eine Gruppierung "Women for Peace", die sich gegen die destruktive Verwendung gesellschaftlicher Ressourcen für militärische Aufrüstung und Krieg wendet. Diese Gruppe finnischer Frauen fordert u.a. die Abschaffung des Verteidigungsministeriums zugunsten eines Ministeriums für Frieden und nachhaltiger Entwicklung.
Bei Fridays for Future und Black Lives Matter sind es vor allem (junge) Frauen, die in diesen Bewegungen aktiv sind und ihre Lebenskraft in diese Bewegungen zusammen mit ähnlich gestimmten Männern einbringen.
Klaus Moegling, Jg. 1952, ist habilitierter Politikwissenschaftler, i.R., er lehrte an verschiedenen Universitäten und Institutionen der Lehrerbildung, zuletzt an der Universität Kassel als apl. Professor im Fb Gesellschaftswissenschaften. Er engagiert sich in der Friedens- und Umweltbewegung sowie in Bildungsinitiativen.
Er ist Autor des Buches "Neuordnung. Eine friedliche und nachhaltig entwickelte Welt ist (noch) möglich" in der inzwischen 6. aktualisierten und frei lesbaren Auflage. Er ist mit Barbara Moegling verheiratet und hat mit ihr ihre drei inzwischen erwachsenen Kinder begleitet und versucht auf die Welt vorzubereiten.