Tragödie oder Staatsterrorismus – was steckt hinter der Explosion im Iran?

Luca Schäfer
Irans Flagge als Pin auf einer Karte

Die Explosion im iranischen Hafen von Bandar Abbas gibt Rätsel auf

(Bild: Rokas Tenys/Shutterstock.com)

Eine Explosion erschüttert den Hafen von Bandar Abbas. Die iranische Regierung spricht von einem Unfall, doch Zweifel bleiben. Könnte mehr dahinterstecken?

Feuersäulen steigen auf, orange-schwarzer Rauch verdunkelt die Szenerie, Menschen fliehen, es folgt eine heftige Detonation: Das Video bricht ab. Eine Überwachungskamera fängt die letzten Szenen vor der Katastrophe ein.

Am vergangenen Samstag kam es im iranischen Containerhafen Shahid Radschaei in der südiranischen Halbmillionenstadt Bandar Abbas zu einer großen Explosion im Containerhafen und einem anschließenden Großbrand.

Nach derzeitigem Stand wurden mehr als 1000 Menschen verletzt, rund 200 von ihnen befinden sich in stationärer Behandlung. Die Zahl der Todesopfer wurde zeitweise fast stündlich nach oben korrigiert und lag zuletzt bei 70.

Obwohl das Feuer als unter Kontrolle gilt, dauerten die Löscharbeiten bis in die frühen Morgenstunden des Montags an. Die Löschmannschaften reisten sogar aus Teheran an, der iranische Präsident Peseschkian, Innenminister Momeni sowie ein Sonderermittlerteam besuchten noch am Sonntag den Unglücksort.

Die Hafenanlage ist schwer beschädigt, die Druckwelle war noch in 50 Kilometern Entfernung zu spüren.

Strategisches Nadelöhr am Golf

Bandar Abbas liegt mehr als 1300 Kilometer von der iranischen Hauptstadt Teheran entfernt am Meer und an der Straße von Hormus. 85 Prozent des iranischen Containerumschlags werden über den Hafen von Bandar Abbas abgewickelt, dieser liegt an der geopolitisch und wirtschaftsstrategisch immens wichtigen Straße von Hormus.

Über die Meerenge, die nach den Angriffen der jemenitischen Ansharollah auf Israel und feindliche Containerschiffe zuletzt im Fokus des Welthandels stand, werden 20 Prozent des weltweiten Ölhandels abgewickelt, allein 90 Prozent des irakischen Volumens.

Die Meerenge, die an ihrer schmalsten Stelle keine 50 Kilometer breit ist, gilt als Druckmittel des Iran: In der Vergangenheit hat die iranische Marine Tanker aufgebracht, eine technisch mögliche Verminung würde den Seeweg sperren.

Der Containerhafen ist für die Wirtschaft des stark sanktionierten Landes von herausragender Bedeutung, allein im Feuersturm des Brandes sollen mehr als 10.000 Container verbrannt sein.

Bandar Abbas ist das Wahrzeichen der iranischen Ölproduktion und damit das Rückgrat der auf Rohstoffexporte nach China und Indien ausgerichteten iranischen Rentenökonomie, in der Provinz Hormosganz liegen mit der "Bandar Abbas Oil" und der "Persian Gulf Star" die beiden Raffinerien der iranischen "Widerstandsökonomie" in unmittelbarer Nähe des Unglücksortes. Nach übereinstimmenden Medienberichten sind die Öllager nicht betroffen.

Ursache unklar?

Kaum sind die Löscharbeiten beendet, die Aufräumarbeiten haben gerade erst begonnen, beginnt die Suche nach der Ursache. Bislang ist die Ursache ist nicht eindeutig geklärt.

Regierung und Armee bemühten sich umgehend, unbestätigte Gerüchte über eine Explosion militärischer Güter, die vor allem in den sozialen Medien verbreitet wurden, zu dementieren. Nach Angaben des Sprechers des iranischen Verteidigungsministeriums, General Reza Talaei-Nik, lagerten in der Nähe des Brandortes keine "militärisch genutzten Güter".

Dennoch verspricht die Regierung eine lückenlose Aufklärung, man warne vor voreiligen Gerüchten, so Regierungssprecherin Fatemeh Mohadscherani.

Der geistliche Führer und politische Letztinstanz, Ayatollah Ali Khamenei, ordnete eine gründliche Untersuchung an und schloss laut Spiegel einen "gezielten Anschlag nicht aus".

Während die Regierung verkündete, der Hafen sei wieder in den Normalbetrieb zurückgekehrt, mahnte Khamenei laut Tehran Times, das Inferno sei eine Quelle von "Kummer und Besorgnis". Diese Formulierung lässt, zumindest unbewusst, Raum für Spekulationen.

China, Ambrey und die Zweifel

Nach derzeitiger offizieller Darstellung, so berichtet der Tagespiegel, ist die Explosion auf die Entzündung von Chemikalien in Containern zurückzuführen, die durch fahrlässigen Umgang mit dem Material ausgelöst wurde.

Doch Zweifel bleiben: Die New York Times zitiert einen Insider mit angeblichen Verbindungen zu iranischen Sicherheitskreisen, der die Explosion auf Natriumperchlorat, einen Raketenbestandteil, zurückführen will.

Die Nachrichtenagentur AP bestätigt diese These und fügt hinzu, dass die private Sicherheitsfirma Ambrey behauptet, erst im März diesen Stoff aus China erhalten zu haben, um die iranischen Raketenbestände nach der Dezimierung im Hamas-Israel-Krieg wieder aufzufüllen.

Während die iranischen Behörden Sabotage zunächst kategorisch ausschlossen, könnte diese in diesem Fall nahe liegen. Erinnert sei an die Arbeit des israelischen Geheimdienstes bei den Pager-Explosionen im Libanon. Es muss jedoch betont werden, dass keine der Quellen verifizierbar ist und das offizielle Ergebnis noch einige Zeit auf sich warten lassen wird.

Geopolitische Implikationen

Die Katastrophe hat einen faden internationalen geopolitischen Beigeschmack. Solange die Tragödientheorie des iranischen Machtapparates nicht stichhaltig, objektiv und international falsifizierbar belegt ist, gelten auch andere Denkmuster als möglich.

Klar ist: Das iranische Regime hat in der gegenwärtigen Schwächephase kein Interesse an einer weiteren innenpolitischen Blamage. Trotz gegenteiliger Erkenntnisse könnte die als schwach geltende Regierung Pescheskian angesichts drohender sozialer Revolten versuchen, jeden Eindruck von Verwundbarkeit zu kaschieren.

Erschwerend kommt hinzu, dass der Iran vor einem möglichen Deal mit der Trump-Administration stehen könnte. Ein Dorn im Auge Tel-Avivs. Die israelische extreme Rechte in der Regierung könnte ihren Worten eines aktiven Angriffs auf den Iran eine subversive Tat folgen lassen. "Wenn ihr uns angreift, werden wir euch angreifen", kündigte Netanjahu 2024 vor der UNO in Richtung Iran an. Zwar kein Beweis, aber der lachende Dritte wäre zweifellos der israelische Expansionismus.

Das Schreckensbild von Beirut dürfte der iranischen Theokratie-Kaste in die Glieder gefahren sein: Am 4. August 2020 explodierten 2750 Tonnen Ammoniumnitrat im Hafen der libanesischen Hauptstadt, hunderte fanden den Tod.

Bis heute reißen die Proteste für Aufklärung und gegen vermeintliches Staatsversagen nicht ab. Eine Szenario, das man in Teheran sicherlich zwingend verhindern will – auch um dem Schicksal des zerrütteten und schwachen Libanon zu entgehen und die eigene Macht zu sichern.